Eine Einführung
Mobbing an der Schule ist ein komplexes und weit verbreitetes Phänomen. Es ist allerdings kein neues Phänomen. Auch vor hundert Jahren wurden schon Schüler gemobbt. Neu ist allerdings das Mobbing mit dem Internet. Dadurch verändert sich die Situation von Tätern und Opfern. Woran kann man Mobbing erkennen? Warum wird jemand zum Opfer? Wie sehen Anti-Mobbing-Strategien bei Cybermobbing aus?
An einer deutschen Schule: Drei Freunde ertappen einen Mitschüler beim Stehlen, verraten ihn aber nicht, sondern nutzen dieses Wissen, um ihn zu malträtieren und zu quälen. Sie erniedrigen ihn verbal, erpressen ihn, behandeln ihn zunehmend wie einen Sklaven und misshandeln ihn schließlich auf üble Weise. Das Opfer akzeptiert seine Rolle immer bereitwilliger, auch weil er gegenüber seinen Peinigern zunehmend Minderwertigkeitsgefühle entwickelt, kommt er doch aus armen Verhältnissen, was er gern durch Aufschneiderei und Imponiergehabe überspielt.
Diese Geschichte kommt Ihnen bekannt vor? Sie haben davon gehört, in Ihrer Stadt, in Ihrer Gemeinde? Davon in der Zeitung gelesen? Nein – denn diese Geschichte hat Robert Musil im Jahr 1906 in seinem Roman »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« aufgeschrieben.
Mobbing unter Schülern ist kein neues Phänomen, kein Auswuchs der Moderne, keine Zeiterscheinung einer dekadenten und zunehmend verrohten Jugend, wie es manche Presseberichte oder Gespräche am Stammtisch glauben machen wollen; Mobbing ist, wenn man Musil folgen will, eine allgemein menschliche Verhaltensweise, die unter bestimmten Bedingungen auftritt und zerstörerische Folgen haben kann, für die Täter wie für die Opfer. Doch dazu später mehr.
Was ist Mobbing?
Zunächst einmal soll der moderne Begriff des »Mobbings«, den Musil noch nicht kannte, näher erklärt werden. Er stammt aus der englischen Sprache (mob = Pöbel, mobbish = pöbelhaft) und bedeutet »anpöbeln« sowie »fertigmachen«. Mobbing ist eine besondere und vielgestaltige Form von offener und/oder unterschwelliger Gewalt gegen Personen, die meist über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeübt wird und das Ziel verfolgt, das Opfer sozial auszugrenzen. Die Gewalt kann dabei sowohl in verbaler als auch in physischer Form ausgeübt werden.
Eine jüngere, nicht repräsentative Online-Befragung von rund 2.000 Schülerinnen und Schülern, die von der Universität Landau durchgeführt worden ist, zeigt, dass Mobbing inzwischen ein weit verbreitetes Phänomen in deutschen Schulen ist (vgl. Jäger u. a. 2009):
Folgt man Lauper (2001), so kann direktes Mobbing in der Schule in folgenden Erscheinungsformen auftreten:
Aber Mobbing ist nicht nur ein Thema zwischen Schüler(inne)n, es kann auch durch Lehrkräfte gegenüber Schülerinnen und Schülern ausgeübt werden:
Mobbing ist oft auch dadurch wirksam, dass die Opfer die Ursache für das Verhalten der Mitschüler oder des Lehrers zunächst einmal bei sich selbst suchen und sich auch deswegen nicht trauen, dagegen vorzugehen. Nur selten informiert ein Schüler oder eine Schülerin einen Lehrer oder erzählt den Eltern, was in der Schule geschieht. Wenn das Mobbing dann über einen längeren Zeitraum fortschreitet und möglicherweise zunimmt, wirken sich die Folgen auf die gesamte Persönlichkeit aus: »Zum Verlust des Selbstvertrauens (nicht nur im Leistungsbereich) können Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme kommen. Durch die wahrgenommene Isolierung und Einsamkeit entwickeln sich depressive Tendenzen und Passivität. Die Lernmotivation nimmt ab bis zu Lernunlust und Schulvermeidung« (Renges o. J.).
Aber nicht nur das Opfer ist betroffen: Mobbing findet immer in einer sozialen Gruppe statt, es gibt nicht nur Täter und Opfer, sondern in der Regel auch Mitschülerinnen und Mitschüler, die das Mobbing wahrnehmen und nicht dagegen vorgehen, sondern es mehr oder weniger stillschweigend dulden. Je länger aber die Situation geduldet wird, desto normaler wird sie – die Werte in der Gruppe verschieben sich unmerklich. Irgendwann ist normal und selbstverständlich, was zu Beginn zumindest noch Unbehagen ausgelöst hat bei manchem, der davon wusste. Daher kann es beim Umgang mit Mobbing nie nur um Täter und Opfer gehen, sondern es muss die gesamte Gruppe einbezogen werden.
Zwei Typen von Opfern
Der schwedische Psychologe und Mobbingforscher Dan Olweus unterscheidet zwei Typen von Mobbingopfern unter Jugendlichen (vgl. Olweus 2006): das passive Opfer und das provozierendes Opfer.
Bei den passiven Opfern handelt es sich zumeist um eher ängstliche und unsichere Kinder und Jugendliche, die möglicherweise kleiner oder schwächer sind als der Durchschnitt oder aber übergewichtig. Sie sind oft empfindlich, vorsichtig und schweigsam, Gewalttätigkeit lehnen sie ab. Durch ein solches Verhalten signalisieren diese Jugendlichen Olweus zufolge ihrer Umgebung, dass sie Angst haben und es nicht wagen, sich gegen Zumutungen und Übergriffe zu wehren.
Das provozierende Mobbingopfer ist seltener. Dabei handelt es sich zumeist um unkonzentrierte und nervöse Jugendliche, die für ihre Umgebung schwer zu ertragen sind. Aus diesem Grund leben sie oft in einem grundsätzlich angespannten Verhältnis zur ihrer Umgebung, das in eine Mobbing-Situation umschlagen kann.
Wenn eine Mobbing-Situation in der Schule nicht rasch und offensiv bearbeitet wird, bleibt dem Opfer oft keine andere Wahl, als sich der Belastung durch einen Schulwechsel zu entziehen. Damit wird es in gewisser Weise ein weiteres Mal bestraft, und der oder die Täter werden für ihr Handeln indirekt belohnt. Auch aus diesem Grund ist ein schnelles Eingreifen unbedingt erforderlich, sobald eine Mobbing-Situation vermutet wird.
Cybermobbing
Mit der massenhaften Verbreitung von neuen Kommunikationsmitteln und Sozialen Netzwerken im Internet seit etwa der Mitte des letzten Jahrzehnts besteht für die Täter die Möglichkeit, das direkte Mobbing in den virtuellen Raum hinein zu verlängern. Unter »Cybermobbing« versteht man also »das absichtliche und über einen längeren Zeitraum stattfindende Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder Belästigen anderer mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel« (vgl. Hanke in diesem Heft). Dabei können SMS, MMS, Telefonanrufe, E-Mail, Instant Messenger Nachrichten oder Postings in Sozialen Netzwerken eingesetzt werden; die Verbreitung von Fotos spielt dabei eine besondere Rolle. Cybermobbing richtet sich tendenziell an ein unüberschaubar großes Publikum und ist vom Opfer teilweise schwerer wahrnehmbar als das direkte Mobbing, wenn es nicht direkt adressiert wird, sondern hinter seinem Rücken geschieht. Für den Täter wiederum sind die Folgen seiner Handlung schwerer zu kontrollieren, weil er die Reaktion des Opfers zumeist nicht direkt wahrnehmen kann, aber auch, weil einmal ins Netz gestellte Beleidigungen oder Fotos schnell weiterverbreitet und kaum wieder gelöscht werden können.
Weil Mobbing und inzwischen auch Cybermobbing ein weit verbreitetes Phänomen an unseren Schulen ist, gibt es inzwischen eine Vielzahl von erfolgreichen Ansätzen zur Intervention und vor allem auch zur Prävention. In diesem Themenschwerpunkt werden einige davon vorgestellt.
Alsaker und Valkanover stellen das in der Schweiz entwickelte Anti-Mobbing-Programm Be-Prox vor, dass seit etwa zehn Jahren mit großem Erfolg in Kindergärten und Grundschulen durchgeführt wird. In Ergänzung dazu beschreibt Franke in ihrem Beitrag das Angebot des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung, dass sich vorrangig an Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern der Jahrgangsstufen 5 und 7 richtet. Pott und Kindler wiederum zeigen, wie sich eine ganze Schule auf den Weg macht, um Mobbing schon im Ansatz zu verhindern.
Das vergleichsweise neue Phänomen des Cybermobbings wird von Otmar Hanke in seinen verschiedenen Façetten vorgestellt; dabei geht er auch auf verschiedene Möglichkeiten der Prävention ein.
Hilfe finden die Opfer auch außerhalb der Schule. Horst Schawohl stellt das Angebot des »Move up Trainings« (MuT9) vor, in denen die Betroffenen von Mobbing ihre Situation reflektieren und eine Änderung ihres Verhaltens trainieren. Dabei wird jedoch deutlich, dass dies nicht ausreicht, weil Mobbing dauerhaft nur abgestellt werden kann, wenn sich die Verhaltensstrukturen in der Gruppe insgesamt verändern.
Der Themenschwerpunkt wird mit einigen allgemeinen Hinweisen zum Thema Mobbing abgerundet, die der erfahrene Experte Wolfgang Kindler auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrung entwickelt hat.
Gemeinsam ist allen vorgestellten Ansätzen, dass sie einen Schwerpunkt auf Prävention legen. Dabei geht es immer darum, in einer Lerngruppe ein offenes und faires Miteinander zu gestalten, dass die Unterschiedlichkeit der Einzelnen respektiert. Es wird deutlich, dass es dabei stets um mehr geht als »nur« um die Vermeidung von Mobbing – es geht nämlich um die Gestaltung einer pluralistischen und demokratischen Gemeinschaft. Mobbing – also die Ausgrenzung und systematische Beschädigung von Mitgliedern einer Gemeinschaft – als eine allgemein menschliche Verhaltensweise, die auch von Erwachsenen ausgeübt wird, hat nämlich auch eine politische Dimension, es ist antipluralistisch und damit antidemokratisch. Insofern dient die Prävention von Mobbing in der Schule nicht nur der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Lerngruppe, sondern ist auch ein wichtiger Beitrag zur Demokratieerziehung.
Literatur
Dr. Jochen Schnack, Jg. 1965, ist Leiter der Unterabteilung für Unterrichtsentwicklung im Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung und Mitglied der Redaktion von PÄDAGOGIK.
Adresse: Dohrnweg 5, 22767 Hamburg
E-Mail: jochen.schnack(at)gmx.info
Aus: Pädagogik 1/2011