Kulturelle Bildung hat Konjunktur, und sie wird massiv gefördert. Aber nicht nur deswegen interessieren sich viele Schulen dafür. Es geht ihnen auch darum, ein eigenes, unverwechselbares Profil zu entwickeln und die Bildungsangebote des Stadtteils zu nutzen. Aber kulturelle Schulentwicklung ist anspruchsvoll und oft mühsam. Worauf kommt es dabei an? Welche Unterstützung ist sinnvoll und notwendig?
Man könnte sagen: Kulturelle Bildung in die Schule bringen zu wollen ist wie Eulen nach Athen tragen, denn schließlich sind die Schulen geradezu dafür geschaffen worden, Kultur zu vermitteln. Dies gilt für die allerersten Schulen überhaupt, die philosophischen Akademien des alten Griechenlands ebenso wie für die Klosterschulen des Mittelalters, es gilt aber auch für die kirchlichen Volksschulen der frühen Neuzeit und erst recht für das Gymnasium in der Tradition Wilhelm von Humboldts. Warum also ein Themenschwerpunkt zur kulturellen Schulentwicklung?
Weil es so einfach nicht ist! Zunächst einmal ist kulturelle Bildung etwas anderes als kulturelle Schulentwicklung: Ließe sich das erste noch über Themen und Praktiken beschreiben, so kommt bei der kulturellen Schulentwicklung ein ganzheitlicher Anspruch hinzu. Kulturelle Bildung wird hier zum Entwicklungsprinzip einer Schule insgesamt, also zum Treiber und Zielperspektive einer strategisch angelegten, langfristig geplanten Schulentwicklung, bei der es nicht nur um die Gestaltung der Inhalte, sondern auch um die Prinzipien und Methoden des Unterrichts geht. Dazu später mehr.
Für einen Themenschwerpunkt zur kulturellen Schulentwicklung gibt es äußere Gründe, und es gibt Anlässe, die in den Schulen selbst liegen.
Zu den äußeren Gründen gehört eine – man muss es so nennen! – Offensive, die in den letzten zehn Jahren nicht nur vom Bundesbildungsministerium, sondern auch von diversen großen Stiftungen begonnen worden ist und seitdem mit langem Atem vorangetrieben wird. So hat die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) im Jahr 2004 das Netzwerk »Kultur macht Schule« ins Leben gerufen. Die Kulturstiftung der Länder hat den Wettbewerb »Kinder zum Olymp« ausgelobt, die Mercator-Stiftung hat gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes das Programm »Kulturagenten« gestartet und wiederum die BKJ den Kooperationswettbewerb »Mixed up«, in Hamburg wurde das Jahr 2009 zum »Jahr der Künste« ausgerufen, in Berlin gab es schon drei Jahre vorher die »Offensive Kulturelle Bildung«; dort hat das Abgeordnetenhaus ein Rahmenkonzept »Kulturelle Bildung« verabschiedet. Das sind nur einige Beispiele für vielfältige Aktivitäten auf kommunaler und überregionaler Ebene. Kulturelle Bildung ist zweifellos angesagt, und sie wird massiv gefördert.
Aber es gibt auch Gründe, die in den Schulen selbst liegen. Es ist mittlerweile zum Gemeingut geworden, dass Schulentwicklung vor allem dann erfolgreich sein kann, wenn sie den Unterricht erreicht, ihn verändert und letztlich verbessert. Dazu braucht Schulentwicklung einen inhaltlichen Fokus, der geeignet ist, die vielfältigen Aktivitäten aufeinander zu beziehen und miteinander zu verknüpfen. Und hierfür eignet sich – neben manchen anderen möglichen inhaltlichen Schwerpunkten – auch die kulturelle Bildung. Eine Schule, die sich als »Kulturschule« definiert, setzt sich damit ein umfassendes inhaltliches Ziel, das sich hervorragend als Leitplanke für eine inhaltliche und organisatorische Weiterentwicklung des Unterrichts eignet.
Und so treffen die äußeren Anstöße inzwischen häufig auf eine intrinsische Motivation von Schulleitungen und Lehrkräften; die oben genannten Programme und Wettbewerbe rennen offene Türen ein. Viele Schulen nutzen gern die Anreize und Hilfen, die ihnen von Stiftungen und Kommunen angeboten werden; davon zeugen auch fast alle Beispiele dieses Themenschwerpunkts. Sie machen auch deutlich, dass es dabei keineswegs um die Betonung des klassischen Unterrichts in den drei künstlerischen Fächern Musik, Bildende Kunst und – inzwischen in vielen Ländern von wachsender Bedeutung – Darstellendes Spiel/Theater geht. Charakteristisch sind vielmehr die vielfältigen Kooperationen mit Künstlern und Kultureinrichtungen und damit die Öffnung von Schule und Unterricht für externe Expertinnen und Experten sowie die projektartige Arbeit in anspruchsvollen Vorhaben mit außerschulischen Partnern. Solche Kooperationen verändern die Schule, und sie haben einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Unterrichts. Folgende Aspekte sind dabei bedeutsam:
Strukturen und Ressourcen
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass eine der größten Herausforderungen darin liegt, die vielen großen und kleinen Projekte der Anfangsphase in eine gezielte, langfristig angelegte und institutionell abgesicherte Entwicklung zu überführen. Die größte Gefahr besteht umgekehrt darin, sich in hervorragenden, aber aufwändigen Projekten zu verausgaben und im Anschluss daran nicht mehr ausreichend Kraft zu haben, die gewonnene Erfahrung für die Weiterentwicklung zu nutzen. Kulturelle Schulentwicklung benötigt also Strukturen und Ressourcen.
Zu den Strukturen gehört vor allem eine im Kollegium verankerte, professionell arbeitende Planungsgruppe, die idealerweise von einem Kulturbeauftragten geleitet wird (vgl. u. a. den Beitrag von Ahrens-Nebelung). Ihre Aufgabe besteht darin, einen langfristig angelegten Entwicklungsplan zu erarbeiten, der die konkreten Vorhaben miteinander verknüpft und für die Zukunft absichert. Die Kolleginnen und Kollegen in der Planungsgruppe und insbesondere der Kulturbeauftragte müssen für diese Tätigkeit qualifiziert werden, denn Projektmanagement, Fundraising und die Erarbeitung von Entwicklungsplänen benötigen besondere Qualifikationen, die nicht vorausgesetzt werden können. Aus diesem Grund wird in einigen der derzeit laufenden Projekte wie z. B. im Programm »Kulturagenten« darüber nachgedacht, wie diese Personengruppe qualifiziert werden kann.
Und natürlich muss diese Planungsgruppe auch mit Zeitressourcen ausgestattet werden, damit sie ihren Auftrag erfüllen und bei Bedarf entsprechende Fortbildungen absolvieren kann. Hinzu kommt, dass vor allem für die Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern auch Geldmittel zur Verfügung stehen müssen. Darin liegt gerade für die von Stiftungen ins Leben gerufenen Projekte eines der größten Probleme: Wie können die mit Stiftungsmitteln angeschobenen Kooperationsprojekte aufrecht erhalten werden, wenn diese Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen? Die Schulen selbst verfügen in vielen Fällen nicht über die erforderlichen Gelder; aus diesem Grund spielt das Fundraising in der Kulturellen Schulentwicklung eine wichtige Rolle. Dies wird aber nicht jeder Schule in gleicher Weise gelingen können, dazu sind die Rahmenbedingungen zu unterschiedlich. Es macht einen Unterschied, ob eine Schule in einem gut situierten Stadtteil mit bildungsorientierter Elternschaft liegt oder in einem sozialen Brennpunkt. Daher wird es eine wichtige Frage an die Politik sein, ob kulturelle Schulentwicklung vor allem ein Privileg der besser gestellten Schulen sein soll oder ob sie, wie das Beispiel des Kulturanums in Jena zeigt (s. den Beitrag von Müller), gerade auch in benachteiligten Stadtteilen möglich gemacht werden soll.
Innerhalb der Schule wird es auch darum gehen, die kulturellen Vorhaben und Projekte strukturell abzusichern. Wie kann der Schulalltag so gestaltet werden, dass die oft anspruchsvollen und zeitaufwändigen Kooperationen und Projekte darin Platz finden? Hier entstehen durch die Entwicklung der meisten Schulen in Richtung von Ganztagsangeboten neue Möglichkeiten, die aber noch nicht überall systematisch genutzt werden. Auch durch die systematische Verbindung von Fächern in einem Lernbereich Künste können neue Potentiale entstehen.
Florack und Wichmann weisen in ihrem Beitrag zu Recht darauf hin, dass künstlerische Projekte oft Phasen eines kreativen Chaos beinhalten, für die im Schulalltag eine gewisse Toleranz und Geschmeidigkeit nötig ist. Der Umgang damit ist also ein entscheidender Lernprozess, den eine Schule auf dem Weg zur Kulturschule durchlaufen muss – die Schule verändert sich gleichsam in ihren Grundfesten, wenn sie kulturelle Schulentwicklung betreibt. Die kulturelle Bildung lässt sich weder auf den Inhalt noch auf zusätzliche Angebote beschränken, sie wird zum konstitutionellen Bestandteil des Unterrichtsalltags und erfordert damit umfassende, nicht immer leicht zu bewältigende Lernprozesse von allen Beteiligten. Braun (2012) warnt zu Recht vor der »Schonraumfalle«: »Im Sinne einer Integration eines willkommenen Anderen/Fremden bemühen sich die Vertreter(innen) der Schule in der Regel, temporäre Schonräume einzurichten, innerhalb derer ein künstlerisches Arbeiten der Kooperationspartner mit den Kindern und Jugendlichen ermöglicht wird. (…) Dieser Umgang [beinhaltet] eine Unterscheidung zwischen den ›zusätzlichen‹ Kunst- und Kulturprojekten und der ›eigentlichen‹ Schulidentität.« (S. 723). Vor dem Hintergrund dieser Analyse verlangt Braun einen »Perspektivwechsel«: »Die Bedeutung der ästhetisch-künstlerischen Praxis liegt nicht nur in der Erweiterung der schulischen Bildungsarbeit durch Kooperationsprojekte. Vielmehr geht es darum, sie als zentrale Dimension des Schullebens zu etablieren, von der aus die gesamte Organisationsentwicklung wie auch die Unterrichts- und Personalentwicklung stattfinden« (ebd.).
Mit Hilfe einer Checkliste (siehe Abb. 1) kann jede Schule überprüfen, wie weit sie auf dem Weg zur Kulturschule bereits vorangekommen ist. Dieser Weg ist manchmal mühsam und beschwerlich, aber die Erfahrungsberichte dieses Schwerpunktes zeigen ganz deutlich: Er lohnt sich. Und wenn es manchmal besonders schwierig ist, hilft der Gewährsmann der deutschen Hochkultur, Johann Wolfgang von Goethe: »Auch aus Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du etwas Schönes bauen«.
Literatur
Dr. Jochen Schnack ist Leiter der Deutschen Internationalen Schule in Boston (USA) und Mitglied der Redaktion von PÄDAGOGIK.
Adresse: 57 Holton Street, Boston, MA 02134, USA
E-Mail: jochen.schnack(at)gmx.info
Aus: Pädagogik 6/2014
Aus: Pädagogik 6/2014