Zur Einführung ein Szenarium, das sich in vielen Städten und Landkreisen in größeren und kleineren Stadtteilen finden könnte: In einem Wohnquartier gibt es zahlreiche türkische Bewohner/innen, die gerne Gärten anlegen möchten, und dazu suchen sie Grabeland. Diese Migrant/innen, vornehmlich Frauen, aber auch einige Männer, haben durchweg größere Familien - Kinder und Jugendliche, die nicht immer gut integriert sind, einen mäßigen Bildungsstand haben, an den Segnungen der deutschen Wohlstandsgesellschaft nicht sonderlich stark partizipieren und gelegentlich den ein oder anderen Blödsinn verzapfen. Die Türk/innen suchen also Grabeland und wissen nicht Bescheid, wie man da dran kommt. Auf ihrer Suche nach Unterstützung gelangen sie natürlich auch an die Jugendhilfe. So kennt etwa eine Mutter das nahe gelegene Jugendhaus und bittet den dortigen Leiter um Hilfe. Seine Reaktion: Kundenfreundliche Zuwendung - aber Grabeland? Auf unserem Gelände schon mal gar nicht, und ansonsten sind wir dafür nicht zuständig. Eine andere Mutter kennt den Mitarbeiter der Caritas, die dort Träger eines Modellprojektes mit jugendlichen Spätaussiedlern ist, zum Teil finanziert aus kommunalen Mitteln. Dortige Reaktion: Da sind Sie bei mir an der falschen Stelle, ich bin nur für Spätaussiedler zuständig, und die kommen in der Regel nicht aus der Türkei. Ein Türke aus der Gruppe kennt eine Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes, die deshalb im Stadtteil arbeitet, weil der Kinderschutzbund ein zweijähriges Modellprojekt "Gewalt gegen Kleinkinder" an Land gezogen hat. Doch diese Mitarbeiterin ist fürbass erstaunt, dass sie plötzlich erwachsenen Menschen gegenüber steht, da sie doch nur für den Schutz von Kleinkindern zuständig ist, und bei "Grabeland" an alles Mögliche denkt, nur nicht an türkische Gärten. Ähnliche Reaktion bei einem Mitarbeiter des ASD, der soeben neu eingestellt wurde, und zwar ausschließlich für Kinderschutz, weil der Jugendamtsleiter clever die medial inszenierte Hysterie genutzt und drei Stellen für den Kinderschutz erkämpft hat. Der neue Mitarbeiter will nun ausdrücklich Kinder schützen, am liebsten kleine Kinder und sieht überhaupt nicht den Bezug zwischen gefährdeten Kindern und türkischem Grabeland. Einige Kinder aus diesen türkischen Familien gehen in eine Stadtteilschule, die seit einiger Zeit als offene Ganztagsschule firmiert (zuständig: Jugend- und Schulamt). Die dort tätigen Lehrer/innen reagieren befremdet bis entsetzt: Grabeland? Auf unserem Schulhof wird nicht gegraben. Wir haben andere Probleme: Wir müssen unsere Schüler/innen PISA-fest machen, haben zu große Klassen, die Gewalt (speziell der türkischen Schüler) nimmt ständig zu, und der offene Ganztag konfrontiert uns mit Erzieher/innen und Sozialarbeiter/innen, die aussehen, als stammten sie aus einer anderen Welt. Der für insgesamt fünf Wohnquartiere zuständige Bezirksjugendpfleger reagiert zwar zugewandter, kennt sich aber weder mit Gärten noch mit Grundstücken aus und verweist - immerhin - an die zuständige Sozialarbeiterin, die aus dem Programm "Soziale Stadt" eingestellt und beim Jugendamt angesiedelt wurde und dort Partizipations- und Integrationsprozesse von Jugendlichen fördern soll. Die junge Dame ist erst seit einem halben Jahr eingestellt, schreibt jetzt schon die ersten Anträge für die Verlängerung ihrer Stelle, hat laut Handlungsprogramm zwei Leitprojekte, die sie zu betreuen hat (Spielplatzgestaltung und Anti-Gewalttraining), kennt sich im Stadtteil noch nicht richtig aus und ist überhaupt nicht darauf vorbereitet, Türkinnen gegenüberzustehen, die nicht nur ein Kopftuch tragen, sondern auch noch Tomaten anpflanzen wollen. Nein, sagt sie, da muss ich erstmal meinen Amtsleiter fragen. Der reagiert ziemlich irritiert und weist daraufhin, dass er über weitere Bundesprogramme zwei Jugendhilfe-Trägern ordentlich Geld für zwei Jahre besorgt hat (irgendwas mit gewaltbereiten Jugendlichen und Übergang Schule-Beruf) und dass die türkischen Hobby-Gärtner/innen sich doch bitte mal an AWO und Diakonisches Werk wenden sollten. Wenn die Türk/innen Glück haben, treffen sie vielleicht bei der AWO auf einen türkischen Sozialberater, der vermutlich keine Ahnung von Gärten hat, aber ihnen garantiert vorschlägt, eine Teestube zu eröffnen oder einen Alphabetisierungskurs zu besuchen. Ach ja, seit kurzem gibt es in dieser Stadt ein vom Land gefördertes Familienzentrum, das Sprachförderung anbieten und Beratungs- und Hilfsangebote für Eltern und Familien bündeln und vernetzen soll. Die Leitung ist kommunikativ durchtrainiert, freundlich und zähneknirschend zugewandt, egal was kommt: Gärten? Grabeland? Man habe leider keine eigenen Grundstücke, plane allerdings einen sprachfördernden Streichelzoo und sei gerne bereit, evtl. entstehende Gärten zu vernetzen mit dem Kinderschutzzentrum, der AWO und der Familienbildung. "Kommen Sie doch einfach vorbei, wenn Sie einen Schritt weiter sind." Das örtliche Jugendamt in dieser Stadt/diesem Landkreis hat in den letzten Jahren 10?% der Stellen im ASD abgebaut, 20?% der Stellen in der offenen Jugendarbeit bzw. der Jugendförderung, den HzE-Etat mit Mühe auf dem Niveau von 2006 gehalten, die Versorgung mit Kita-Plätzen den gesetzlichen Vorgaben entsprechend ausgebaut - und gleichzeitig hat das Jugendamt drei neue Stellen für Kinderschutz erstritten, besagte Träger mit Bundesmitteln beglückt, zwei Familienzentren bewilligt bekommen, über das Bundesmodellprojekt "Wirkungsorientierte Steuerung" externe Beratung erhalten und zwei Stellen für Schulsozialarbeit von einer Stiftung für zwei Jahre bewilligt bekommen. Was will ich damit sagen? -- --
Beitrag
Integration statt sektoraler Spezialisierung - Für mehr Dominanz der Sozialarbeit gegenüber der Ökonomie
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 6, Jahr 2011, Seite 450 - 454
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TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 6, Jahr 2011, Seite 450 - 454
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