Pressemeldung

Dienstag, 13. April 2021

Wie können Coaches ein agiles Mindset entwickeln? Interview mit Horst Lempart zu seinem »Mini-Handbuch Agiles Arbeiten für Coaches & Trainer«


Horst Lempart ist Coach, Supervisor, Speaker und »Persönlichkeitsstörer«. Als Business Coach bringt er Menschen und Organisationen in Unruhe, sorgt für systemische Störungen und schafft dadurch ein Klima der Veränderung. Wir haben mit ihm über »Agilität« gesprochen.

 

Mini Interview zum »Mini-Handbuch Agiles Arbeiten für Coaches & Trainer«

 

Beltz Coach & Train (CT): Sie schreiben ein Buch über agiles Arbeiten, doch finden Leserinnen und Leser darin viel Kritik an der Agilität. Birgt agiles Arbeiten auch Risiken?

Horst Lempart (HL): Risiken stecken in der DNA der Agilität. Agiles Arbeiten funktioniert nicht ohne die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Die agile Haltung begegnet Unsicherheiten mit großer Neugier, da unbekanntes Gelände Raum zum Neudenken gibt. Risikofreies, sicheres Leben ist eine Illusion. Wir stoßen immer wieder an die Grenzen des Vorhersagbaren. Insofern ist agiles Arbeiten immer auch ein Arbeiten an der Grenze, eine Grenzerfahrung. Meine Kritik an der Agilität richtet sich weniger an die mit ihr verbundenen Inhalte. Was ich schwierig finde ist die einseitige Auslegung des agilen Gedankens zur Effizienzsteigerung in den Betrieben: Alles für den Kunden! Aber wer sind unsere Kunden? Gibt es DEN Kunden überhaupt? Und in welcher Welt wollen wir Leben, jenseits der betrieblichen Kennzahlen? Wenn wir uns zu sehr auf agiles Arbeiten fokussieren, dann fallen andere Haltungen aus dem Blickwinkel, zum Beispiel die Haltung zur Natur, zum Gemeinwohl, zum Miteinander. Agilität ist kein Wert an sich. Das ist wie mit der Macht. Es kommt drauf an, was man daraus macht. Auch das agile Mindset hat im Kern einen Gegenspieler, der für Kontrast sorgt. Nur dann werden Inhalte sichtbar. Weißer Adler auf weißem Grund hat noch nie gewirkt. Konsequentes Vorantreiben einer Idee, verantwortungsvoller Umgang mit Macht und Hierarchie, Phasen der Konsolidierung, Defokussierung, all das sind Antagonisten der Agilität. Sie finden meiner Meinung nach zu wenig Berücksichtigung in der Diskussion.

 

CT: Wie kann agiles Arbeiten für Coaches und Trainer aussehen?

HL: Die Persönlichkeit des Trainers wird vor allem durch sein Verhalten erlebbar: Welche Worte wählt er, was tut er, mit welchem Menschenbild ist er unterwegs? Insofern zeichnet er nicht nur sein Bild von Agilität, das er den Teilnehmern vorstellt, sondern er ist dieses Vor-Bild: Wie geht er mit Unsicherheiten um? Wie greift er neue Entwicklungen auf? Wie begegnet er Komplexität? Hält er Widersprüche und Mehrdeutigkeiten aus? Seine agile Haltung hat vor allen Dingen den Prozess im Auge, weniger die Agenda. Obwohl das nach Selbstverständlichkeit klingt bestätigt mir der Alltag immer noch oft genug das Gegenteil. Fehlerfreundlichkeit, Perspektivwechsel, Ressourcen schonender Materialeinsatz, Toleranz, Umgang mit Nähe und Distanz etc., das sind nicht nur Klienten- und Seminarthemen, sondern sie stellen auch Ansprüche an den Coach. In meinem Buch stelle ich außerdem Herangehensweisen vor, wie Coaches und Trainer Ihren Klienten agiles Arbeiten praktisch erfahrbar machen können. Ganz im Sinne von Kästner: »Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.« Arbeitsblätter und Downloadmaterialien ergänzen die praktischen Beispiele.

 

CT: Warum ist es auch – oder gerade? – für Trainer und Coaches wichtig, agil zu arbeiten?

HL: Wir haben ein Ungleichgewicht in der Beziehung zu unseren Klienten: Die Vorstellung ist weit verbreitet, dass der Trainer der beste Spieler auf dem Platz ist. Coaches werden oft idealisiert, was zwar schmeichelhaft ist, aber ein unrealistisches Bild zeichnet. So kann, am Anfang zumindest, aus Klientenperspektive keine Begegnung auf Augenhöhe entstehen, sondern es ist ein Aufschauen. Die agile Haltung des Coaches erlaubt ein Angleichen dieser Schieflage, indem er den Klienten, sich selbst und die Beziehungsachse immer wieder oszillierend im Blick behält und, zum Beispiel durch Feedbackschleifen, seine Eindrücke thematisiert. Damit wird der Prozess zum Dreh- und Angelpunkt aller Neujustierungen und Korrekturen, ohne das Ziel dabei aus den Augen zu verlieren. Wobei auch das Ziel durch den Trainer immer wieder auf seine Gültigkeit hin überprüft wird. Die ziel- und lösungsfokussiere Ausrichtung des Coachings wird damit selbst immer wieder infrage gestellt. Agilität lässt sich eben nicht festlegen, das wäre ein Widerspruch in sich. Der Coach kann einen abstrakten Begriff ›beleben‹ und ihn alltagstauglich machen. Agilität wird dadurch nicht weiter verdinglicht, sondern vermenschlicht. Schließlich kann nur ein lebender Organismus agil sein. Wenn Coaches ihre Klienten durch ihre persönliche Haltung ›agil ermächtigen‹, dann haben sie eine starke Wirkung entfaltet.

 

Wir danken Horst Lempart für das Interview. Das »Mini-Handbuch Agiles Arbeiten für Coaches & Trainer« ist seit dem 14.04.2021 im Buchhandel und unter beltz.de/ 978-3-407-36754-9 erhältlich.