Vielfalt gestalten

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die soziale Lage des Elternhauses und der Schulerfolg in Deutschland einen hohen Zusammenhang aufweisen. Ein darin eingebundenes Problem: die schlechten Ergebnisse von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund. Was folgt daraus für eine Schule im Einwanderungsland? Wie können soziale Integration und Sprachförderung gelingen? Wie schafft Schule Voraussetzungen für ein gelingendes Leben?

Die Schule bei uns weiß über weite Strecken noch nicht, dass sie faktisch eine Schule in der Einwanderungsgesellschaft ist. Zwar war die Einwanderungsbilanz der letzten Jahre negativ – denn per Saldo verließen mehr Menschen Deutschland als hereinkamen. Erst im letzten Jahr hat sich dies wieder gedreht. Was aber bleibt: wir müssen in unseren Schulen noch viel nachholen, um dem Anspruch einer Schule in der Einwanderungsgesellschaft gerecht zu werden. Dazu soll dieses Heft – vor allem mit konkreten Erfahrungsberichten – Anregungen geben.

Wir fragen also, wie eine Schule gestaltet werden kann, in der eine Öffnung so gelingt, dass Eltern, Kinder und Jugendliche sowie Lehrer(innen) mit und ohne Migrationshintergrund spüren: das ist meine Schule, hier bin ich willkommen, die allermeisten haben Respekt vor mir? Wie kann es gelingen, in unseren Schulen eine solche Haltung zu entwickeln? Welche Veränderungen können dabei helfen?
Zunächst geht es um den Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Dafür gibt es die Voraussetzung der Sprachkenntnis. Aber damit ist es keineswegs getan. Die Institution Schule muss Berührungspunkte anbieten, an die Schüler(innen) mit Migrationshintergrund andocken können – nicht nur im Fachunterricht, sondern insgesamt im Schulalltag.

Die Möglichkeiten der schulischen Angebote reichen von einer gezielten Elternarbeit bis zur Alltagsbegleitung durch ältere Schülerinnen und Schüler. Wie wirken Vorbilder bei der Arbeit mit Migranten? Was bewirken Lehrkräfte mit Migrationshintergrund? Und wieso benötigen wir interkulturelle Arbeit auch dort, wo es nahezu keine Kinder mit Migrationshintergrund gibt? Wie kann Schule die Chance für eine Bildung von interkultureller Kompetenz nutzen – bei all der Vielfalt und Buntheit heterogener Schülerschaften?

Claudia Schanz beschreibt in ihrem einführenden Beitrag die Bedeutung interkultureller Bildung als unverzichtbare Kompetenz für das Leben und Arbeiten der Schülerinnen und Schüler in einer globalisierten Welt. Zugleich aber ist interkulturelle Kompetenz ein wichtiger Baustein für den respektvollen und verständnisvollen Umgang der Schülerschaft untereinander. Ganz ausdrücklich bezieht die Autorin diese Feststellung nicht nur auf die Kenntnis von Feiertagen in anderen Kulturen oder auf folkloristische Schulfeste mit Speisen aus den Herkunftsländern der Schülerschaft.

Claudia Schanz und Franz Kaiser Trujillo begründen, warum es heute weiterführend ist, über den Begriff der Integration hinauszugehen. Ihnen geht es bei der Gestaltung von Vielfalt nicht nur um die ethnische Dimension (Migrationshintergrund), sondern um unterschiedliche Differenzlinien wie Geschlecht, soziale Herkunft, Familiensprache, Religion, Behinderung, Kultur … Dieser neue Blick lässt sich mit diversity education beschreiben. Dieses Verständnis hat Konsequenzen nicht nur für die Unterrichtsentwicklung, sondern gleichermaßen für die Personal- und Organisationsentwicklung.

Jeder weiß heute, dass Elternarbeit eine unverzichtbare Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit gerade mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ist. Wie kann dieser Kontakt aufgebaut und gehalten werden, wie entstehen Situationen, in denen Schulen als offene, einladenden Einrichtungen wahrgenommen werden?

Latifa Kühn, Regine Seemann und Regine Hartung beschreiben, warum zu den Gelingensbedingungen einer Schule in der Einwanderungsgesellschaft eine Elternarbeit gehört, die die migranten Familien mit einbezieht. Ein Elterncafé ist schnell eingerichtet. Wie kann eine solche Vorlage aber genutzt werden? Woran muss bei einer Elternarbeit mit migranten Familien systematisch gedacht werden? Checklisten helfen dabei, alle Aspekte im Blick zu behalten.

Margit Maronde-Heyl beschreibt interkulturelle Arbeit einer Schule, bei der es wegen eines so genannten Migrantenproblems keine allzu großen Probleme gibt oder geben sollte. Der Migrantenanteil liegt unter zehn Prozent. Aber diese Schule in Mecklen­burg-Vorpommern signalisiert Pro­blembewusstsein: die Beteiligung an vielen Projekten – von der »Schule ohne Rassismus« bis »Kinder integrieren durch Kunst« – scheint wieder einmal die These zu bestätigen, dass gelingende Integrationsarbeit aus der Arbeit mit einer Vielzahl von Mosaiksteinchen besteht.

Um »Junge Vorbilder« kümmert sich eine Stiftung, die Schüler mit Migrationshintergrund fördern will, bei denen es im ersten Anlauf nicht klappt, den Übergang zu weiterführenden Schulen zu finden. Ältere Schüler mit Migrationshintergrund kümmern sich um jüngere Schüler mit Migrationshintergrund. Eine Stiftung begleitet diesen Prozess der Ermutigung und Förderung. In diesem wie in vielen anderen Fällen darf allerdings gefragt werden, warum es denn immer Stiftungen sein müssen, die einen Stein ins Rollen bringen oder eine kluge Idee unterstützen. Bedeutet das nicht, dass der Staat offensichtlich mit einer wie auch immer guten Grundversorgung zufrieden ist? Wenn’s ein bisschen mehr sein soll, sind die Stiftungen gefragt.

Auch um die Werbung von Abiturienten mit Migrationshintergrund für ein Lehramtsstudium oder für den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers in vorschulischen Einrichtungen kümmern sich vor allem Stiftungen in Kooperation mit den Ländern. Auch das Netzwerk der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund in NRW wird vom Land und einer Stiftung unterstützt. Antonietta P. Zeoli und Luigi Giunta stellen das Projekt vor, beschreiben Schwerpunkte wie zum Beispiel Mentoring von Schülerinnen und Schülern und von Lehramtstudierenden mit Migrationshintergrund, Kooperation mit Migrantenorganisationen und werfen einen Blick auf die Ressourcen der Vielfalt.

Christiane Bainski beschreibt, wie ein Hauptziel der Bemühungen um Sprachförderung erreicht werden kann: es geht um die Vermittlung der deutschen Bildungssprache. Für Bildungserfolge ist die sprachliche Kompetenz eine Voraussetzung. Sie beschreibt die Arbeitsweise bei der RAA in Essen, Erfahrungen aus der Praxis und die konkreten Abläufe erfolgreicher Arbeit – mit zahlreichen methodischen Ansätzen, die exemplarisch vorgestellt werden.

Peter E. Kalb, Jg. 1942, war Verlagsleiter bei Beltz, ist Redaktionsmitglied der PÄDAGOGIK und arbeitet als Verlagsberater in Bensheim/Bergstraße.
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Aus: Pädagogik 9/2011