Pressemeldung

Freitag, 18. Juli 2025

Wie wir wachsam bleiben und unsere Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen

Richterin Dr. iur. Eva Strnad über ihr Buch »Kein Kind ist sicher«

Liebe Frau Dr. Strnad, Kindesmissbrauch findet ständig und überall statt. Gibt es typische Anzeichen, bei denen Eltern – oder auch Lehrkräfte und Erziehende – unbedingt wachsam werden sollten?
Spezifische typische Anzeichen bei den Kindern gibt es leider nur sehr wenige. Und sehr oft sind Kinder nicht in der Lage, darüber zu reden. Denn Täter setzen alles daran, keine äußeren Spuren zu hinterlassen und die Kinder zum Schweigen zu bringen. Medizinisch kann man daher eher selten etwas nachweisen. Im Falle von verdächtigen Verletzungen im Genitalbereich sollte jedoch immer zeitnah eine rechtsmedizinische Untersuchung erfolgen, um Klarheit zu erlangen.
Darüber hinaus sollten Personen, die das Kind im Alltag erleben, immer aufmerksam werden, sobald das Kind auffällig sein Verhalten ändert – denn jedes Kind, das einen sexuellen Übergriff erlebt, teilt dies auf seine Weise mit, nicht unbedingt verbal, sondern durch Verhaltensänderungen. Sei es, dass es z.B. rebellischer, unkonzentrierter, aggressiver wird oder aber immer stiller. Wie man solche Anzeichen erkennt, wie man darauf am besten reagiert bzw. wie nicht, all dies sind Themen, die im Buch behandelt werden.
Ebenso sollten Eltern wachsam bleiben, zu welchen Personen ihre Kinder auf welche Art eine Beziehung aufbauen und wie es im Internet unterwegs ist.


Welche Rolle spielen die sozialen Medien?
Eine sehr bedeutende Rolle. Sexuelle Gewalt im Internet wirkt mittlerweile wie ein Brandbeschleuniger, der zu neuen Gefahren bei immer jüngeren Usern führt. Studien liefern erschreckende Zahlen, wie hoch der Anteil der Kinder ist, der über Spiele wie FIFA 22 oder Minecraft und soziale Medien wie Instagram, WhatsApp, Snapchat oder TikTok bereits sexualisierte Gewalt erfahren hat und in Kontakt mit Pädokriminellen stand. 2023 wurde erstmals schon in der Gruppe der 3-6jährigen eine erschreckend hohe Zahl an Cybergrooming Fällen gezählt. Auch der Anteil der jugendlichen Täter wächst überproportional. Dem strategischen Vorgehen der Täter in der digitalen Welt ist im Buch ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Es ist frappierend, wie sich die Muster in allen Missbrauchskonstellationen – online wie offline – gleichen und wiederholen: Sexueller Missbrauch ist keine Spontantat. Täter bereiten ihre Taten vor und gehen mit den gleichen Schritten vor.

 

Was können Eltern präventiv tun, um ihr Kind bestmöglich zu schützen?
Die beste Prävention ist eine gute Beziehung zwischen Eltern und Kind: Eltern, mit denen das Kind über Probleme reden kann, wenn es möchte, aber auch dann, wenn es etwas »angestellt« oder Schlimmes erlebt hat. Eltern, die akzeptieren, dass das Erleben von sexueller Gewalt ein Risiko beim Heranwachsen ihres Kindes ist wie das Risiko, einen Unfall im Straßenverkehr zu erleiden – und daher das Kind entsprechend erziehen und stark machen. Wie das im Einzelnen gelingen kann, ist im Buch beschrieben.
Eltern sollten dabei auch bedenken, dass Missbrauchstäter nicht selten aus dem engen sozialen Umfeld oder sogar dem Familienkreis entstammen. Hier besteht das Risiko, als Eltern Vorfälle nicht sehen zu wollen oder nicht für möglich zu halten.


Sie arbeiten als Familienrichterin. Was muss sich Ihrer Meinung nach gesellschaftlich und politisch ändern, damit Kinder frühzeitig gestärkt und besser geschützt werden?
Das Mindset zu sexuellem Missbrauch sollte sich ändern. Täter bauen darauf, dass die Umgebung des Kindes wegschaut, nichts wahrnimmt oder wahrnehmen will, während sie das Kind manipulieren und missbrauchen. Das Wissen um z.B. Täterstrategien, Missbrauchsmythen oder die Logik des eigenen Abwehrverhaltens zum Thema Missbrauch mit seinen fatalen Folgen ist noch viel zu wenig verbreitet. Dabei ist Wissen Macht. Macht, die wir den Tätern nicht überlassen sollten. Wissen verringert unsere diffusen Ängste und macht uns handlungsfähig.
Dazu gehört auch das Wissen, dass sexueller Missbrauch ein Massenphänomen ist. Es findet überall in der Gesellschaft statt, mitten unter uns.
Deshalb sollte jeder einzelne sich dieses Wissen aneignen, um eine Kultur des Hinschauens zu schaffen. Die Politik sollte dafür sorgen, dass dieses Wissen in Ausbildungen, Lehrplänen und Fortbildungen vermittelt wird. Daneben müssen mit finanziellen und personellen Mitteln die Strukturen geschaffen werden, dass alle Professionen im Kinderschutz handlungsfähig sind.

 

Wer sollte Ihr Buch unbedingt lesen?
Jeder, der im Alltag mit Kindern zu tun hat – sei es privat oder beruflich. Das sind natürlich Eltern. Aber genauso wichtig sind beispielsweise Lehrkräfte und Erziehende, aber auch Personen in der Sozialarbeit, Justiz, Vereinen, Kirchen und in Heilberufen.
Gewalt gegen Kinder ist keine Privatsache. Sie geht uns alle an. Es ist unsere Aufgabe, nicht nur unsere eigenen Kinder im Blick zu haben, sondern auch die anderen – damit Kinder, die keine nahen Bezugspersonen haben, die sie schützen, eine Chance auf Hilfe bekommen.