Die eigene Schule umbauen

Oder: Auf dem Weg zu einer neuen Schule

Die eigene Schule umbauen, das ist die komplexeste Aufgabe, vor der eine Schule stehen kann. Wie kommt es zu dieser Herausforderung? Wieso sind davon nahezu alle Schulen betroffen? Wie können Schulen reagieren? Was ist in einem solchen Umbauprozess zu beachten? Wie lassen sich die Etappen eines solchen Weges beschreiben? Die Einführung konkretisiert den Anspruch, strukturelle Veränderung und pädagogische Entwicklung zusammen zu denken.

Strukturelle Veränderungen …
Drei Beobachtungen gaben den Anstoß zur Bearbeitung dieses Themas:

Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Eltern und Schüler in mehreren Bundesländern mit Änderungen der Schulstruktur konfrontiert werden.

Der zweite Anknüpfungspunkt ist die Beobachtung, dass es eine ganze Reihe von Schulen gibt, die strukturellen Veränderungen keineswegs passiv hinnehmen, sondern gerade als Chance für einen pädagogischen Umbau nutzen wollen.

Der dritte Anknüpfungspunkt ist die Erfahrung, dass Berichte über derartige Umbauprozesse Anregungen für alle Schulen und damit Anregungen für alle Lehrerinnen und Lehrer bieten können – also auch für die, die nicht direkt von strukturellen Veränderungen betroffen sind.

Die sinkende Akzeptanz der Hauptschule auf der einen und die zunehmende Akzeptanz integrierter Schulformen auf der anderen Seite haben Prozesse in Gang gesetzt, in denen bislang getrennte Schulformen zusammengefasst werden. In Berlin, Bremen und Hamburg beispielsweise wird es in Zukunft neben dem Gymnasium nur noch eine integrierte Schulform geben. Dabei entstehen Stadtteilschulen, Regionalschulen oder Sekundarschulen.

In mehreren Bundesländern geht es außerdem um das längere gemeinsame Lernen über die vierjährige Grundschule hinaus. So entstehen sechsjährige Primarschulen oder gar Gemeinschaftsschulen nach skandinavischem Vorbild mit der Möglichkeit, zehn oder 13 Jahre gemeinsam in einer Schule zu lernen, in vielen Fällen auch mit der Einbeziehung eines »nullten« Jahres der Vorschulzeit.

Darüber hinaus kommt es in allen Schulformen zum Ausbau zu Ganztagsschulen.

Die Frage, warum das Schulsystem nur schrittweise, mit zahlreichen föderalen Sonderwegen und politischen statt pädagogisch motivierten Kompromissen umgebaut wird und welche Tendenzen dabei zu beobachten sind, ist an anderer Stelle diskutiert worden (vgl. dazu Rösner 2009).

… eine Chance für pädagogische Entwicklung?
Bei allen Differenzen lässt sich eine Gemeinsamkeit dieser Umbauprozesse erkennen: Ziel ist, statt einer Trennung der Schülerinnen und Schüler in künstlich homogenisierte Gruppen das Anregungspotential von heterogenen Lerngruppen besser zu nutzen und die Nachteile einer vorzeitigen Selektion zu vermeiden. Genau das ist der Ansatzpunkt für einen pädagogischen Umbau. Immer dann, wenn Trennung abnimmt und ein bewusster Umgang mit Heterogenität zunimmt, ist die Entwicklung von individualisierten Lernformen und selbstregulierten Lernprozessen zwingend erforderlich.

Das inzwischen weitgehend akzeptierte Grundmuster pädagogischer Veränderungen ist, dass der einzelne Schüler soviel Verantwortung wie möglich für die Gestaltung seines eigenen Lernprozesses übernimmt. Die zu entwickelnden Voraussetzungen dafür sind: die Erarbeitung eines differenzierten Materialangebots durch Lehrerteams sowie die Förderung einer individuellen und teamorientieren Lernkompetenz.

Wer ist betroffen?
Welche Schulen und Schulformen sind aktuell von diesen Veränderungsnotwendigkeiten betroffen?

  • die Grundschule, wenn die Zeit des gemeinsamen Lernens verlängert werden soll (vgl. dazu den Beitrag von Berg in diesem Heft);
  • die Haupt- und Realschulen, wenn das mehrgliedrige System in ein zweigliedriges umgebaut werden soll (vgl. dazu den Beitrag von Paul/Trauthwein);
  • die Gesamtschulen, wenn sie entweder in eine Variante der Zwei­gliedrigkeit integriert werden oder sich offensiv zu Gemeinschaftsschulen weiterentwickeln (vgl. dazu den Beitrag von Höcker);
  • jede Schulform, wenn sie sich den Anforderungen einer Weiterentwicklung zur Ganztagsschule stellt (vgl. dazu ebenfalls den Beitrag von Paul/Trauthwein).

Auch im Gymnasium setzt sich angesichts der täglichen Erfahrung von Heterogenität immer häufiger die Erkenntnis durch, dass die Entwicklung einer neuen Lernkultur wichtig wäre, um der Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Die Anlässe für die Initiierung von Entwicklungsprozessen in dieser Schulform können sein:

  • Der Umbau in eine Ganztagsschule kann als Herausforderung zur Rhythmisierung des Lernens verstanden werden.
  • Die Anforderung zur Entwicklung einer Profiloberstufe kann zum Umbau des schulinternen Curriculums und zur Teamarbeit anregen (vgl. Sievers in PÄDAGOGIK 1/2010, siehe Kasten S. 9).
  • Die Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre kann als Herausforderung zur Veränderung des Lernens in der Sekundarstufe verstanden werden (vgl. dazu den Beitrag von Schüler in diesem Heft).

Darüber hinaus gibt es in allen Bundesländern – vor allem in städtischen Regionen – Schulen, die deshalb vor größeren Umstrukturierungsaufgaben stehen, weil in der Folge wirtschaftlicher Veränderungen das soziale Gefüge des Stadtteils zusammengebrochen ist: die so genannten Brennpunktschulen. Wie solche Schulen in sozialen Randlagen einen veränderten Handlungsrahmen nutzen, das beschreibt der Beitrag von Lange/Reese in diesem Heft.

Wie reagieren?
Alle Schulformen haben angesichts der aktuellen Veränderungen – wie immer – zwei Möglichkeiten der Reaktion:

  • Variante 1: Sie können defensiv auf Veränderungsangebote oder -anforderungen reagieren, d. h. den Herausforderungen ausweichen bzw. sie unterlaufen.
  • Variante 2a: Sie können offensiv reagieren, d. h. die Herausforderungen annehmen und die Chance einer äußeren Veränderung nutzen.
  • Variante 2b: Sie können den Anforderungen durch strukturelle Veränderungen zuvorkommen und unabhängig davon mit der Entwicklung einer neuen Lernkultur und einer inneren Arbeitskultur beginnen.

Wir haben Akteure solcher Umbauprozesse gebeten darzustellen, wie sie strukturelle Veränderungen für pädagogische Entwicklungen genutzt haben. Dabei hat sich die Erwartung bestätigt, dass alle Schulen aus diesen Erfahrungen lernen können:

  • Schulen, die direkt in solche Umbauprozesse involviert sind und die Verbindung eines Umbaus der Organisation mit Veränderungen der Lernkultur und der eigenen Arbeitskultur erproben;
  • aber auch Schulen, die noch in ihren bisherigen Strukturen bleiben und dennoch erfahren wollen, was sich bei einer Entwicklung der Lernkultur und der eigenen Arbeitskultur bewährt und wo mögliche Schwierigkeiten liegen.

Was ist zu beachten?
Auf die Frage, was bei der Umsetzung von strukturellen Umbauprozessen zu beachten ist, wollen wir zunächst kurz mit Erkenntnissen der Schulentwicklungsforschung antworten.

These 1: Auch wenn es »nur« um strukturelle Veränderungen geht, die die Verweildauer und die Zusammensetzung der Schülerschaft einer Schule betrifft, muss eine Frage ins Zentrum gerückt werden: Wie kann die Forderung nach struktureller Veränderung genutzt werden, um gemeinsam und systematisch an der Verbesserung des Lehrens und Lernens zu arbeiten. Denn strukturelle Veränderungen werden nur dann als sinnvoll erfahren, wenn sie nicht nur ein neues Organisationsmodell hervorbringen, sondern als Bedingung für eine Verbesserung der pädagogischen Arbeit bzw. als Chance für die Entwicklung einer neuen Lern- und Arbeitskultur erfahren werden.

These 2: Die gegenwärtigen strukturellen Veränderungen beinhalten im Kern einen Abschied von Homogenisierungsversuchen der alten Schule. Sie erfordern damit einen bewussten und gekonnten Umgang mit Heterogenität. Für Schulentwicklungsprozesse hat dies zur Konsequenz, dass schulinterne Professionalisierungsarbeit ein wesentliches Kriterium dafür ist, dass strukturelle Veränderungen so gelingen, dass sie einen Vorteil für die Schülerinnen und Schüler bedeuten.

These 3: Wenn strukturelle und pädagogische Veränderungen zusammen gedacht werden sollen, dann erfordert dies systematische Unterstützung auf mehreren Ebenen,

  • in der Entwicklung von Teamkompetenz des Lehrpersonals, um die Veränderungsprozesse sowohl der Organisation als auch des Unterrichts gemeinsam angehen zu können.
  • in der Entwicklung von Steuerungskompetenz, um diese beiden Seiten des Entwicklungsprozesses möglichst effektiv voranbringen zu können.
  • in der Entwicklung von Fähigkeiten zur Gestaltung von didaktischen Arrangements im Sinne eines individualisierten und selbstregulierten Lernens.

Hinweise zu Veränderungsprozessen
in der Sprache der Schulentwicklungsforschung sind Markierungen auf einer allgemeinen Ebene, die für den Alltag konkretisiert werden müssen. Diese Erwartung erfüllen vor allem die Erfahrungsberichte in diesem Heft.

Aber auch auf der allgemeinen Ebene soll die Frage noch weiter konkretisiert werden, was ein Kollegium bei der Gestaltung von Umbauprozessen beachten sollte; denn strukturelle Veränderungen treffen nicht nur Schulen, die geübt sind in Schulentwicklungsarbeit. Sie treffen auch unvorbereitete Schulen.

Der Veränderungsprozess im Bild eines Weges
Wir wollen deshalb die Frage, was bei der Umsetzung von strukturellen Umbauprozessen zu beachten ist, ein zweites Mal aufnehmen – hier mit der Metapher einer »Wanderung«. Dabei fragen wir:

  • Was ist unser Ziel?
  • Wer geht mit?
  • Welche Ausrüstung brauchen wir?
  • Was können wir bewältigen?
  • Wie können wir uns selbst orientieren?
  • Wann brauchen wir Hilfe von außen?
  • Was ist unser Ziel?

Wenn die oben entwickelte These gelten soll, dass der Schüler und sein Lernen im Mittelpunkt der Umbaumaßnahmen stehen soll, dann kann vielleicht als erste Zielmarkierung die Konzentration auf eine Lehrerhaltung helfen, mit der eine Trias von Respekt, Fürsorge und Konsequenz gegenüber jedem einzelnen Kind beschrieben wird. In deren Dienst müssen alle organisatorischen Einzelmaßnahmen stehen.

Der Arbeitskreis »Blick über den Zaun« (www.blickueberdenzaun.de) formuliert nicht zufällig an erster Stelle seiner Standards einer guten Schule unter dem Stichwort »Individuelle Förderung und Herausforderung«: »Die Schülerinnen und Schüler werden täglich persönlich begrüßt und verabschiedet, wenn sie in die Schule kommen bzw. die Schule verlassen.«

Respekt vor jedem einzelnen Kind und Jugendlichen, Fürsorge nicht nur für einen bloßen Zuwachs an Wissen, Konsequenz im täglichen Umgang miteinander kennzeichnen eine ›gute‹ Schule. Das könnte die leitende Kompasszahl für eine Zielbestimmung sein.

Wer geht mit?
Ein Umbauprozess, der nur von der Leitung oder einer Steuergruppe getragen wird, kommt auf Dauer nicht voran. Und: Eine Schule, die sich auf den Weg zu einer ›guten‹ Schule macht, darf sich auch nicht darauf beschränken, nur die Lehrer mitzunehmen.

Die Schulleitung hat allerdings eine wichtige Rolle: nach gemeinsamer Beratung muss sie die Ergebnisse bündeln und formulieren, wohin es für alle gehen soll. Sie wird allerdings immer damit rechnen müssen, dass einige Kolleginnen und Kollegen noch skeptisch oder widerständig sind. Dies ist bei einem kleineren Teil des Kollegiums angesichts der »Mühen der Ebene« ganz normal, bis die ersten Erfolge erfahrbar sind.

Bewährt hat sich in unbekanntem Gelände, wenn es Kundschafter und Schnellläufer gibt. Sie prüfen die Strecke. Vor der Einführung von neuen Vereinbarungen für die ganze Schule ist es deshalb gut, wenn einzelne Gruppen, Klassen, Jahrgänge Raum und Resourcen haben für »Pionierarbeiten«. Oft geht es gerade zu Beginn nur nacheinander und in kleinen Etappen, nachdem die Vorboten glaubhaft von der Erreichbarkeit des Zwischenziels berichten können.

Vielleicht muss man dem einen oder anderen Kollegen auch ein oder zwei Gepäckstücke abnehmen oder – gegen jede Regel – eine Abkürzung erlauben: Gerade in der Anfangsphase eines solchen Prozesses müssen nicht alle mit allem gleich belastet sein.

Und schließlich: Ein letzter geht nur ein Probestück mit und beschließt, dass dies nicht die richtige Reisegruppe für ihn ist.

Welche Ausrüstung brauchen wir?
Angesichts der Unübersichtlichkeit des Geländes ist jede Spezialausrüstung Ballast. Es gilt vielmehr, die Handlungsfähigkeit für jene Situationen zu erhöhen, die sich nicht voraussagen lassen! Das heißt: Entwicklungsprozesse brauchen eine Generalisierbarkeit der Handlungsfähigkeit, um Stabilität und Flexibilität in schwierigen Situationen zu gewährleisten. Der entscheidende Schlüssel dazu: Lehrerinnen und Lehrer müssen das in Deutschland tief verwurzelte Verständnis des »Einzelwanderers« überwinden.

Um handlungsfähig für Entwicklungsprozesse zu werden, muss ein Kollegium sich in kleine, flexibel handlungsfähige Einheiten aufteilen. Die Stärkung echter Kooperationsfähigkeit ist eine zentrale Voraussetzung zur Bewältigung dieses Weges.

Der Aufbau einer schulinternen Teamkultur gelingt nur, wenn zwei Dinge beachtet werden:

Jedes Team muss ganz eng am Alltag der Lehrerarbeit orientiert sein; nur wenn damit alltägliche Anforderungen erleichtert werden, wird diese Arbeitsform angenommen. Und:

Beim Aufbau von Teamarbeit bedarf es klarer Prioritäten der Schulleitung: personelle, organisatorische, zeitliche und räumliche Ressourcenverteilung müssen sich an diesen Struk­turanforderungen orientieren. Werden diese Ausrüstungsvorschriften nicht beachtet, kann das zum Abbruch der Wanderung wegen Überlastung führen.

Was können wir bewältigen?
Für den Umgang mit dem Kräftehaushalt bei unserer Wanderung gibt es vier nützliche Hinweise:

  1. Um den laufenden Betrieb zu bewältigen, werden 90  Prozent der Kraft benötigt. Die Kinder, die jetzt da sind, fordern heute ihr Recht. Maximal zehn Prozent zeitlicher und personeller Ressourcen können dauerhaft unmittelbar in den Entwicklungsprozess investiert werden.
  2. Für jede Aktivität, die in einer lebendigen Schule neu eingeführt wird, muss eine andere wegfallen. Deshalb gilt auch hier der paradoxe Satz: Weniger ist mehr. Um Zeit für die angesprochenen Veränderungen zu gewinnen – z. B. für eine Klassenlehrerdoppelstunde im Klassenleiter-Team – gilt es, intelligente Lösungen zu finden. So gibt es inzwischen eine Reihe von Schulen, die die 45 Minuten-Schulstunden durchgehend auf 40 Minuten reduziert haben und die gewonnene Lehrerzeit für pädagogisch wichtige Tätigkeiten verbindlich einsetzen können (mehr dazu in PÄDAGOGIK 1/2010.
  3. Nachhaltige Entwicklungsprozesse dauern in der Regel fünf bis zehn Jahre. Bewährt hat sich deshalb eine Strukturierung des Umbauprozesses in drei Zeithorizonten: Was wollen wir am Ende des laufenden Schuljahres erreicht haben, was am Ende des kommenden Jahres, was nach fünf Jahren?
  4. Die wichtigste Ressource ist der Mensch. Wer solche Zeithorizonte ins Auge fasst, der erkennt: Nicht das aufgeschriebene Programm, nicht das perfekte Organisationsmodell sind die entscheidende Ressource; die wichtigste Ressource sind die Menschen. Respekt, Fürsorge und Konsequenz müssen auch hier als Handlungsmaßstab gelten.

Wie können wir uns orientieren?
Gerade in unmarkiertem Gelände möchte jede Wandergruppe wissen, ob sie auf dem richtigen Weg ist. Das heißt anhalten, überprüfen und gegebenenfalls neu orientieren.

Solche Zwischenstopps, bei denen auf dem Weg die Karten herausgeholt werden, heißen im Entwicklungsprozess heute Evaluation. Sie sind ein immer noch unterschätztes Geheimnis erfolgreicher Entwicklungsarbeit. Wer wissen will, ob das, was er geplant und erprobt hat, auch die gewünschte Wirkung hatte, der muss der Planung und der Erprobung als dritten Schritt die Überprüfung folgen lassen. Der Blick in die Entwicklungspraxis zeigt aber, dass sich dieser dritte Schritt nicht als »natürlicher« Teil von Entwicklungsarbeit aufdrängt, sondern häufig unterbleibt. Auch hier sind überfrachtete Ansprüche oft ein Hindernis.

Was man auf einer Wanderung tut, ist auch für Schule hilfreich: andere Wanderer auf dem Weg befragen. Es gibt Nachbar-Schulen, die interessante Lösungen für das eine oder andere Problem längst ausprobiert, verworfen oder weiterentwickelt haben. Der »Blick über den Zaun« lohnt. Auch die Lektüre von Wegbeschreibungen bzw. Erfahrungsberichten kann lohnen. Allerdings muss man sich dafür Zeit nehmen. Ein direkter Transfer ist in der Regel nicht möglich. Sehr wohl aber könnten aus der genauen Kenntnis des Nachbarn entscheidende Anregungen dafür hervorgehen, die eigene Lösung zu finden. Voraussetzung für einen erfolgreichen Transfer ist, dass die Lösungen der anderen mit Blick auf die Bedingungen der »suchenden« Schule neu »angeeignet« werden. Beschränkt man sich nur auf einen hastigen »Blick über den Zaun«, dann bleibt in der Regel alles beim Alten.

Wann brauchen wir Hilfe von außen?
Eine Schule, die nicht bereit ist, einen neuen Weg zu prüfen, braucht auch keine Hilfe von außen. Kein Bergführer trägt seine Gruppe auf den Gipfel. Eine wanderwillige Gruppe aber kann er ermutigen. Er wird vor unwegsamen Passagen warnen, das richtige Tempo empfehlen, wenn die Gruppe am Anfang zu schnell losstürmt oder bei drohendem Unwetter der Gruppe rechtzeitig einen geschützten Platz weisen.

Die wichtigste Funktion eines externen Schulberaters ist eine Anleitung zu der eben beschriebenen Zwischenstopp-Routine: »Anhalten–Überprüfen – das nächste Zwischenziel festlegen«. Es ist nicht leicht, diesen Dreischritt zum – scheinbar verlangsamenden – Planungstakt einer Institution werden zu lassen: Der pädagogische Alltag erzeugt einen Dauerdruck, der das Anhalten erschwert. Und nicht zuletzt ist es auch unangenehm, wenn man vor sich und den Kollegen eingestehen muss, dass man das selbst gesteckte Ziel nicht erreicht hat. Hier wirkt ein Außenstehender, der nicht »betriebsblind« ist, hilfreich. Er wird dafür bezahlt, die Vorsätze, die man gemeinsam gefasst hat, in Erinnerung zu rufen. Er hat eine gewollte Kontrollfunktion, die kein Beteiligter leisten kann: Unnachgiebig muss er Verbindlichkeit und Präzision der Verabredungen über die nächsten und übernächsten Schritte einfordern: Was? Wer? Wann? Mit welchen Mitteln?

Wie ein solcher Prozess der Schulberatung konkret aussehen kann, davon berichtet der Beitrag von Wildt in diesem Schwerpunkt.

Und wie geht das praktisch?
Mit den nun folgenden Erfahrungsberichten werden Sie von verschiedenen Schulen mit auf den Weg genommen. In allen Fällen geht es ganz konkret um einen professionellen Umgang mit Heterogenität in einer veränderten Schule – und das unter immer wieder anderen Bedingungen.


Literatur
Rösner, Ernst (2009): Auf dem Weg zum zweigliedrigen Schulwesen? Warum sich das Schulsystem ändert und was dabei herauskommt. In: PÄDAGOGIK H. 1/2009, S. 42 ff.

Dr. Johannes Bastian, Jg. 1948, ist Professor für Schulpädagogik an der Universität Hamburg und Redaktionsmitglied von PÄDAGOGIK.
Adresse: Rothenbaumchaussee 11, 20148 Hamburg
E-Mail: bastian(at)uni-hamburg.de

Dr. Otto Seydel
, Jg. 1945, ist Leiter des Instituts für Schulentwicklung.
Adresse: Institut für Schulentwicklung, In den alten Gärten 15, 88662 Überlingen
E-Mail: otto.seydel(at)t-online.de | Internet: www.schulentwicklung-net.de


Aus: Pädagogik 5/2010