PÄDAGOGIK – P.S. Reinhard Kahls Kolumne |
Das Üben neu entdecken |
»Man befürchtet im Augenblick nichts mehr als einen totalen Bankrott und vergisst dabei die weit gefährlichere Zahlungsunfähigkeit in geistiger Hinsicht.« Das schrieb 1836 der dreiundzwanzig Jahre junge dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Der Satz klingt im Herbst 2008 merkwürdig aktuell und ahnungsvoll, während in New York die Banken krachen und keiner wirklich versteht, was da passiert. Das Zitat fand ich im neuen Buch von Dieter Thomä »Väter«*. Der in Sankt Gallen lehrende Philosoph untersucht darin den Wandel der wohl wichtigsten kulturellen Währung, des Generationenverhältnisses. Der Vater … … war einst Inbegriff einer unerschütterlichen Ordnung. Sie reichte vom Himmel über den König und den ganzen Staat hinunter in den Alltag der Familie. Väter hatten Macht und sie hatten Recht. Sie waren aber eher Ausführende der Vaterordnung als sie selbst. Das Zeitalter der Individuen war noch nicht angebrochen. Als der König geköpft wurde und die Gesellschaft mit der französischen Revolution neu gegründet werden sollte, versuchte man diese Vertikale zu fällen und stattdessen eine ebenso ausschließliche Horizontale zu ziehen: »Alle Menschen werden Brüder.« Schwestern gehörten noch nicht so recht dazu. Für Väter und Mütter allerdings war in der idealen Konstruktion einer egalitären Welt kein wirklicher Platz mehr. Der Raum für das Generationenverhältnis wurde eng. In den zugespitzten Phantasien der Revolutionäre sollten Kinder sogar nicht mehr zu ihren Eltern, sondern dem Staat gehören. Bei Pink Floyd … … heißt es schließlich: »Daddy's gone across the ocean, leaving just a memory, a snapshot in the family album …« Abgesänge der vaterlosen Gesellschaft waren mal Klagelieder über deren Verfall und manchmal sogar im selben Song Hymnen auf den Ausstieg aus der Generationenfolge: »Hey teacher, leave the kids alone«, geht es bei Pink Floyd weiter, »all in all it's just another brick in the wall«. Für die Herkunftsverweigerung gab es in Deutschland noch zusätzliche Gründe. P.S. Nach dem Abdanken von Gott und König gab es das große Programm der Moderne »Himmel auf Erden«, erst politisch-geschichtsphilosophisch und nach dessen Scheitern konsumistisch. Und was kommt, wenn dieser Rausch vorbei ist? Es bleibt eigentlich nichts anderes als »Erde auf Erden«. Deshalb nennt Thomä sein Buch »Väter«, eine »moderne Heldengeschichte«. Väter – und natürlich auch die Mütter – haben noch was vor. Wenn sie sich nicht mehr verkleiden und auch nicht mehr davonstehlen, können sie gar nicht anders, als in ihrem Alltag an einer Welt zu bauen, in der pompöse Ruinen wieder in Lebenswelten zurückgebaut werden. P.P.S. Kritik, Zustimmung oder Brainstorming: www.reinhardkahl.de |