Kapitel 8

Nonverbale Kommunikation

Interpersonale Kommunikation besteht nur zu einem kleinen Teil aus verbalen Botschaften. Gewöhnlich übermitteln wir zusammen mit Worten und Sätzen eine Vielfalt nonverbaler Signale, die der verbalen Botschaft Nachdruck verleihen, sie aber auch modifizieren oder völlig ersetzen können. Es kommt vor, daß in manchmal sogar recht komplexen - sozialen Begegnungen überhaupt nur nonverbale Botschaften ausgetauscht werden. Ist explizite verbale Kommunikation aus irgendwelchen Gründen schwierig oder unmöglich (ist der Lärm zu groß, sind die Partner zu weit voneinander entfernt oder wollen sich Liebende in Gegenwart anderer verständigen), kann ein komplizierter Austausch nonverbaler Signale Blicke, Lächeln, Gesten, veränderte Körperhaltung, usw. - an die Stelle der verbalen Kommunikation treten. Kommunikationspartner unterschiedlichen Geschlechts haben sich, oft noch bevor das erste Wort zwischen ihnen gefallen ist, in einem elaborierten Austausch nonverbaler Signale über Interesse und Verfügbarkeit verständigt.

Ohne die Fähigkeit, solche nonverbalen Botschaften zu senden und zu empfangen, ist, wie wir sehen werden, erfolgreiche soziale Interaktion unmöglich. Argyle glaubt, daß diese Fähigkeit - wie jede andere auch - gelernt werden muß, und offensichtlich schaffen manche Menschen das einfach besser als andere. Fehlt die Fertigkeit zu nonverbaler Kommunikation, können ernsthafte Fehlanpassungen die Folge sein, die dann durch Einüben der notwendigen Kommunikationskompetenzen, d. h. durch ein entsprechendes "Training", behoben werden können (vgl. Kapitel 16).

Im folgenden wollen wir uns die wichtigsten Eigenschaften nonverbaler Kommunikation ansehen und uns fragen, wo die Unterschiede zur sprachlichen Kommunikation liegen. Wir werden nonverbale Botschaften bis zu ihren evolutionären Wurzeln zurückverfolgen und schließlich einen Überblick über die Forschung zu bestimmten Formen nonverbaler Botschaften (Blickverhalten, Gesichtsausdruck, Distanzverhalten, Körperhaltung, usw.) geben. Die meisten Arbeiten zu diesem Thema sind relativ jungen Datums. Obwohl Charles Darwin schon vor mehr als hundert Jahren ein Buch über den nonverbalen Ausdruck von Emotionen bei Mensch und Tier geschrieben hat (Darwin 1872), haben Sozialpsychologen dieses Thema erst vor kurzem neu für sich entdeckt. Der Prozeß der nonverbalen Kommunikation ist sehr viel komplexer, als es uns die zahlreichen Bücher über "Körpersprache", "stumme Botschaften" und dergleichen weismachen wollen. Doch hat sich, wie wir sehen werden, unser Wissen um diese Art der Kommunikation dank moderner sozialpsychologischer Methoden gewaltig vergrößert.

Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation

Nonverbale Botschaften sind nicht einfach eine Alternative zur Sprache, denn die Unterschiede zwischen beiden Kommunikationssystemen sind beträchtlich. Das Dekodieren von und das Reagieren auf nonverbale Botschaften geht normalerweise sehr viel unvermittelter und automatischer vonstatten, als das bei verbalen Botschaften der Fall ist. Wenn Ihr Interaktionspartner Sie anlächelt, Sie anstarrt oder Ihnen zuwinkt, wird Sie das in den meisten Fällen zu sofortiger Interpretation und Reaktion veranlassen. Solche Botschaften bedürfen weder bewußter Analyse noch bewußter Dekodierung. Im Unterschied dazu müssen verbale Botschaften gewöhnlich sehr viel sorgfältiger enkodiert und dekodiert werden, weshalb wir also erheblich länger brauchen, bis wir eine verbale Äußerung verstanden, interpretiert und uns für eine geeignete Erwiderung entschieden haben.

Wie es scheint, sind nonverbale Botschaften sehr viel seltener der Gegenstand bewußter Interpretation und Aufmerksamkeit als Sprache. So kann es kommen, daß sich ein Sprecher nonverbal bloßstellt und gegen seinen Willen Einstellungen, Gefühle und Emotionen preisgibt. Solcherart nonverbale "Durchlässigkeit" kann auch enthüllen, ob jemand die Wahrheit sagt oder lügt. Ekman und Friesen (1974) sind diesem Phänomen nachgegangen. Ihre Hypothese dabei war, daß periphere Reize -Körperbewegungen zum Beispiel, oder Bewegungen von Armen und Beinen - weniger bewußt gesteuert werden und deshalb einen Lügner wahrscheinlich eher entlarven als so zentrale Reize wie Gesichtsausdruck oder Blickverhalten. Als Material dienten ihnen unter anderem Filmaufnahmen von psychiatrischen Patienten, die zu verbergen suchten, wie ängstlich und aufgeregt sie in Wirklichkeit waren, und statt dessen "Optimismus, Affektkontrolle und Wohlbefinden" simulierten (Ekman und Friesen 1969, S. 100).

 

 

 

Verlagsgruppe Beltz
Werderstr. 10
D-69469 Weinheim

Tel.: 06201/60070
E-Mail:
info@beltz.de

http://www.beltz.de

© Verlagsgruppe Beltz
Letzte Änderung: 10.12.99
Bei Problemen:
webmaster@beltz.de