Pressemeldung

Montag, 10. Oktober 2016

Denken in Kreisen

Vom linear geplanten zum zyklischen Organisationswandel. Ein Gespräch mit Hans-Joachim Gergs

Change, das ist geplanter Wandel in Reaktion auf eine Krise. Zentral entworfen und top-down ausgeführt. So war es gestern. Heute sind die Umweltbedingungen so schnelllebig geworden, dass Unternehmen sich permanent anpassen müssen. Dazu braucht es ein anderes Modell. »Es gilt, permanent neu zu beginnen«, sagt Hans-Joachim Gergs. Wir sprachen mit ihm über die Fähigkeit zu kontinuierlicher Erneuerung, zyklisches Denken und agile Methoden.

Interview: Winfried Kretschmer

Herr Gergs, Ihre These ist, dass Change Management gegenwärtig an seine Grenzen stößt. Ist das nicht ein bisschen untertrieben?

Möglicherweise. Viele IT-Unternehmen mit virtuellen Teams haben kein Change Management mehr, weil Veränderung Teil des Organisationsdesigns, der DNA dieser Unternehmen geworden ist. Die Führung steht hier im Hintergrund. Es ist keine heldenhafte Führung mehr, sondern eine, die im Unternehmen eine Infrastruktur der Veränderung aufbaut. Sie sieht sich nicht mehr als Kapitän, sondern als Organisationsdesigner oder Sozialarchitekt für Innovation und Lernen. Das erfordert eine andere Art der Change-Beratung, anders als die, wie sie von den großen Beratungsunternehmen angeboten wird.

Wenn sich ein Modell überlebt hat, ist immer die Frage: Kann es sich selbst erneuern oder braucht es etwas ganz Neues? Wie ist das beim Change Management?

Ich würde schon sagen, dass es etwas grundlegend Neues braucht. Es geht nicht darum, einige Tools zu verbessern. Change im klassischen Verständnis ist eher nachholende Veränderung. Alle großen Change-Konzeptionen von Kotter über Christensen bis Moss-Kanter gehen immer aus von einer Not, die es zu wenden gilt. Gefragt ist aber eine vorausschauende Erneuerung. Das geht, ist aber sehr voraussetzungsvoll.

Was macht das alte Change Management falsch, wenn man so plakativ fragen will? Und wo sehen Sie Ansatzpunkte für Veränderung?

Den ersten Punkt habe ich gerade angesprochen: Krisenorientierung versus vorausschauende Erneuerung. Viele Unternehmen brauchen noch die Krise, um sich zu bewegen. Erneuerungsfähige Organisationen aber haben ein anderes Mindset; sie verfügen über ein attraktives Zukunftsbild, auf das sie zustreben. Das Zweite ist der Shift vom episodischen zum kontinuierlichen Wandel. Episodische Change-Prozesse, wie sie Ende der 1980er-Jahre aufkamen, sind heute nur noch bedingt angemessen, weil Unternehmen permanent in der Veränderung sind. Das Dritte: Das klassische Change-Management ist immer noch top-down organisiert. Es beginnt meist mit einem Roll-out, mit einem klaren Plan von oben. Aber gerade in Experten-Organisationen müssen sehr viel mehr Veränderungen von unten angestoßen werden.

Und das Letzte sind agile Methoden. Sie führen vom linear geplanten zum zyklischen Organisationswandel. Wenn wir kontinuierlich denken, können wir nicht mehr große Pläne zur Veränderung aufstellen, sondern müssen zyklisch mit schnellen Iterationsschleifen verändern. Da reiht sich Change dann ein in Methoden wie Scrum, Lean Start-up oder Effectuation.

Klassisches Change-Management ist also dem klassisch Planungsparadigma verhaftet, verbunden mit der Trennung von Denken und Ausführen?

Ja. Denken und Handeln müssen unbedingt zusammengeführt werden! Es geht um Denken und Handeln in Iterationen. Darin sind die Amerikaner gut, weil sie schneller handeln und schnellere Iterationszyklen haben. Wir Deutschen denken immer sehr lange. Das hat auch seine Vorteile - aber: Lang planen kann ich, wenn die Umwelt stabil bleibt. Doch das ist nicht mehr ganz so. Wir haben eine hohe Schnelllebigkeit der Umfeldbedingungen.

Fassen wir noch mal zusammen: Wie hat das klassische Change Management Wandel in Organisationen verstanden?

Vom Management wird eine Kontextveränderung wahrgenommen und festgestellt, dass Veränderung notwendig ist. Daraufhin wird ein Plan erstellt und es gibt ein Roll-out. Erst dann kommt Partizipation mit ins Spiel. Darin steckt immer noch das klassische lewinsche Modell »unfreeze - change - refreeze«.

Stabilisierung und Standardisierung sind Grundprinzipien des Managements ...

Ja, die Stabilisierung der Bürokratie stammt von Max Weber. Bürokratie und Hierarchie haben uns Anfang des 20. Jahrhunderts große Wohlstandsgewinne ermöglicht. Jetzt schlägt allerdings das Pendel zu sehr in die andere Richtung. Heute wird alles agil und es gibt ein großes Hierarchie-Bashing. In dieser Hinsicht bin ich allerdings ein Freund taoistischen Denkens: Yin und Yang, Wandel und Stabilität gehören zusammen. Wir müssen eine neue Balance finden, um in einer hochflexiblen Welt Stabilität in einer anderen Form zu gewährleisten. Die Silicon-Valley-Unternehmen haben alle die Produktion ausgelagert, weil dafür eine gewisse Stabilität nötig ist. Wir können also der deutschen Industrie, die noch viele Produktionsunternehmen hat, nicht eins zu eins das Silicon-Valley-Denken überstülpen.

Der Autor: Dr. Hans-Joachim Gergs arbeitet als Berater für Veränderungsmanagement bei der AUDI AG und lehrt an der TU München und der Universität Heidelberg.

Das Buch: Hans-Joachim Gergs Die Kunst der kontinuierlichen Selbsterneuerung. Acht Prinzipien für ein neues Change Management. Mit Online-Materialien 224 Seiten; ISBN 978-3-407-36582-8