Die Arbeiterwohlfahrt hat zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und 15 weiteren Verbänden sowie 24 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen Aufruf unterzeichnet, der die Politik wachrütteln soll. Mit den Minijobs kann es so nicht weitergehen. Wir wollen eine Reform der Kleinst-Arbeitsverhältnisse.
Minijob - das hört sich an, als wenn es nur um ein kleines Problem ginge, eine Randerscheinung des Arbeitsmarktes, um die man sich nicht weiter kümmern muss. Doch diesem Eindruck möchte ich nachdrücklich widersprechen. Die Minijobs sind die am weitesten verbreitete Form der prekären Beschäftigung. Sie beeinträchtigen die Arbeitsmarktchancen von Millionen Menschen - vor allem Frauen, aber auch Arbeitslosen und Geringverdienern - massiv. Auf jeden vierten sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten kommt heute ein Minijob. Da kann man nicht mehr von einem Randphänomen sprechen, sondern wir haben es mit einem Problem mitten im Arbeitmarkt zu tun.
In voller Kenntnis dieser Problematik hat die Bundesregierung von CDU/CSU und FDP im letzten Jahr die Einkommensgrenze auch noch angehoben und trägt sogar zu einer weiteren Verschärfung der Situation bei. Dem voraus gegangen war ein erheblicher Druck der Arbeitgeberverbände. Viele Arbeitgeber profitieren durch den massenhaften Einsatz von Minijobbern enorm, auf Kosten der Beschäftigten, die auf Löhne verzichten und auf Kosten der Sozialversicherungen und des Staates, denen Einnahmen in Milliardenhöhe verloren gehen.
Aktuell gibt es fast 7,5 Mio. Arbeitsverhältnisse, in denen die Beschäftigten nicht mehr als 450 Euro verdienen. Davon sind 2,7 Mio. Nebentätigkeiten (Hinzuverdienst) - also arbeiten 4,8 Mio. ausschließlich in Minijobs.
Die Beschäftigten zahlen weder Steuern noch Sozialabgaben. Zum Ausgleich entrichten die Arbeitgeber eine Pauschale. Das hört sich zunächst gut an, die Beschäfti-gen haben das Gefühl, ihnen wird etwas geschenkt, sie erhalten brutto gleich netto. Es scheint so, als ermögliche der Staat ihnen einen unkomplizierten Zuverdienst und verzichte sogar noch auf Abgaben.
Doch neuere Forschungen zeigen, dass die Beschäftigten selten etwas geschenkt erhalten. Stattdessen profitieren die Arbeitgeber von den Subventionen der Minijobs. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ginge die Rechnung nur auf, wenn sie den gleichen Bruttolohn erhalten würden, wie die übrigen Beschäftigten. Die Forschungen bestätigen, dies genau ist nicht der Fall.
Die steuer- und sozialpolitische Gestaltung setzt falsche Anreize für die Akzeptanz von Niedrigstlöhnen und hält qualifizierte Beschäftigte in der geringfügigen Beschäf-tigung fest. Analysen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) zeigen, "dass in Minijobs die Zahlung von Niedriglöhnen eher die Regel als die Ausnahme ist: 87,6 % der geringfügig Beschäftigten arbeiteten im Jahr 2009 zu Stundenlöhnen unterhalb der Niedriglohnschwelle. Der Minijob wird daher für die große Mehrheit der geringfü-gig Beschäftigten zur Niedriglohnfalle." (1) Mehr als drei Viertel der Minijobber verdienen weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Da diese hohen Lohndifferenzen weder durch unterschiedliche Qualifikation noch durch die Arbeitszeit erklärt werden kön-nen, liegt der Verdacht nahe, dass in Wirklichkeit die Arbeitgeber den Lohnvorteil kassieren.
Die Betriebsräte kennen diese Praxis. Die Beschäftigten erhalten nicht den gleichen Bruttolohn, wie die übrigen Beschäftigten und wie er ihnen zustehen würde, sondern die Arbeitgeber ziehen die ansonsten anfallenden Arbeitnehmerbeiträge, die bei diesem Job gar nicht anfallen, vorab vom Lohn ab. Dadurch werden die Löhne für Minijobber gedrückt. Für die Arbeitgeber ein Millionengeschäft. Modellrechnungen von ver.di zeigen zum Beispiel, dass ein großer Lebensmitteldiscounter, der 30.000 Minijobber/innen beschäftigt, rund 40 Mio. Lohnsumme einspart (2). Auch eine aktuelle Studie des IAB bestätigt die lohnsenkende Wirkung von Teilzeitarbeit. 40,1% der Teilzeitbeschäftigten arbeiten zu einem Niedriglohn, während dies bei Vollzeit auf 18,2% der Beschäftigten zutrifft (3). Die Minijobs treiben diesen Prozess besonders voran.
In diesen Arbeitsverhältnissen, die oft fälschlicherweise als Aushilfstätigkeiten aus-gewiesen werden, ist die Durchsetzung gesetzlicher und tariflicher Arbeitnehmerrechte noch weitaus schwieriger als in anderen Arbeitsverhältnissen.
Zudem beschleunigen die Minijobs die Erosion der Normal-Arbeitsverhältnisse insgesamt und schwächen bzw. gefährden die gewerkschaftlichen Gestaltungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten.
Die Beschäftigten haben keine ausreichende soziale Sicherung, einen unsicheren Arbeitsplatz und zudem werden ihnen häufig noch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsgeld, Urlaub oder Zahlungen bei Schwangerschaft und Mutterschutz vorenthalten.
Das WSI kommt deswegen in seiner Analyse zu dem Schluss: "Für die Beschäftigten erweist sich die Annahme, in Minijobs werde "brutto gleich netto´ und damit mehr verdient, damit faktisch als Illusion. Durch Lohnabschläge kommt der Vorteil´ durch die Steuer- und Abgabenbefreiung nicht den Beschäftigten im Minijob, sondern den Unternehmen zugute."
Beitrag
Neue Ordnung am Arbeitsmarkt auch für Minijobs
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 5, Jahr 2013, Seite 324 - 332
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Neue Ordnung am Arbeitsmarkt auch für Minijobs
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 5, Jahr 2013, Seite 324 - 332
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