Übergang Schule - Beruf

Übergang Schule – Beruf
Fakten und Folgerungen

Thorsten Bohl

Nach der jüngsten Allensbach-Umfrage ist die Vorbereitung der Schüler auf das Berufsleben im Urteil von 70 Prozent der Befragten nicht ausreichend. Wie ist die aktuelle Lage auf dem Ausbildungsmarkt und im Übergangssystem? Was sind die Ursachen? Welche Erwartungen werden an die Schulen gestellt?

Der für den weiteren Lebensweg entscheidende Übergang findet für die Mehrheit eines Schülerjahrgangs nach Absolvierung der Vollzeitschulpflicht statt, also im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, und zielt auf den Anschluss ins Ausbildungs- oder Beschäftigungssystem. Schaut man sich die Daten an, die die von KMK und BMBF beauftragte Autorengruppe Bildungsberichterstattung in ihrem Bericht »Bildung in Deutschland 2008« veröffentlicht hat, ergibt sich folgendes Bild: 37 Prozent der Absolventen allgemeinbildender Schulen nehmen 2006 ein Studium auf (OECD-Durchschnitt: 54 Prozent). Um diese Gruppe geht es im Folgenden nicht.

Das berufliche Bildungssystem verzeichnet im Jahre 2006 insgesamt ca. 1.270.000 Neuzugänge. Diese setzen sich zusammen aus Schulabgängern, »Altbewerbern« auf eine betriebliche Ausbildung sowie einer großen Zahl von Jugendlichen, die von einer Maßnahme (z. B. BVJ) in die nächste (z. B. Berufsfachschule) wechseln, aber noch keinen berufsqualifizirenden Abschluss erlangt haben.

  • Ca. 550.000 (43,5 Prozent aller Neuzugänge) nehmen eine betriebliche Ausbildung im dualen System auf.
  • Ca. 200.000 (16,8 Prozent) absolvieren eine außerbetriebliche Berufsausbildung, z. B. im Gesundheitsbereich.
  • Übrig bleiben ca. 500.000 (39,7 Prozent), die weder studieren noch eine Ausbildung aufnehmen, sondern in das sog. Übergangssystem münden, d. h. in Berufsgrundbildung, Berufsvorbereitung, Berufsfachschule oder eine andere Maßnahme im kaum mehr überschaubaren »Maßnahmedschungel«.

Übergang wohin?

Im Laufe der letzten zehn Jahre haben sich die Mengenverhältnisse gewaltig verändert: Von 1995 bis 2006 blieb das duale System nahezu unverändert (+ 0,8 Prozent), das Schulberufssystem wuchs um 18,1 Prozent und das Übergangssystem vergrößerte sich um 47,6 Prozent (Autorengruppe, S. 275). Die Kosten für die öffentlichen Haushalte sind hoch – ca. 2.750 Mio Euro für Berufsvorbereitung und Berufsfachschulen (ebd., S. 166) –, die Effekte mäßig: 20 Prozent der Maßnahmeteilnehmer brechen ab, vom Rest gelangt nur knapp die Hälfte in die betriebliche oder sonstige vollqualifizierende Berufsausbildung (ebd., S. 167 f.). Hierbei von »Übergangssystem« zu sprechen, markiert zwar die Intention, entspricht aber nur zu einem kleineren Teil der Wirklichkeit.

Die Entwicklung ist vorgezeichnet

Dass ein beträchtlicher Teil der Jugendlichen in diverse Maßnahmen der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung mit für den einzelnen ungewissem Ausgang mündet, zeichnet sich allerdings nicht erst am Ende ihrer Schulzeit ab. Vielmehr beeinflussen der Besuch bestimmter Schulformen und die dort erbrachten Leistungen in seit Jahren nahezu konstanter Weise den weiteren Bildungsgang:

  • Von den Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss hat lediglich etwa ein Fünftel die Chance, einen Ausbildungsplatz im dualen System zu erhalten. Das schulische Berufsausbildungssystem bleibt ihnen völlig verschlossen.
  • Gut die Hälfte der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss landet ebenfalls im Übergangssystem.
  • Selbst bei den Abgängern mit Mittlerem Schulabschluss gelangt über ein Viertel (2006: 28,2 Prozent) zunächst in die Warteschleifen des Übergangssystems.
  • Noch einmal zugespitzt stellt sich die Lage für Jugendliche mit Migrationshintergrund und insgesamt für männliche Jugendliche dar, die im Übergangssystem deutlich überrepräsentiert sind.

Weshalb wächst das Übergangssystem?

Wolfgang Seyd vom Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Hamburg referiert die von unterschiedlichen Seiten und Interessengruppen vorgetragenen Gründe (Seyd 2009, S. 15):

  • Es liege an den für eine betriebliche Ausbildung ungenügenden Voraussetzungen der Schüler. PISA habe gut einem Viertel der deutschen 15-Jährigen attestiert, es sei noch nicht ausbildungsfähig.
  • Die mangelnde Ausbildungsbereitschaft der Betriebe sei schuld. So sind die Ausbildungsplätze im Handwerk und bei den freien Berufen gegenüber 1995 um ca. 30 Prozent gesunken – also in Bereichen, in denen Jugendliche mit schwachen Schulabschlüssen noch die relativ besten Chancen hatten (Rademacker 2008, S. 162).
  • Es liege an den hohen Kosten der Ausbildung sowie einem schrumpfenden Arbeitskräftebedarf angesichts einer fortschreitenden Rationalisierung und eines lahmenden Binnenmarktes.
  • Nach Ansicht der »Passungsskeptiker« gebe es zwar genügend Lehrstellen – regional allerdings ungleichmäßig verteilt –, jedoch nicht die entsprechenden Vorstellungen auf Seiten der Jugendlichen. Wer lediglich mit Hauptschulabschluss Verlags- oder Bankkaufmann werden möchte und eine Bäcker- oder Verkäuferlehre ablehnt, mache sich Illusionen hinsichtlich seiner Fähigkeiten und der gestellten Anforderungen.

»Man kann es wohl auf die einfache Formel bringen: An allen Positionen ist etwas dran. Denn ohne die seit Jahren anhaltende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, ohne die Verschlechterung der Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse und ohne gewisse Besonderheiten im Sozialverhalten und in der Selbstwahrnehmung vieler Jugendlicher wäre das Übergangssystem nicht zu seiner heutigen Ausdehnung gelangt« (ebd.).

Wie nützlich ist die Schule?

Es liegt auf der Hand, dass sich eine solch komplexe Situation nicht aus einem Punkt kurieren lässt. Keiner der beteiligten Akteure – Schulen, Betriebe, Bundesagentur für Arbeit, Bund-Länder-Programme und solche des Europäischen Sozialfonds – kann es alleine schaffen. In den »10 Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung« werden das Neben- und Nacheinander einzelner Maßnahmen bemängelt und koordinierte Gesamtstrategien in den Regionen gefordert: »Dabei sollen insbesondere die vielfältigen Aktivitäten und Kooperationen zwischen Wirtschaft und Schulen weiter verstärkt werden, die »einen wichtigen Beitrag auch zur Berufsorientierung der Jugendlichen leisten« (BMBF 2007, S. 14 f.).

Richtet man den Blick auf die allgemeinbildenden Schulen, so haben diese mindestens neun Jahre Zeit, den Aufbau von grundlegenden Kompetenzen und Einstellungen für eine spätere Eingliederung in Ausbildung und Beruf zu fördern. Die Verpflichtung dafür findet sich nicht nur in den Schulgesetzen aller Bundesländer, sondern entspricht auch der Erwartungshaltung der Jugendlichen selbst – zumindest im Nachhinein. Aus einer Vielzahl von Befragungen wissen wir, dass es in der Rückschau von Schulabgängern eine große Rolle spielt, was während der Schulzeit im Blick auf die Zeit danach geschehen ist:

  • Gab es in Unterricht und Schulleben anschlussfähige Bezüge zur weiteren Ausbildung und zum Berufsleben?
  • Waren diese Bezüge systematisch oder eher zufällig und von den Interessen einzelner Lehrer abhängig?
  • Wie waren Betriebserkundungen und -praktika in den Unterricht eingebunden?

Also insgesamt: Wie nützlich ist Schule für das spätere Leben? Neben der Entscheidung für einen Partner ist schließlich die Berufswahl die wichtigste im Leben. Die Bedeutung dieser Aufgabe ist in den letzten Jahren insbesondere aus zwei Gründen weiter gestiegen: Prekäre Lebenslagen – Arbeitslosigkeit der Eltern, Überforderungen bei der Erziehungsaufgabe und der Strukturierung des Alltags, ungefilterter Zugang zu Medien und Internet, mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache in vielen Familien mit Migrationshintergrund – haben zugenommen. Außerdem ist die traditionelle »Normalbiografie« (Schule – Ausbildung – Berufstätigkeit auf Dauer) längst nicht mehr normal. »Die Übergänge in die Arbeitswelt sind brüchiger geworden, junge Menschen sind mit Übergangsproblemen konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet und die für sie kaum zu bewältigen sind« (Bojanowski 2008, S. 34).

Die Beiträge zum Schwerpunktthema dieses Heftes reflektieren die skizzierten Problemstellungen und reichen von ganzheitlichen Konzepten der Berufsorientierung während der gesamten Sekundarstufe I über die organisierte Zusammenarbeit mit Betrieben bis zum expliziten Management des Übergangs in Ausbildung und Beruf. Vor fünf Jahren standen in diesem Zusammenhang Fragen der Lebensplanung und Zukunftsorientierung im Schwerpunkt dieser Zeitschrift (PÄDAGOGIK 2004). Gemeinsam ist beiden der Ansatz »Kompetenzbetonung statt Defizitausgleich« (Bojanowski S. 42) mit dem Ziel, die Subjekte zu stärken und Handlungsfähigkeit zu gewinnen.

Literatur

  • Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu den Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I. KMK und BMBF (Hg.). Bielefeld
  • Bojanowski, Arnulf (2008): Benachteiligte Jugendliche – strukturelle Übergangsprobleme und soziale Exklusion. In: Bojanowski, Arnulf u. a. (Hg.): Überflüssig? Abgehängt? Münster
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2007): 10 Leitlinien zur Modernisierung der beruflichen Bildung. Bonn/Berlin
  • PÄDAGOGIK (2004): Schwerpunktthema Berufsorientierung und Lebensplanung. PÄDAGOGIK H. 4/2004
  • Rademacker, Hermann (2008): Schule und Betrieb als Lernorte. In: Sturm, Hartmut u. a. (Hg.): Übergangssysteme im Wandel. Hamburg
  • Seyd, Wolfgang (2009): Schulabgänger: Gesellschaftliche Sprengwirkung. In: Hamburger Institut für Berufliche Bildung (Hg.): Informationen für Hamburger Berufliche Schulen (ihbs), H. 1/2009

Peter Daschner, Jg. 1944, ist Landesschulrat und Direktor des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) in Hamburg und Redaktionsmitglied von PÄDAGOGIK
Adresse: LI, Felix-Dahn-Straße 3, 20357 Hamburg
E-Mail: peter.daschner(at)li-hamburg.de


Aus: Pädagogik 5/2009