Wie Schulentwicklung und Lehrerentwicklung zusammenwirken können …
Lehrerfortbildung ist »eine wichtige Angelegenheit«. Aber für wen ist sie das – für die Lehrkräfte, die Schule und/oder das Bildungssystem? Wem gehört sie eigentlich? Wie kann sie etwas bewirken bei Lehrkräften und Schule? – Und: Wie darf (und muss) Lehrerfortbildung angelegt sein, damit sie von Lehrkräften angenommen wird und in der Schule ankommt? Wie können Lehrer und Schule gemeinsam Fortbildung tragen?
Sag mir, wie Lehrerfortbildung in einem Lande strukturiert ist, und ich sage dir, wie ernst es einer Regierung mit der Schulentwicklung ist. – Oder: Sage mir, wie Lehrkräfte sich in Fortbildungsprozesse einbringen, und ich sage dir, wie ernst sie es mit ihrer professionellen Entwicklung meinen.
Diese beiden Aussagen widersprechen sich nicht, sondern sie treffen beide zu. Es hat lange gedauert, bis sich diese Einsicht bei Lehrpersonen, Fortbildnern und in der Bildungspolitik herausbildete. Bis Mitte der 90er Jahre galt Lehrerfortbildung überwiegend als »Privatsache« – und zwar von Seiten der Lehrerkräfte wie des Staates: Lehrkräfte wollten eine Fortbildung für sich, für ihre persönlichen beziehungsweise fachlichen Bedürfnisse. Fortbildung war eine Gelegenheit, die man freiwillig wahrnahm. Ob die Fortbildungsinhalte dann in der Schulpraxis angewendet wurden, sollte jeder Teilnehmer für sich entscheiden können – eine Verpflichtung dazu erschien als Beschränkung professioneller Selbstbestimmung. In dieser Situation konnte (und musste) der Staat sich darauf beschränken, Fortbildung in den Bereichen anzubieten, die er für wichtig hielt. Das reichte von Veranstaltungen, die dringend zur Absicherung des Unterrichtsangebots erforderlich waren, bis hin zu Feigenblatt- oder Besänftigungs-Angeboten zu opportunen Themen, die zeigen sollten: »Wir tun zwar sonst nichts, aber dazu bieten wir Fortbildung an.«
Spätestens seit Mitte der 90er Jahre die Schulentwicklung zu einem (bildungspolitischen) Thema wurde, verlor die Lehrerfortbildung ihren Status der Privatangelegenheit: Sie wurde zur Schulsache – in den Mittelpunkt rückte der Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte und der Schule. Fortbildung wurde (auch) zu einem Instrument der Steuerung im Bildungswesen. Sie wurde Element und Werkzeug zugleich, um neue Anforderungen zu stellen, den Entwicklungs- und Veränderungsbedarf in den Schulen und bei den Lehrkräften bearbeitbar zu machen.
»Geteilte Eigentümerschaft« – wachsende Ansprüche und kompliziertere Verhältnisse
Lehrerfortbildung war damit zu einem Unterstützungssystem für Lehrkräfte und Schulen geworden, mit Aufgabenbezug (zu staatlich definierten Zielen oder Rahmenbedingungen), mit Kundenbezug (Bedarfe und Bedürfnisse der Abnehmer) und mit einem Systembezug (schulische Entwicklungsprozesse beziehungsweise bildungspolitisch initiierte Reformprozesse). Sie wurde Teil der Qualitätsentwicklung. Dies zeigte sich zum Beispiel darin, dass in einigen Bundesländern die Schulen zur Fortbildungsplanung verpflichtet wurden und dass die Organisation der Fortbildung und ihrer Einrichtungen verändert wurden. Mit der Ausrichtung auf Schulentwicklung und Personalentwicklung veränderten sich Themen, Lern- und Angebotsformen: In den Mittelpunkt rückten mittel- und langfristige Lern- und Entwicklungsprozesse, bei denen Fortbildung – am besten abgestimmt mit anderen Akteuren wie Schulaufsicht und Qualitätsanalyse – eine beratende und unterstützende Rolle einnahm.
Die große Veränderung in der Lehrerfortbildung der letzten Jahrzehnte bestand darin, dass sie den Besitzer gewechselt hatte: Sie bekam eine komplizierte und häufig verwirrende »geteilte Eigentümerschaft«, Schulen, Schulaufsicht, Bildungspolitik waren jetzt (Mit-)Besitzer und übten Einfluss aus. Jeder Eigentümer wollte natürlich, dass Fortbildung eine bestimmte Rolle spielte: als Anreger, Unterstützer, Vermittler, Veränderer, Berater, Intervenierer … Schulinterne Fortbildungspläne sollten da nach innen und außen transparent machen, was eingekauft wurde, wer Einflüsse genommen hatte und wohin die Fortbildungsreise ging. Fortbildung war Markt-Ware geworden, die von konkurrierenden Anbietern an Schulen herangetragen wurde und so Lehrkräfte zu Nachfragenden und »Bestellern« machte. Das Verhältnis von Lehrerfortbildung zu Lehrkräften änderte sich entscheidend: Im alten Verhältnis empfanden sich beide Seiten weitgehend als autonom und konnten nach ihren Bedürfnissen entscheiden, ob sie Neues durch Fortbildungsmaßnahmen lernen wollen. Im neueren Verhältnis wurde Fortbildung in den Dienst unterschiedlicher Transformationsinteressen genommen: Sie soll etwas im (staatlichen) Auftrag bewegen. Und es kamen noch weitere mitbestimmende Akteure, neue Rollen und Aufträge hinzu: Fortbildungsanbieter und Lehrkräfte waren eingebunden in systemische Zusammenhänge und in Entwicklungsprozesse, sie unterlagen Qualitätsanforderungen und Standards. Ob Lehrkräfte an Fortbildung teilnahmen oder Einrichtungen Fortbildung anbieten, hing nun entscheidend ab vom Fortbildungsbedarf, wie sehr Lehrer oder Schule Entwicklung, Unterstützung, Beratung durch Fortbildungsprozesse brauchten oder verordnet bekamen und in welchem Maße Fortbildung in die Arbeit der Schule integriert werden sollte. Die Definition des Fortbildungsbedarfs war dabei Sache mehrerer Akteure (Schule, Schulleitung, Lehrkräfte, Schulaufsicht, Qualitätsanalyse).
Lehrerfortbildung in der Entwicklungs-Klemme
Dass Lehrerfortbildung in den letzten 20 bis 30 Jahren sich so entwickelt hat, ist auch als Fortschritt zu sehen. So werden Inhalte, Angebote und Struktur öfter als früher zielgerichteter und stärker auf Kontinuität hin angelegt, Fortbildung wird besser in Schulentwicklung integriert, kann selbstständig handeln, Rückkopplungssysteme werden zur Verbesserung der Fortbildungssysteme genutzt. Auch dass die Entscheidungen über Fortbildungsinhalte und -teilnahme stärker in die Schule (überwiegend: Schulleitung) verlagert wurden, ist als positive Entwicklung zu werten, wenn Teams sich austauschen, gemeinsam lernen und (auch schulübergreifende) Lerngemeinschaften bilden können. Dass Fortbildung nicht mehr länger zentral vom Wissensgefälle zwischen Fortbildnern und Teilnehmern ausgeht, ist ebenfalls positiv einzuschätzen, ebenso wie die Erweiterung der Veranstaltungs- und Lehr-/Lernformen in der Fortbildung durch Moderation, Coaching beziehungsweise Supervision, wenn diese in den Schulalltag der Lehrpersonen eingebunden sind und auf eine Entwicklung des beruflichen Handelns abzielen. Und zu den wichtigen erfreulichen Entwicklungen der Lehrerfortbildung gehört auch, dass sie in der Schule und von Lehrkräften immer stärker als ein selbstverständliches Entwicklungsinstrument wahrgenommen wird.
Aber! Nach der Phase größerer Beachtung und auch höherer Wertschätzung von Lehrerfortbildung machen sich unter Lehrkräften und auch unter Fortbildnern »Katerstimmung«, Entfremdung und Ernüchterung breit, weil die erhofften oder erwarteten Veränderungen nicht oder nicht wie gewünscht eingetreten sind. Folgende Kehrseiten der Entwicklung lassen sich erkennen:
Der Weg zurück und der radikale Bruch sind keine Alternativen
Dass Lehrerfortbildung in die Klemme unterschiedlicher Entwicklungen und Interessen geraten ist und dass die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten auch deutliche Kehrseiten hatten – das ist eigentlich ein gutes Zeichen und daraus kann man viel auch für Schulentwicklung lernen: Immerhin hat Lehrerfortbildung sich aktiv inhaltlich und strukturell (anders als viele andere Akteure im Schulbereich) in Veränderungsprozesse hineinbegeben, hat sich auf den Prüfstand und in Frage gestellt, neue Formen, Inhalte und Strukturen entwickelt. Aber jetzt muss darauf geachtet werden, dass die Kehrseiten und Nebenwirkungen die Lehrerfortbildung nicht in eine Sackgasse führen und deren Entwicklung stoppen oder gar zurückdrehen. Dabei ist der Weg zurück in die »guten alten Zeiten« ebenso wenig eine Alternative wie ein radikaler Bruch. Entscheidend dafür, dass Lehrerfortbildung zukünftig eine wichtige und bedeutende Rolle spielt für die Lehrerentwicklung und die Schulentwicklung, sind vor allem zwei Faktoren:
Balance: gemeinsame Eigentümerschaft
Wenn Lehrerfortbildung einen essentiellen Beitrag leisten können soll, dass
dann bedarf es nicht nur einer geteilten, sondern einer gemeinsamen Eigentümerschaft an Fortbildung. »Ein zukunftsträchtiges Fortbildungssystem (muss) auf einer einforderbaren Balance zwischen individuellen Entwicklungsinteressen von Lehrpersonen, den Entwicklungsbedürfnissen der Einzelschulen und öffentlich diskutierten und legitimierbaren gesellschaftlichen Transformationsinteressen aufbauen.« (Altrichter 2010, S. 31) Die Balance zwischen den Interessen, den Aufgaben und dem Bedarf des Einzelnen, der Schule und der Gesellschaft ist nur herzustellen, wenn alle sich bezüglich der Fortbildung Klarheit verschaffen, was sie können, was sie wollen, was sie müssen und was sie brauchen. Erst dann können – z. B. in Fortbildungsplanung – die Interessen ausgehandelt und über Prioritäten entschieden werden. In solchen Aushandlungsprozessen geht es vor allem auch darum, was man bereit ist zu investieren. Fortbildungsplanung krankt bisher vielfach daran, dass den gestellten Zielen und Anforderungen ungenügende Investitionen an Interesse, Zeit, Geld und Aufmerksamkeit gegenüber stehen. Sie gelingt nur, wenn alle Beteiligten
Verantwortung: gemeinsame Sorge für Wirksamkeit
Ein Zeichen für das Scheitern von Lehrerfortbildung ist immer, wenn Beteiligte nicht (mehr) bereit sind, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Fortbildungsmaßnahmen dauerhaft wirksam für die persönliche Entwicklung und die Berufspraxis sind. Gemeinsam für Wirksamkeit von Fortbildung zu sorgen kann vor allem darin bestehen, dass man sich darum bemüht, sie in vier entwicklungsfördernden Spannungsfeldern anzulegen:
Wirksame Fortbildung hat dabei immer einen Bezugspunkt in der beruflichen Praxis und bietet gleichzeitig Anbindungsmöglichkeiten für persönliche professionelle Entwicklung. Sie richtet sich weniger kleinschrittig (im Sinne eines Trainings) auf einzelne Lehrerverhaltensweisen, sondern auf zusammenhängende Unterrichtsprozesse. Dabei gilt paradoxerweise gleichzeitig:
Zur gemeinsamen Sorge für die Wirksamkeit von Lehrerfortbildung gehören weiterhin die Schaffung beziehungsweise Beachtung der Voraussetzungen auf der Lehrer- und der Schulseite, u. a. dass:
Die Beiträge dieses Bandes: Kleine Schritte, um gemeinsame Sache zu machen
Gemeinsame Eigentümerschaft und Sorge sind weniger eine Sache von Programmatik oder des Aushandelns von Kontrakten. Sie sind auch nicht eine Frage umfassender Systemumstellungen oder Umorganisationen. Sie gelingen in kleinen Schritten über Annäherung und Ausprobieren in konkreten Projekten und sie versprechen mehr Erfolg, wenn Fortbildungsbedarf dringend und wichtig ist.
Die Beiträge dieses Heftes zeigen solche pragmatischen Schritte, wie Lehrerkollegien sich (wieder) Eigentum an Lehrerfortbildung verschaffen:
Caroline Treier beschreibt in ihrem Beitrag einen Prozess an ihrer neu gegründeten Schule, wie von Anfang an Fortbildung in Schulentwicklung einbezogen wird und wie Fortbildung ihrerseits von Schulentwicklung profitiert. Dabei werden insbesondere Bereiche der Selbst-Fürsorge und der systemischen Entwicklung integriert.
Eike Stiller und Christoph Ullrich zeigen ebenfalls einen Fortbildungsprozess, der in einen Schulentwicklungsprozess eingebunden ist. Hier geht es vor allem um die pro-aktive Nutzung von Fortbildung für die Schaffung neuer Arbeitszusammenhänge. Wesentlich dabei ist das Bemühen, Lehrerentwicklung und Schulentwicklung zusammenzubringen.
Heike Boks und Margit Müller gehen in ihrem Beitrag über die einzelne Schule hinaus und schildern an einem Fallbeispiel, wie ein Netzwerk von Lernenden aus verschiedenen Schulen gebildet werden kann, in dem schließlich die Rahmenbedingungen geschaffen werden können für einen Kompetenz-Transfer von Kollegen, das Peer-Learning.
Torsten Larbig beschreibt in seinem Beitrag, wie das Internet/Netz genutzt werden kann, um sich niedrigschwellig mit Kollegen in Fortbildungsprozesse zu begeben und schulübergreifende Lern-Netzwerke zu bilden. Eine entscheidende Frage für ihn ist dabei, wie gewährleistet werden kann, dass die Fortbildungsprozesse (auch) bei den Lehrkräften bleiben und von ihnen als Eigentum angesehen werden.
Cornelia Müller und Stefan Kisters setzten sich in ihrem Beitrag auseinander mit der Problematik, wie Externe in Schulentwicklungsprozessen und Lehrerentwicklung als Berater, Moderator oder Impulsgeber agieren können. Sie gehen dabei ein auf die Notwendigkeit, ihre Rolle und Möglichkeiten klar zu definieren und beizubehalten, damit beide Seiten wissen, was sie am Fortbildungs- und Entwicklungsprozess haben und bei wem die Verantwortungen liegen. Nur so kann die Balance zwischen schulischen und externen Interessen hergestellt werden.
Schließlich stellt Sabine Romer am Beispiel ihrer großen Schule dar, wie Balancier- und Aushandlungsprozesse zur Lehrerfortbildung in der Praxis funktionieren können und was gemeinsame Fortbildungsplanung erfordert und ausmachen kann.
Allen Beiträgen gemeinsam ist, dass sie kein neues Modell für Lehrerfortbildung entwickeln oder eine umfassende Idee präsentieren wollen, wie Fortbildung sein müsste. Vielmehr sind alle Beiträge eher Zwischenbilanzen von Schulen und Lehrkräften, die ihren Teil und ihre Verantwortung an Lehrerfortbildung ernst nehmen und die darauf bestehen, dass Fortbildung Sinn machen muss durch und für Lehrer und Schule. Das ist schon mehr als ein kleiner Schritt.
Literatur
Dr. Gerhard Eikenbusch ist Schulleiter und Mitglied der Redaktion von PÄDAGOGIK.
Adresse: Karlavägen 25, 11431 Stockholm/Schweden
E-Mail: gerhard.eikenbusch(at)telia.com
Aus: Pädagogik 10/13