Kapitel 7
Die Schizoide und Schizotypische Persönlichkeitsstörung

Die Schizoide Persönlichkeitsstörung

Zwei Merkmale treten bei der Schizoiden Persönlichkeitsstörung in den Vordergrund: der Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen und der nichtvorhandene Wunsch nach solchen Beziehungen. Andere Menschen werden als aufdringlich und lästig empfunden, Beziehungen als verwirrend und unerwünscht. Folglich werden Betroffene häufig als zurückgezogen, einzelgängerisch und isoliert dargestellt. In Übereinstimmung damit reagieren sie kaum auf negatives oder positives Feedback seitens anderer. Daraus kann man schließen, daß Beziehungen sie wenig befriedigen.

Des weiteren lassen schizoide Personen einen eingeschränkten Affekt erkennen und zeigen weder sehr positive noch sehr negative emotionale Reaktionen. Millon (1981) geht daher davon aus, daß sie unfähig sind, subtile Emotionen weder bei sich selbst noch bei anderen festzustellen. Daher würden sie häufig gleichgültig erscheinen und sich auch entsprechend fühlen. Für viele dieser Menschen sei das Leben bestenfalls ein fades Erlebnis.

Schizoide Personen können zwar produktiv sein, gestalten ihr Leben aber so, daß sie anderen aus dem Wege gehen können, und erwählen typischerweise einen Beruf, der minimalen sozialen Kontakt erfordert. Darüber hinaus gehen sie auch außerhalb der Arbeit ihren einzelgängerischen Interessen nach.

Einführung

Die Diagnose der Schizoiden Persönlichkeitsstörung ist wahrscheinlich eine der verwirrendsten unter den Achse-II-Diagnosen. Das Konstrukt oder die Bezeichnung "schizoid" hat man nach etwa 100 Jahren immer noch nicht endgültig als diagnostische Kategorie definiert. Die ursprüngliche Verwendung des Terminus "schizoid" ist auf Manfred Bleuler von der Schweizer Burgholzi-Klinik (Siever, 1981) zurückzuführen. Es ist zusammengestellt aus dem Präfix "schizo-", das aus dem Griechischen stammt und "spalten" bedeutet, und dem Suffix "-oid", das soviel heißt wie "ähnlich oder darstellend". Im herkömmlichen Sinne ist der Schizoide ein ruhiger, schüchterner und reservierter Mensch, der sich in der Regel von anderen zurückzieht. Andere Sichtweisen geben davon aus, daß das schizoide Verhalten entweder eine genetisch bedingte chronische Überempfindlichkeit für schizophrene Vorgänge oder eine Zwischenstufe in der Erholungsphase nach einer Schizophrenie darstellen kann. Siever (1981) geht von der traditionellen Definition aus, wenn er feststellt, daß die Schizoide Persönlichkeitsstörung "der für die Schizophrenie charakteristischen Persönlichkeitsteilung, -entfremdung oder -spaltung" ähnelt (S. 563).

Die schizoide Persönlichkeit kann in der Tat sehr kreativ in Berufen sein, in denen ein auf sich gestelltes Arbeiten möglich ist. Es kommt sehr häufig vor, daß schizoide Personen einfache Tätigkeiten verrichten, die ihren Fähigkeiten nicht gerecht werden. In einer Reihe älterer Studien wurde die prämorbide Anpassung von Schizophrenen untersucht. Dabei stellte sich heraus, daß die prämorbide schizoide Anpassung mit dem Schweregrad der schizophrenen Erkrankung und der geringeren Chance auf Heilung im voraus zusammenhing, obwohl diese Störung nicht unbedingt eine Vorstufe zur Schizophrenie darstellte (Frazee, 1953; Gittelman-Klein und Klein, 1969; Longabaugh und Eldred, 1973; Mellsop, 1972, 1973; Morris, Soroker und Burrus, 1954; Roff, Knight und Wertheim, 1976).
Auch wenn in der Vorgeschichte eine theoretische Verbindung zur Schizophrenie bestand, unterscheidet sich das Bild der Schizoiden Persönlichkeitsstörung, so wie es in den letzten drei Ausgaben des Diagnostsic and Statistical Manual of Mental Disorders erschien, deutlich von früheren Darstellungen. Die Schizoide Persönlichkeitsstörung des DSM-I (APA, 1952) umfaßte die heutigen Diagnosen der Schizoiden, Schizotypischen und Selbstunsicheren Persönlichkeitsstörungen. Heute geht man nicht davon aus, daß sich die Schizoide Persönlichkeitsstörung im Endeffekt zu einer Schizophrenie entwickeln kann; eher wird der schizoide Mensch als chronischer Einzelgänger und als isoliert angesehen. Sowohl im DSM-III als auch im DSM-III-R wurden die schizoiden Diagnosekriterien von der diagnostischen Gruppe der Schizotypischen Persönlichkeitsstörung getrennt, die eher in einem engen Zusammenhang mit den schizophrenen Störungen steht (Baron, 1981; McGlashan, 1985; Siever, 1981). Die Schizotypische Persönlichkeitsstörung wird später in diesem Kapitel behandelt.
Im DSM-II (APA, 1968) wurde die Schizoide Persönlichkeitsstörung folgendermaßen definiert:

Dieses Verhaltensmuster manifestiert Schüchternheit, Überempfindlichkeit, Zurückgezogenheit, Vermeidung enger oder rivalisierender Beziehungen und häufig Exzentrizität. Üblich sind autistisches Denken ohne Verlust der Fähigkeit, die Realität zu erkennen, sowie Tagträume und die Unfähigkeit, Feindseligkeit und gewöhnliche aggressive Gefühle auszudrücken. Die Betroffenen reagieren auf beunruhigende Erlebnisse mit scheinbarer Distanziertheit (S. 42).

Im DSM-III (APA, 1980) und DSM-III-R (APA, 1987) wurden die diagnostischen Kriterien erweitert (Tabelle 7.1). Die grundlegenden Themen, nämlich emotionale Einschränkung, Unnahbarkeit und der nichtvorhandene Wunsch nach Beziehungen, sind immer noch Grundelemente dieser Störung. Obwohl zahlreiche Theorien über das Wesen schizoider Menschen aufgestellt wurden, wurde diese Gruppe kaum klinisch erforscht (Freeman, 1988a,b; Freeman und Leaf, 1989; Millon, 1981). Dies erklärt sich von selbst in Anbetracht der Tatsache, daß schizoide Menschen nur ungern eine Therapie machen.

 

 

 

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Letzte Änderung: 10.12.99
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