Zeitschrift für Pädagogik - Inhaltsverzeichnis

Jahrgang 50 – Heft 1– Januar/Februar 2004

Thementeil: Bildung über die Lebenszeit

Reinhard Fatke
Bildung über die Lebenszeit – Einführung in den Thementeil 1

Aleida Assmann
Der väterliche Bücherschrank – Über Vergangenheit und Zukunft der Bildung

Zusammenfassung: Bildung beruht nicht zuletzt auf einem verbindlichen Bestand von Büchern, von denen man annimmt, dass man sie gelesen haben muss. Ausgehend von diesem heute immer weniger eingelösten und einlösbaren Anspruch, wird gefragt, wie Menschen in der Vergangenheit solchen Büchern begegnet sind und welche Bedeutung sie in ihrem Leben hatten. An drei Beispielen (Ossip Mandelstam, Walter Mehring, Günter de Bruyn) wird beschrieben, wie der Bestand des väterlichen Bücherschranks von den Söhnen unter z.T. dramatischen Bedingungen angeeignet wurde, wobei deutlich wird, dass Tradition keine Sache der einfachen Weitergabe ist, sondern sich in der Dialektik von Verlust und Wiedererwerb vollzieht. Im zweiten Teil wird die Frage nach dem Absturz des Bildungsideals und seiner behutsamen Rückkehr gestellt, wobei sich abzeichnet, dass einer verwandelten Bildung in der Mediengesellschaft noch immer eine wesentliche Identitäts-Funktion zukommt, zumal sie auch etwas mit Bildern zu tun hat.

Rita Casale/Jürgen Oelkers/Daniel Tröhler
Lebenslanges Lernen in historischer Perspektive – Drei Beispiele für ein altes Konzept

Zusammenfassung: In der gegenwärtigen Diskussion wird „lebenslanges Lernen“ als didaktisches Konzept der Zukunft betrachtet. Zudem gilt das Konzept als neu in dem Sinne, dass „früher“ Lernen nicht als lebenslange Aufgabe betrachtet wurde. Aber das Lernen über die Lebensspanne gehört zu den Grunderfahrungen der menschlichen Geschichte; in diesem Sinne handelt es sich um einen historisch kontinuierlichen Tatbestand. Ausgehend von einer Theorie der historischen Erfahrung, behandelt der Artikel einen exemplarischen Lebenslauf und eine Erziehungsanleitung aus dem 16. Jahrhundert sowie einen didaktischen Versuch aus dem 18. Jahrhundert. Diese Beispiele sollen zeigen, dass Lernen nicht mit einer psychologischen Kategorie gleichgesetzt werden kann, welche erst im 20. Jahrhundert Geltung gefunden hätte. Geht man nicht von der Kategorie, sondern von den Phänomenen des Lernens und seiner Anleitung aus, dann ist „lebenslanges Lernen“ sowohl biografisch als auch didaktisch eine sehr beständige Erscheinung.

Ludwig Liegle/Kurt Lüscher
Das Konzept des „Generationenlernens“

Zusammenfassung: In diesem Beitrag wird vorgeschlagen, für diejenigen Formen des Lernens, für die der Bezug auf das Lebensalter bzw. die Generationenzugehörigkeit im Sinne von Altersdifferenz oder Altersgleichheit relevant ist und die für die Vermittlung und Aneignung von Kultur sowie für die Konstitution der Person bedeutsam sind, das Konzept des „Generationenlernens“ zu verwenden. Dies soll dazu anregen, in der erziehungswissenschaftlichen Theorie und Empirie des Lernens (und der Sozialisation) die Generationenperspektive verstärkt zur Geltung zu bringen sowie, umgekehrt, in der sozialwissenschaftlichen Generationenforschung dem Thema „Lernen“ mehr Beachtung zu schenken.

Helmut Fend/Fred Berger/Urs Grob
Langzeitwirkungen von Bildungserfahrungen am Beispiel von Lesen und Computer Literacy – Ergebnisse der LIFE-Studie (Lebensverläufe von der späten Kindheit ins frühe Erwachsenenalter)

Zusammenfassung: Lesen gilt – in beruflicher wie in kultureller Hinsicht – als wichtige Voraussetzung für lebenslanges Lernen. Vor diesem Hintergrund interessiert zum einen, welchen Anteil schulische Bildung, im Vergleich zu außerschulischen Faktoren, bei der Festigung einer habitualisierten Lesetätigkeit im Erwachsenenalter hat. Zum anderen stellt sich die Frage nach einem allfälligen Beitrag von Lesen für den Erwerb neuer Kompetenzen, wie etwa von Computer Literacy. Diesen Fragen wird auf der Grundlage von Daten zur beruflichen, sozialen und psychischen Entwicklung von gut 1.500 Personen zwischen dem 12. und dem 35. Lebensjahr nachgegangen. Die Prüfung von Modellen der Langzeitprognose bestätigt die große Bedeutung der Schulbildung für die spätere Lesetätigkeit und Computer Literacy, aber auch den Einfluss von außerschulischen Faktoren. Differenzielle Analysen nach Geschlecht und Herkunftsmilieu verweisen zusätzlich auf eine variierende Bedingungsstruktur und belegen die unterschiedliche Bedeutung des familiären Umfeldes, der eigenen Ressourcen sowie bestimmter Gelegenheitsstrukturen.

 

Diskussion 1: Evaluation der Erziehungswissenschaft

Hans Merkens
Evaluation in der Erziehungswissenschaft – eine neue Herausforderung?

Zusammenfassung: In dem Beitrag wird zunächst die zunehmende Bedeutung von Evaluation in den weiteren Kontext des gegenwärtigen Strukturwandels der Hochschullandschaft gestellt. Knappheit der Mittel und neue Möglichkeiten einer auf empirischen Daten basierenden vergleichenden Evaluation führen zu offenen Formen von Konkurrenz und Wettbewerb, wobei nicht immer eine Fairness des Vergleichs gewährleistet ist. Für die Erziehungswissenschaft ergeben sich besondere Probleme, weil die Ausstattung des Faches sowie auch die Lehrbelastung an den einzelnen Standorten sehr unterschiedlich sein kann. Aufgrund des Entwicklungsstandes der Disziplin ergeben sich auch Probleme bei der Anwendung von Kriterien wie Drittmitteleinwerbung und wissenschaftliche Produktivität, gemessen in Qualität und Quantität von Publikationen.

Heinz-Elmar Tenorth
Wer hat Angst vor den „Evaluationskommissaren“? Evaluation und Qualitätssteigerung der erziehungswissenschaftlichen Forschung

Zusammenfassung: Die Leitfrage des Beitrags lautet: Kann durch Evaluation ein Beitrag zur Entwicklung und Verbesserung der Forschung in der Erziehungswissenschaft geleistet werden? Ausgehend von dem damit angesprochenen Zusammenhang von Diagnose und Konstruktion werden beim Blick auf die bisherige Evaluationspraxis einige Defizite formuliert. Generell wird jedoch den bei der Evaluation von wissenschaftlichen Disziplinen üblicherweise angewandten Verfahren und Indikatoren auch bei der Evaluation der Erziehungswissenschaft durchaus eine Aussagekraft zugebilligt, wobei zugleich auf die Notwendigkeit von besonderen, disziplintypischen Spezifikationen – etwa in der Lehrerbildung – hingewiesen wird. Über die Forschung nicht nur evaluierende, sondern aufgrund bestimmter praktischer Schlussfolgerungen auch fördernde Wirkung von Evaluationen gibt es für die Erziehungswissenschaft allerdings noch keine empirisch gestützten Erkenntnisse.

Frieda Heyting
Beobachtungen zur internationalen Anschlussfähigkeit der Allgemeinen Erziehungswissenschaft in Deutschland

Zusammenfassung: Bei der Evaluation der Erziehungswissenschaft spielt immer auch die Frage nach der internationalen Anschlussfähigkeit ihrer Fragestellungen, Inhalte, Methoden, Praxisbezüge etc. eine wichtige Rolle. Der Beitrag geht von der These aus, dass die Allgemeine Erziehungswissenschaft in Deutschland ihrem Bemühen um die Explikation des "Allgemeinen" dieser Disziplin nicht nur unter Bezugnahme auf disziplininterne, sondern auch -externe Felder (Philosophie, Sozialwissenschaften) nachgeht. Diese sehr breite, Disziplinen verbindende Orientierung ist so in der anglo-amerikanischen Erziehungsphilosophie nicht anzutreffen, wobei wichtige Unterschiede zwischen der britischen und der us-amerikanischen Diskussionslandschaft bestehen. Vor diesem Hintergrund werden eine Reihe von wichtigen Differenzen, Gemeinsamkeiten und Perspektiven deutscher Allgemeiner Erziehungswissenschaft und ähnlich gelagerter anglo-amerikanischer Diskurse herausgearbeitet.

 

Diskussion 2: „Neue Kindheit“ in der Diskussion

Horst Rumpf
Für einen entdramatisierenden Umgang mit der „neuen Kindheit“? Zur Abwehr pädagogischer Horrorvisionen. Eine Erwiderung auf Jürgen Oelkers

Jürgen Oelkers
Eine Erwiderung auf Horst Rumpf

 

Sammelbesprechung

Hans-Joachim von Olberg
Didaktik auf dem Wege zur Vermittlungswissenschaft? Eine Sammelbesprechung neuerer Veröffentlichungen

 

Besprechungen

Joachim Kersten
Rudolf Leiprecht: Alltagsrassismus. Eine Untersuchung bei Jugendlichen in Deutschland und den Niederlanden
Benno Hafeneger/Mechtild M. Jansen: Rechte Cliquen. Alltag einer neuen Jugendkultur
EdithWölfl: Gewaltbereite Jungen – was kann Erziehung leisten? Anregungen für eine gender-orientierte Pädagogik

Gisela Miller-Kipp
Karl Heinz Jahnke: Jugend unter der NS-Diktatur 1933–1945. Eine Dokumentation Michael Buddrus: Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitler-Jugend und nationalsozialistische Jugendpolitik. 2 Bde.
Hermann Langer: „Im gleichen Schritt und Tritt“. Die Geschichte der Hitler-Jugend in Mecklenburg von den Anfängen bis 1945

Alois Suter
Robert Döpp: Jenaplan-Pädagogik im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zum Ende der Eindeutigkeit

Dokumentation

Pädagogische Neuerscheinungen