Pressemeldung

Montag, 16. Juli 2018

Nachruf zum Tod von Christine Nöstlinger von Hans-Joachim Gelberg

Christine Nöstlinger, 1936 in Wien geboren, ist am 28. Juni 2018 gestorben. Wir sind tief betroffen und traurig.

In ihrer Dankesrede zur Verleihung des Astrid-Lindgren-Gedächtnispreises 2003 erklärt sie, so ziemlich alles, was sie zu sagen habe, stehe sowieso in ihren Büchern. Was sie erzählt, hat sie in allen Facetten auch erlebt. Auf vielfältige Weise wurde Kindheit in zahllosen Büchern   ihr bleibendes Thema. Aufgewachsen in einem Wiener Arbeiterbezirk, erlebte sie die Trümmerzeiten als kleines Kind. Der geliebte Vater im Krieg. In ihrer Stockholmer Rede erklärt sie: „Ich kann nur sagen, dass ich in meiner Kindheit so heftige Glücksgefühle hatte wie später nie mehr. Und ebenso gewaltige Unglücksgefühle wie später nie mehr.“  Und im späten Nachwort zu den Erinnerungsbüchern „Maikäfer, flieg!“ und „Zwei Wochen im Mai“ schreibt sie: „Die Wirklichkeit meiner Kindheit scheint für mich in jedem Jahrzehnt meines Lebens eine andere zu sein.“

 Anfangs wollte sie lieber zeichnen, bis sie begriff, dass sie viel besser erzählen kann. Ihr erstes Buch, „Die feuerrote Friederike“, bekam gleich einen Preis. Und dabei blieb es nicht. Sie bekam alle möglichen Preise der Kinderliteratur, die man hier nicht alle aufzählen kann. In ihren Dankesreden erklärt sie, wie es ist, ein Stück Welt in Sprache umzusetzen. „Weil ich unheimlich gern schreibe, ohne dass ich weiß, wie es weitergeht.“ Und es ging immer weiter. Nach und nach hat sie die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur mitgeprägt. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich das Erzählen für Kinder in den 60er und 70er Jahren total verändert hat. Es war zudem eine Phase heftiger Auseinandersetzung mit traditionellen, marktorientierten Mustern. Daran hat Christine Nöstlinger heftig teilgenommen. In vielen Diskussionen erläutert sie, was es bedeutet, Kindern ihre eigene Wirklichkeit zu erzählen. Immer wieder gelingt ihr das Offene. In ihrer Frankfurter Rede verweist sie eindringlich auf die Ohnmacht der Kinder in der Erwachsenenwelt. Christine Nöstlinger ist (wie ihre Freundin Astrid Lindgren) ganz und gar den Kindern zugewandt. So sagt sie in ihrer Rede: „Schauen und hören wir einfach den Kindern beim Leben zu.“ So führen ihre Geschichten ins Herz des Erzählens. Davon leben ihre Geschichten. Immer wieder, bis zuletzt, ist sie dem Leben zugewandt. „Das kleine Glück“, so nennt sie Texte und Geschichten über Schrebergärten und Vogelscheuchen. Alle Christine-Bücher handeln, so oder so, von der Liebe. Es sind wahre Geschichten. Nicht zuletzt, weil sie mitunter komisch sind. Sie liebte das Groteske, schuf köstliche Gestalten, auch sogenannte Gurkinger. Was sich in ihren phantastischen Geschichten zusammenfindet, das ist schlicht und einfach unvergesslich köstlich.

Nöstlingers grotesker Humor, gepaart mit scharfer Erkenntnis, findet sich auch in ihren Gedichten und Auszählreimen. So in den Dialekt-Versen: „Iba de gaunz oaman kinda“ und „Iba de gaunz oaman mauna“. Und im Kindergedicht warnt sie die Erwachsenen: „Und hört ihr nicht auf, euch gegen das Leben zu versündigen, / so müssen wir euch leider demnächst entmündigen! – Eure Kinder.“

 Nun ist Christine Nöstlinger im Alter von 81 Jahren gestorben. Sie ist uns unvergesslich.