Die Arbeitsfreude zur eigenen Sache machen
Wege aus dem Klage- und Jammertal
Drei kleine Gedankenexperimente zum Einstieg: Wenn morgen Ihre Schüler (plötzlich) Freude am Unterricht hätten – wie würden sie sich verhalten? Und wenn Sie als Lehrer ab morgen (noch mehr) Freude im Unterricht hätten – was wäre dann anders und woran könnten Ihre Schüler das merken? Schließlich: Wenn Sie genügend Geld zur Verfügung hätten, um in der Schule für mehr Freude zu sorgen – wofür würden Sie es ausgeben?
Freude in der Schule und im Unterricht, das ist – ausgesprochen oder indirekt – immer ein großes Thema im Schulalltag. Dabei geht es nicht nur ums Wohlfühlen, um gutes Klima und Arbeitsbedingungen. Mit Freude bei der Arbeit zu sein ist ein zentrales Element des Verständnisses vom humanen Lernen und Lehren.
Schon von Anfang an haben Schüler wie Lehrer ein empfindliches Sensorium dafür, ob etwas mit Freude gemacht wird. Schülerinnen und Schüler können genau ablesen, »wie der Lehrer drauf ist«, sie können gut einschätzen, ob den Lehrern das, was sie gerade tun, Spaß macht. Häufig sind die von den Schülern gewählten Indikatoren für solche Einschätzungen banal, aber doch aussagekräftig – z.B. wenn Lehrer »nur vorn an der Tafel stehen und quatschen, wenn sie jedes Jahr die gleichen Materialien verwenden, wenn sie nie Arbeitsblätter machen oder die Hälfte der Zeit nur Hausaufgaben nachrechnen und kontrollieren.«
Auf der anderen Seite haben Lehrkräfte meist ein gutes Gespür dafür, ob ihnen und ihren Schülern der Unterricht Freude macht. Sie lesen das ab an Reaktionen der Schüler, deren Unterrichtsbeteiligung, dem Unterrichtstempo und der Bereitschaft der Schüler, sich auf das Thema einzulassen, eigene Beiträge zu liefern. Dass der Unterricht so verläuft wie geplant, wird eher selten als Indikator für Freude an der Arbeit gesehen.
Wahrnehmen lernen, was (keine) Freude macht
Den Einschätzungen und Äußerungen der Lehrkräfte und Schüler liegt in der Regel die (falsche) Hypothese zugrunde: Schule und Unterricht sind gut, erfolgreich und persönlich erfüllend, wenn sie Freude machen. Genauso scheint aber auch der Umkehrschluss zu gelten: Was keine Freude macht, ist schlechter Unterricht, belastet, führt zu schlechten Ergebnissen und macht im schlimmsten Falle krank.
So ähnlich das Gespür für Arbeitsfreude im Unterricht und in der Schule bei Schülern und Lehrkräften auch sein mag, so unterschiedlich sind doch ihre Reaktions- und Verarbeitungsmöglichkeiten. Schülerinnen und Schüler können sich in der Regel untereinander über ihre Empfindungen und Einschätzungen austauschen. Das birgt zwar die Gefahr der Verstärkung von Vorurteilen durch Anpassung oder Gruppenzwang durch die vorherrschende Meinung, es bietet aber auch Gelegenheiten zu Abstimmung, Relativierung und Differenzierung. Lehrkräfte haben nur selten solche Gelegenheiten zur Abstimmung und Relativierung ihrer Einschätzung mit Menschen, die an ihrem Unterricht teilgenommen haben. Ob Unterricht Freude macht oder nicht, können sie meist nur allein für sich individuell einschätzen und dann darüber mit Kollegen sprechen. Nur selten haben Lehrkräfte die Möglichkeit, sich auf der Grundlage gemeinsamer Beobachtungen und Erfahrungen ausführlich und begründet mit Dritten über Freude im Unterricht auseinanderzusetzen. Meistens verständigen sich Lehrkräfte auf eine gemeinsame Einschätzungslinie in informellen Gesprächen im Lehrerzimmer oder gar schon durch kurze Kontakte auf dem Flur. So bleiben viele Gespräche über das, was (keine) Freude im Unterricht macht, zu allgemein und vorurteilsgeprägt. Je ungenauer oder vermittelter die Sicht auf eigenen Unterricht ist, umso weniger kann man herausfinden, was dort (nicht) gelingt. Was für eine Auseinandersetzung über Arbeitsfreude in der Schule in der Regel fehlt, sind gemeinsame Beobachtungen und begründete Analysen. Deshalb können Verfahren wie Selbstwirksamkeitsanalysen, kollegiale Fallberatung, Feedback und Hospitation eine entscheidende Hilfe dafür bieten, überhaupt das erst wahrzunehmen, was Freude macht oder verhindert (vgl. die Beiträge von Bennewitz und Müller).
Überzeugung gewinnen, dass man etwas bewirken kann
Gemeinsam ist Lehrkräften wie Schülern auch die Einschätzung, wer denn wohl verantwortlich sein könnte für fehlende Freude im Unterricht: Fast immer ist es der Andere oder eine ausweglose Situation. »Bei Herrn X. macht’s einem einfach keinen Spaß!«, sagen Schüler und schieben damit dem Lehrer die Verantwortung zu, für Freude zu sorgen. »Die 8b macht mir keine Freude!«, sagen Lehrkräfte externalisierend und geben damit der Klasse oder Rahmenbedingungen die Verantwortung, ihnen Freude zu bereiten.
Die Vorstellung, dass Freude »gemacht« oder »bereitet« wird, lenkt vom eigenen Anteil und damit auch von der Verantwortung ab, (sich) Freude zu schaffen. Arbeitsfreude in der Schule hängt zwar ein ganzes Stück – aber doch lange nicht überwiegend – ab von den Rahmenbedingungen und dem Umfeld in der Schule (vgl. Beiträge von Thurn, Weimar und Sprenger), sie beruht aber mindestens in gleicher Weise auf den individuellen Voraussetzungen (vgl. Hillert) dem eigenen Selbstkonzept und dem eigenen Einsatz (vgl. Beiträge von Hillert, Müller, Sprenger). Notwendig für Arbeitsfreude sind Risikobereitschaft, Neugier, Lust zu spielen und etwas auszuprobieren (vgl. Beitrag von Riedl). Arbeitsfreude ist also keine einseitig ablieferbare Leistung oder gar ein fertiges Produkt, sondern eine Ergebnis individueller und gemeinsamer Bemühungen und angemessener Rahmenbedingungen (vgl. Abb. 1).
Es ist also ganz unmöglich, Arbeitsfreude einfach nur von anderen zu erwarten. Sie ist auch nicht einseitig von Lehrkräften an Schüler vermittelbar oder gar einfach zu verordnen. Möglich wird sie erst, wenn Lehrkräfte und Schüler selbst etwas dafür tun wollen, wenn sie Freude an ihrer und bei ihrer Arbeit haben und mit dem zufrieden sein wollen, was sie in Schule und Unterricht leisten. Arbeitsfreude setzt Einsatz voraus, sich auf neue und auch schwierige Situationen einzulassen und etwas zu riskieren und aufzugeben. Die Bereitschaft, etwas für Arbeitsfreude zu tun und einen Einsatz zu leisten, ergibt sich nicht von selbst, sie ist auch keine Frage des Temperaments oder Wissens. Ob Menschen bereit sind, ihren Teil zur Arbeitsfreude einzubringen, hängt wesentlich ab von ihren Vorstellungen und ihrer Bereitschaft zur Selbstwirksamkeit – also der Überzeugung, selbst etwas bewirken und erreichen zu können.
Analysieren statt jammern
Dass sich solche Überzeugungen bei Lehrkräften wie Schülern bilden, wird erheblich erschwert
Behindert wird die Bildung von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aber auch durch Lehrer und Schüler selbst, wenn sie auf dem Hintergrund dieser Erschwernisse resignieren, jammern oder Schuld und damit auch Lösungen bei externen Ursachen suchen, die sie angeblich nicht beeinflussen können. Wer meint, dass Arbeitszufriedenheit nicht mehr in der eigenen Macht und Möglichkeit liegt, wird nicht nur schneller unzufrieden und wirkungslos, sondern er läuft auch Gefahr, nach falschen Ersatz-Lösungen zu suchen. Eine verbreitete Lösung im Schulbereich ist die Verlagerung des Anspruchs an Freude und Zufriedenheit in den ausschließlich privaten Außenbereich. Sinn und Freude machen dann kompensatorisch fast nur noch die Dinge, die außerhalb von Schule und Unterricht liegen. Sie verbessern den Unterricht nicht, helfen ihn aber vielleicht besser zu ertragen oder zu verdrängen.
Eine hilfreiche Strategie gegen Schuld-Zuschreibungen und Selbst-Entmachtungen und für eine Unterstützung der Selbstwirksamkeitsüberzeugung besteht darin, sich nicht in einen Jammer- oder Klagestrudel hineinziehen oder durch problematische Rahmenbedingungen erlahmen zu lassen, sondern die Arbeitssituation zu analysieren, Erfolgen und Hindernissen auf den Grund zu gehen. Dies hilft, Bereiche zu finden, in denen Aufbau und Stärkung von Freude an der Arbeit sinnvoll und erfolgversprechend sind. Dazu gibt es eine Reihe von Verfahren (vgl. Beiträge von Hillert und Müller). Instrumente wie die Erfolgs-Belastungs-Analyse (vgl. Abb. 2, Eikenbusch 1998, S. 65 ff.) können helfen, Belastungen zu erkennen, aber gleichzeitig auch Handlungsmöglichkeiten und Wege zur Steigerung der Arbeitsfreude zu finden.
Eigene Schritte gehen – für Freude sorgen
Natürlich gibt es Gefühlslagen und persönliche Situationen, in denen die Aufforderung unmöglich oder gar zynisch erscheint, doch – wenigstens in einem kleinen Bereich – etwas daran zu tun, mehr Freude zu haben und zu vermitteln. Und natürlich gibt es Rahmenbedingungen oder Umstände in Schulen, angesichts deren es einem völlig abwegig vorkommen muss, überhaupt von Arbeitsfreude zu sprechen. Es gibt derzeit viele problematische Entwicklungen und Zustände in der Schule, die die Zufriedenheit von Schülern und Lehrkräften deutlich beeinträchtigen und einschränken. Aber es gibt immer (noch) viele Möglichkeiten, sich auch bei schwierigen Bedingungen für Arbeitsfreude und ‑zufriedenheit bei Schülern und Lehrkräften einzusetzen. Freude an der Arbeit zu entwickeln und zu zeigen heißt eben nicht, Schwierigkeiten zu übersehen oder widersinnige Rahmenbedingungen zu akzeptieren, sondern sich ihnen zu stellen, sie nicht überhand nehmen zu lassen und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.
Dieses Heft will einige Wege aufzeigen, wie man als Lehrkraft im täglichen Unterricht – auch unter schwierigen Bedingungen – so handeln und die Schularbeit so gestalten kann, dass Arbeitsfreude und -zufriedenheit durch eigenes Mitwirken erreicht werden können. Es konzentriert sich dabei auf sieben zentrale Aspekte (vgl. Abb. 2) zur Verbesserung von Arbeitsfreude im Unterricht und in der Schularbeit:
Alle Beiträge zielen schließlich darauf, gegen selbstverordnete oder herbeigeredete Macht- und Freudlosigkeit anzugehen und die Möglichkeiten anzuerkennen und zu finden, die auch unter schwierigen Rahmenbedingungen (immer) noch bleiben.
Literatur
Eikenbusch, G. (1998): Praxishandbuch Schulentwicklung. Berlin
Dr. Gerhard Eikenbusch, Jg. 1952, ist Redaktionsmitglied von PÄDAGOGIK und Leiter der Deutschen Schule Stockholm.
Adresse: Karlavägen 25, 11431 Stockholm, Schweden
E-Mail: mail(at)eikenbusch.info
Aus: Pädagogik 10/2009