Rahmen für Herausforderung und Unterstützung

Was sind Lernarrangements und wie werden sie bestimmt? Was sind die Aufgaben des Lehrenden in Lernarrangements und was ist typisch für die Lernenden? Bei den Lernenden rückt selbstgesteuertes Lernen als zentrale Bildungsaufgabe ins Zentrum. Bei den Lehrenden geht es um die Gestaltung von Lernumgebungen, die Lernende beim Erwerb von Wissen, fachlichen Kompetenzen und Lernkompetenz unterstützen.

Lange bevor ich mich mit Fragen von Lehrer(innen)ausbildung, Unterrichtsgestaltung und Schulentwicklung auseinandergesetzt habe, hatte ich bereits gute Gründe dafür, mir zum Thema »Lernarrangements« Gedanken zu machen. In den 1970er Jahren studierte ich Sozialarbeit mit dem Schwerpunkt Jugendarbeit und Weiterbildung. In diesem Kontext sammelte ich erste Praxiserfahrungen mit dem Versuch, Lernprozesse in Gang zu setzen. Im Rückblick halte ich das für einen Glücksfall, weil dieser Kontext weit genug entfernt von Schule war, um all die »Selbstverständlichkeiten«, die ich im Laufe meiner eigenen Schulzeit über Lernen internalisiert hatte, gehörig in Frage zu stellen. Bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Wochenendseminaren mit Jugendlichen stießen wir in unserer Projektarbeit auf lauter wichtige Sachverhalte: Auswahl und Begründung von Lerninhalten, an den Interessen der Beteiligten anknüpfen, geeignete Methoden und Materialien finden, höchst unterschiedliche Lernvoraussetzungen, soziale Erfahrungen und Anstrengungsbereitschaften sowie legitime andere Bedürfnisse wie Entspannung und Erholung waren unter einen Hut zu bringen. Wir hatten nicht einmal Begriffe dafür – Lebensweltorientierung, Individualisierung, Umgang mit Heterogenität und Selbstgesteuertes Lernen hatten ihre Karriere damals noch vor sich.

Unmissverständlich klar wurde uns jedoch, dass Bildungsprozesse eines anregenden Settings bedürfen, wenn sie erfolgreich verlaufen sollen. Und dass dies nur funktioniert, wenn vielfältige Zugänge zu den Themen, abwechslungsreiche methodische Verfahren und unterschiedliche Arbeitsformen angeboten werden. Schließlich erwies sich als mindestens ebenso wichtig die Einsicht: Lernende kommen nicht nur mit dem Kopf – sie bringen den ganzen Menschen mit und brauchen ein Klima, in dem sie sich angenommen und respektiert fühlen. Sie brauchen Zeit, Zuwendung und Ermutigung, aber auch Rückzugsmöglichkeiten. Dies alles war zu berücksichtigen, wenn eine sinnvolle Gliederung des Ablaufs in Arbeits- und Freizeitphasen gelingen sollte. All diese Einsichten laufen für mich zusammen in dem Begriff »Lern­arrangement«. Damit wird er allerdings zu einem sehr weiten Mantel und steht in der Gefahr, wenig präzise zu sein.

Wie werden Lernarrangements in der Pädagogik definiert?

Hilbert und Meinert Meyer (2013, S. 35) sprechen von »den im Schulalltag realisierten vielfältig-bunten Lehr-Lernarrangements«, die klar abzugrenzen seien von Grundformen des Unterrichts, die diesen in unterschiedlicher Kombination zugrunde liegen können. Wichtig daran ist zunächst einmal die Erweiterung: Lernarrangements sind immer Lehr-Lern­arrangements. Die Verantwortung für die Gestaltung von Lernumgebungen und Lernsituationen bleibt auf der Seite der Lehrenden. Dass es ihnen darum gehen sollte, die Lernenden darin aktiv und mit zunehmender Eigenverantwortung einzubeziehen, ändert daran nichts.

Die zweite Botschaft lautet: Wir müssen im Folgenden nicht in erster Linie über die Vorzüge und Probleme individualisierenden, lehrgangsförmigen und kooperativen Unterrichts reden – das sind die von den Autoren idealtypisch unterschiedenen Grundformen.

Damit müssen wir uns auch nicht erschöpfen in unfruchtbaren Kon­troversen über konkurrierende Unterrichtsmethoden. Wir wenden uns eben jenen »vielfältig-bunten« Arrangements der Alltagspraxis zu, die quer zu den verschiedenen Grundformen darauf zielen, Lernende beim Erwerb von Wissen, fachlichen Kompetenzen und Lernkompetenz zu unterstützen. Die folgende Definition bringt das klar zum Ausdruck:
»Unter dem Begriff ›Lehr-/Lernarrangement‹ wird kurz gesagt die Gestaltung eines Lernprozesses durch Lehrende unter bestimmten didaktischen und methodischen Gesichtspunkten verstanden. Ziel ist die didaktisch-effektive Aufbereitung und Gestaltung der Lerninhalte und Lernzusammenhänge für eine optimale Vermittlung und Aneignung von Fach- und Handlungswissen sowie von Lern- und Arbeitstechniken.« (k.o.s. 2012, S. 2 f.)

Selbstgesteuertes Lernen wird dabei als zentrale Bildungsaufgabe ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Es wird gleichzeitig als Voraussetzung für jegliches Lernen, als Methode und als Ziel gesehen (vgl. Weinert 1982). Voraussetzung ist es insofern, als Erschließung neuen Wissens immer ein Mindestmaß an Selbststeuerung voraussetzt. Nur der Lernende selbst kann neue Informationen kognitiv verarbeiten – man kann Schülerinnen und Schüler nicht »lernen machen«.

Dementsprechend sollen Methoden eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand ermöglichen. Lernende brauchen Handlungsspielräume zur Gestaltung des eigenen Lernprozesses. Das schließt auch eigene Zielformulierungen ein. Diese Ziele müssen sowohl in Bezug auf die fachlichen Inhalte als auch auf den Erwerb von Strategien zur selbstständigen Wissenserschließung formuliert werden. Das gelingt am besten durch die Bearbeitung herausfordernder Aufgaben, in denen der Kompetenzerwerb angeregt, unterstützt und reflektierend begleitet wird. Hilfsmittel dazu können Logbücher, Lerntagebücher oder auch ein Lernportfolio sein.

Dies alles geschieht nun in sozialen Interaktionen – sowohl zwischen Lernenden und Lehrenden als auch zwischen den Lernenden unterein­ander. Dass hierfür die von Meyer und Meyer (2013) beschriebenen Grundformen des Unterrichts höchst unterschiedliche Rahmenbedingungen setzen, ist offensichtlich. Als integrierendes Dach haben die Autoren zudem einen Bereich »Gemeinsamer Unterricht« definiert, der solche Aktivitäten umfasst wie Klassenstunde oder Klassenkonferenz, Gespräche im Stuhlkreis, gemeinsame Planungen, Problembesprechungen, aber auch Feste, Ausflüge – kurz: alle zum Schulleben gehörenden Äußerungsformen, die Lerngruppen beschäftigen. Sie sprechen diesem Bereich eine »dienende Funktion« (ebd., S. 40) zu, weil hier Grundlagen für das soziale Miteinander und die Organisation der gemeinsamen Arbeit gelegt werden.

In all diesen Bereichen werden tagtäglich – mehr oder weniger reflektiert – Lehr-Lernarrangements realisiert. Jede Lehrkraft tut dies und entwickelt dabei in aller Regel einen eigenen Stil, eignet sich ein unterschiedliches Spektrum von Variationen an und stimmt ihre Auswahl auf die jeweiligen Lerngruppen sowie situationsspezifische Ereignisse und Besonderheiten ab.

Gestaltung von Lehr-Lernarrangements als Teil professioneller Kompetenz

In guten Schulen verständigen sich Kollegien dabei in der Regel auf grundlegende Prinzipien. Sie tauschen sich aus über Erfahrungen, Erfolge und Probleme. Im Idealfall entwickeln und erproben sie neue Formen und vergewissern sich, welche Wirkungen damit erzielt wurden: Kommt man den angestrebten Zielen näher? Welche unbeabsichtigten Risiken und Nebenwirkungen sind möglicherweise aufgetreten? Profitieren bestimmte Kinder oder Jugendliche in unterschiedlicher Weise von unterschiedlichen Lernumgebungen? Welche Modifizierungen sollten vorgenommen werden? Welche Helfersysteme erweisen sich als nützlich?

Der Ort für solche Kooperation kann sehr unterschiedlich sein: Jahrgangs- oder Stufenkonferenzen, Fachkonferenzen oder gemeinsame Aktivitäten im Rahmen fächerübergreifender didaktischer Planung bieten vielfältige Möglichkeiten. Zuweilen löst schulinterner Problemdruck gezielte Anstrengungen aus: Wie gehen wir mit dem zunehmendem Ausmaß an Schulverweigerung, an Konflikten bis zu gewalttätigen Ausein­andersetzungen oder auch mit der aus Unterforderung mancher Schüler resultierenden Langeweile um? Umgekehrt beflügeln auch Anregungen durch entsprechende Programme, motivierende Weiterbildungserfahrungen oder die Einbindung in schulische Netzwerke die didaktische Phantasie und innerschulische Kooperationsfreude. Häufig übernimmt gerade die Mischung von eigenem Pro­blemdruck und der Zugkraft äußerer Anreize die Initialzündung.

An zwei Beispielen aus entsprechenden Kontexten soll verdeutlicht werden, welche Chancen für nachhaltige Schulentwicklung gerade in der kollegialen Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Reflexion von Lehr-Lernarrangements stecken.

Beispiel I: Der Klassenrat als basisdemokratische Institution
Dabei beginnen wir mit dem Bereich des »Gemeinsamen Unterrichts« und den dort anzusiedelnden Lerngelegenheiten, die eine Basis für produktive gemeinsame Arbeit legen wollen. Die Wurzeln eines solchen Lernarrangements sind in der reformpädagogischen Tradition zu finden, die Selbst­organisation und Eigenverantwortung der Kinder in besonderer Weise betont. Das gilt für viele Pädagoginnen und Pädagogen der Epoche zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das ja als »Jahrhundert des Kindes« ausgerufen wurde. Das Konzept des Klassenrats geht nun zurück auf Überlegungen von Celestin Freinet (1979), die insbesondere in der Grundschulpädagogik etwa ab den 1970er Jahren eine Renaissance erlebten. Im Zen­trum steht hier die Festlegung von Regeln für die Arbeit und den Umgang miteinander, die Präsentation von Arbeitsergebnissen sowie deren gemeinsame Bewertung und Bilanzierung (vgl. Friedrichs 2009). Gleichzeitig ist die Klassenversammlung auch der Ort, Beziehungsprobleme zu besprechen und Konflikte zu lösen. Im Kasten (vgl. S. 9) wird der Ansatz näher konkretisiert.

Beispiel II: Service-Learning: Unterricht und gesellschaftliches Engagement
Unser zweites Beispiel ist dem Bereich kooperativen Unterrichts zuzuordnen und projektförmig angelegt. Es fußt auf einem in den USA bereits in den 1970er Jahren verbreiteten Ansatz, der ebenfalls in reformpädagogischen Überlegungen – in diesem Falle vor allem anknüpfend an John Dewey – zu verorten ist (vgl. Seifert 2011, S. 34 ff.). Gesellschaftliches Engagement von Lernenden soll verbunden werden mit fachlichem Lernen im Unterricht. Gleichzeitig sollen dabei Kinder und Jugendliche verstärkt erfahren, dass schulisches Wissen und Können in realen Kontexten sinnvoll angewendet werden kann.

Im Unterschied zu den zuvor vorgestellten Überlegungen zum Klassenrat zielen Kompetenzerwerb und -vermittlung hier also auf Erarbeitungen von Problemlösungen, die über das schulische Umfeld hinausweisen. Der Radius des Lernens wird über die schulische Lernumgebung hinaus deutlich erweitert, außerschulische Partner werden einbezogen. Im Kasten (vgl. S. 10) wird dies exemplarisch beschrieben. Auf die dort skizzierten komplexen Aktivitäten müssen die Lernenden in der Schule inhaltlich gut vorbereitet und kontinuierlich dabei beraten werden – und die gesammelten Erfahrungen müssen im laufenden Prozess immer wieder gründlich reflektiert werden.

Was macht den »innovativen Kern« solcher Lernarrangements aus?

Beide hier präsentierten Beispiele lassen sich in Anlehnung an Gerstenmaier/Mandl (2001) lernpsychologisch auch als Konkretisierungen »Situierten Lernens« betrachten. Für Lernarrangements im Dienste des Erwerbs von Kompetenzen – in Abgrenzung von Vermittlung von Faktenwissen – sei eben diese Lernform das angemessene Paradigma, betont de Haan (o. J.): Situiertes Lernen ist anwendungsbezogen, lebensweltlich orientiert, selbstgesteuert und begünstigt damit den Lernerfolg. Der Erfahrungsbezug des situierten Lernens verleiht dem Lernen subjektiven Sinn und erzeugt in der Regel eine hohe Lernmotivation.

Damit möchte aber auch dieser Autor keine diametralen Gegensätze konstruieren: »Auch die Instruktion und die Vermittlung abstrakten, also nicht an soziale Lernumgebungen und komplexe, alltagsnahe Problemlagen gebundenen Wissens kann selbstverständlich ertragreich sein und motivierend auf Kinder und Jugendliche wirken, wenn es für sie faszinierend geschieht« (ebd.). Und auch er fordert deshalb Verschränkungen unterschiedlicher Lernformen.

Damit kommen wir noch einmal zurück zu Meyer und Meyer (2013, S. 42 ff.), die sich in ihrem Beitrag intensiv mit der Hattie-Studie und deren höchst unterschiedlichen Auslegung in der pädagogischen Zunft auseinandersetzen. Sie selbst ziehen ihn als Kronzeugen für ihre Feststellung heran, es sei unsinnig, die Grundformen des Unterrichts gegeneinander auszuspielen. Stattdessen plädieren sie für ihr Modell der Ausbalancierung unter der griffigen Formel: »Mischwald ist besser als Monokultur!« (ebd., S. 43). Und sie stellen eine wichtige Erkenntnis heraus, die Hattie selbst auf eine einprägsame Kurzformel gebracht hat: »Know thy impact!« (hier zitiert nach Meyer/Meyer 2013, S. 46). Das ist sehr viel mehr als die verkürzte Interpretation, es komme eben auf die Lehrperson an, wenn man Lern­erfolg erklären will. Für beide Beteiligten eines Lehr-Lern-Arrangements gilt dieser Satz nämlich analog: Die Lernenden sollten wissen, was sie selbst bewirken können – die Lehrenden sollten wissen, wie sie auf die lernenden Subjekte wirken. Genau das haben die exemplarisch vorgestellten Beispiele deutlich gemacht. Sie setzen auf die Stärkung der Reflexivität bei Lernenden und Lehrenden.

Literatur

  • de Haan, G. (o. J.): Situiertes Lernen. www.transfer-21.de/daten/materialien/Situiertes_Lernen.pdf (letzter Zugriff: 16. 6. 2014)
  • Dewey, J. (1993): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Weinheim und Basel (erstmals 1916 erschienen unter dem Titel »Democracy and education«. New York. Deutsche Erstauflage 1930 bei Hirt, Breslau)
  • Edelstein, W. (2010): Ressourcen für die Demokratie. Die Funktionen des Klassenrats in einer demokratischen Schulkultur. Berlin
  • Freinet, C. (1979): Die moderne französische Schule. Paderborn
  • Friedrichs, S. (2009): Praxisbuch Klassenrat. Gemeinschaft fördern, Konflikte lösen. Weinheim
  • Gerstenmaier, J./Mandl, H. (2001): Methodologie und Empirie zum Situierten Lernen. München. http://epub.ub.uni-muenchen.de/archive/00000245/01/FB_137.pdf (letzter Zugriff: 16. 6.2014)
  • Kiper, Hanna (1997): Selbst- und Mitbestimmung in der Schule. Das Beispiel Klassenrat. Baltmannsweiler
  • k.o.s. (2012): Projekt Koordinierungsstelle Qualität, beauftragt durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Inte­gration und Frauen des Landes Berlin: Heftreihe »weiter gelernt« Nr. 2/Dezember 2012. www.kos-qualitaet.de (letzter Zugriff: 16. 6. 2014)
  • Meyer, Hilbert/Meyer, Meinert (2013): Über die Wirksamkeit der Unterrichtsformen. In: Hellmer, Julia/Wittek, Doris (Hg.): Schule im Umbruch begleiten. Opladen/Berlin/Toronto, S. 35 – 49
  • Seifert, A. (2011): Resilienzförderung an der Schule. Eine Studie zu Service-Learning mit Schülern aus Risikolagen. Wiesbaden
  • Weinert, F. E. (1982): Selbstgesteuertes Lernen als Voraussetzung, Methode und Ziel des Unterrichts. In: Unterrichtswissenschaft 10 (2)/1982, S. 99 – 110

 

Dr. Marianne Horstkemper war bis zu ihrer Emeritierung Professorin für Schulpädagogik an der Universität Potsdam.
Adresse: Jenaer Str. 19, 10717 Berlin
E-Mail: horstkemper(at)t-online.de


Aus: Pädagogik 10/2014