Thementeil: Demografie

Ewald Terhart/Rudolf Tippelt
Einleitung in den Thementeil „Demografie“

Stefan C. Wolter
Der intergenerationelle Konflikt bei Bildungsausgaben

Der demografische Wandel in den Industrieländern wird die Bildungsausgaben potenziell zweifach beeinflussen. Einerseits wird der Rückgang der Schülerzahlen zu einer Entlastung der Bildungsausgaben führen. Diese würde allerdings wegen der traditionell inelastischen Anpassung der Bildungsinfrastruktur an Schwankungen in den Schülerzahlen nur gering ausfallen. Andererseits ist aus der theoretisch-empirischen Literatur bekannt, dass das gleichzeitige Ansteigen des Anteils älterer Bürger die Ausgabenbereitschaft der Politik für Bildung negativ beeinflussen könnte. Der vorliegende Aufsatz fasst Ergebnisse aus zwei verschiedenen empirischen Studien in der Schweiz zusammen. Die erste zeigt, dass die Bildungsausgaben für den obligatorischen Schulbereich schon in der Vergangenheit negativ und signifikant auf ein Wachstum der älteren Bevölkerung reagiert haben. Die zweite Untersuchung zeigt, dass wenn man altersabhängige Präferenzen und Motive untersucht, davon auszugehen ist, dass der Zusammenhang von Altersstrukturen in einem Land und den Bildungsausgaben als kausal zu deuten ist und nicht lediglich ein statistisches Artefakt darstellt. Die Untersuchungen zeigen, dass der Kampf der Generationen um öffentliche Mittel der demografische Faktor sein wird, welcher die Bildungsbudgets am stärksten unter Druck setzen wird.

Thomas Rauschenbach/Matthias Schilling
Demografie und frühe Kindheit
Prognosen zum Platz- und Personalbedarf in der Kindertagesbetreuung

In dem Beitrag werden auf der Basis der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zunächst die demografischen Eckwerte im frühen Kindesalter dargestellt. Vor diesem Hintergrund werden die gegenwärtig absehbaren sich verändernden Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung zusammengefasst und so erstmalig für Deutschland eine umfassende Prognose erstellt, wie hoch der Bedarf an Betreuungsangeboten für Kinder im Krippen- und Kindergartenalter ab dem Jahr 2014 nach Altersjahrgängen und Bundesländern sein wird. Der damit verbundene Bedarf zusätzlich bereitzustellender Plätze zieht auch einen erhöhten Bedarf an Fachkräften nach sich. Auch dieser wird vorausberechnet. Durch das berufsbildende Ausbildungssystem kann voraussichtlich ein Großteil dieses Bedarfs gedeckt werden. Überlegungen, wie der dadurch nicht zu deckende Personalmehrbedarf realisiert werden kann, schließen den Beitrag ab.

Hans Bertram
Nachhaltige Familienpolitik und demografische Entwicklung
Zeit, Geld und Infrastruktur als Elemente einer demografiebewussten Familienpolitik

Familienpolitische Konzeptionen und Familienpolitik haben sich in den letzten Jahren im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik deutlich verändert. Im Rahmen dieses Aufsatzes werden zunächst einige wichtige Aspekte der demografischen Entwicklung der letzten 30 Jahre skizziert und darauf aufbauend gezeigt, wie nachhaltige Familienpolitik mit diesen Entwicklungen heute umgeht. Während traditionellerweise Familienpolitik häufig in alternativen Strategien gedacht wurde, nämlich entweder als Strategien finanzieller Förderung bestimmter Lebensformen oder aber im Sinne einer Politik zur Förderung des Ausbaus institutioneller Betreuung, zeichnet sich eine nachhaltige Familienpolitik vor allem dadurch aus, dass sie diese beiden Strategien nicht als einen Gegensatz begreift, sondern diese Strategien in einer dritten Dimension, nämlich der Zeit für Fürsorge im Lebensverlauf und im täglichen Alltag, so integriert, dass durch die Kombination von Infrastrukturangeboten, finanziellen Transfers für Familien und entsprechender zeitlicher Staffelung dieser Strategien nicht nur dem demografischen Wandel in Bezug auf die zurückgehenden Kinderzahlen, sondern auch den veränderten Rollen von Mann und Frau in unserer Gesellschaft wie aber auch den gewonnenen Lebensjahren Rechnung getragen wird.

Horst Weishaupt
Demografie und regionale Schulentwicklung

Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung waren in den letzten Jahrzehnten schon mehrfach Gegenstand schulplanerischer Überlegungen. Neu an der aktuellen Diskussion sind Befürchtungen, dass angesichts des steigenden Bedarfs an Akademikern im Beschäftigungssystem langfristig der qualifikationsspezifische Arbeitskräftebedarf nicht mehr gesichert sein könnte. Die bisher dazu verfügbaren Vorausberechnungen sind unbefriedigend. Mit dem zu erwartenden weiteren Rückgang der Schülerzahlen ergeben sich neben den Problemen, die bereits im Zusammenhang der Diskussion in den 1980er-Jahren aufgearbeitet wurden, neue Aufgaben für ländliche Regionen. Erörtert werden die Anforderungen, die sich durch die verstärkte Zusammenarbeit von Kindergarten und Grundschule, die Probleme der Sicherung eines flächendeckenden Angebots sonderpädagogischer Förderangebote und die Notwendigkeit der Stabilisierung eines differenzierten Berufsbildungsangebots ergeben. Abschließend werden Interessenskonflikte angesprochen, die bei der weiteren Schulentwicklung zu beachten sind.

Bernhard Schmidt/Rudolf Tippelt
Bildung Älterer und intergeneratives Lernen

Vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen, die veränderte Proportionen zwischen jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen beschreiben, rücken nicht nur Bildungsprozesse bis ins hohe Alter stärker in den Fokus der Bildungsforschung, sondern gewinnt auch der intergenerative Austausch und das gemeinsame Lernen an Bedeutung. In diesem Beitrag wird daher nach einer Analyse der Bildungsbeteiligung und der Lernfähigkeit Älterer auf bestehende Konzepte und Forschungsbefunde zum intergenerativen Lernen eingegangen, wobei insbesondere ein eigenes Forschungsprojekt Daten zur Bildungsaktivität der über 45-Jährigen sowie zu deren Einstellungen gegenüber dem intergenerativem Lernen und den jüngeren Generationen insgesamt liefert. Dabei wird die Heterogenität innerhalb der älteren Generationen sichtbar, die sich sowohl in Bildungsinteressen als auch in der Offenheit für den intergenerativen Austausch niederschlägt.

Deutscher Bildungsserver
Linktipps zumThema „Demografie“

 

Allgemeiner Teil

Marcelo Caruso
Experimentierfeld einer neuen Regierbarkeit
Die Einführung von Bildungsgutscheinen in Chile und der Aufstieg von Bildungsexperten

Angesichts prominenter Expertenempfehlungen zugunsten neuer Steuerungsinstrumente thematisiert der Beitrag die Verschränkung von Bildungsreform und empirischer Bildungsforschung im Falle der Auswirkungen der flächendeckenden Einführung von Bildungsgutscheinen bei den Bildungsreformen Chiles in den 1980er-Jahren. Die Befunde zahlreicher Forschungsarbeiten zur Wirksamkeit dieses Steuerungsinstruments werden in einem Diskussionsfeld kontextualisiert, ihre Konjunkturen und Veränderungen nachgezeichnet. Es entsteht dabei das Bild einer „Bildungsöffentlichkeit“, die sich stark an den Diskursgrenzen orientiert, die von dieser empirischen Bildungsforschung gezogen werden. Diese Machtposition von Experten wird als Teil einer neuen Ära der Regierung von Bildungssystemen verstanden, in der selektive Praktiken der Beweisführung in der Forschung das Bild einer eindeutigen Beweislage suggerieren. Diese simulierte Eindeutigkeit wird als privilegierte Form des Machtzuwachses von Expertenzirkeln gedeutet.

Iris Clemens
Die Herausforderung Indigener Theorien
Die Frage nach der Relevanz kulturtheoretischer Perspektiven in der Erziehungswissenschaft am Beispiel der Emergenz Indigener Theorien

Die Ansprüche auf Universalität wissenschaftlicher Erkenntnis in der globalen Weltgesellschaft werden mindestens auf den ersten Blick durch die Diskussion sogenannter Indigenous Theories oder Indigenous Knowledge herausgefordert. Der Beitrag befasst sich mit der Frage nach der Relevanz der soziokulturelle Differenzen berücksichtigenden Theorieansätze in der Erziehungswissenschaft unter den Bedingungen der Globalisierung. Dazu werden, ausgehend von der Globalisierung und ihrer Reflexion in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion, einige erziehungswissenschaftliche Positionen jenseits von Homogenisierungsthesen aufgegriffen, um im Folgenden anhand der Emergenz der Diskussion um Indigenous Theories im indischen Kontext kulturtheoretische Perspektiven auf wissenschaftliche Epistemologien zu erörtern und die These von der kulturellen Kohärenz von Wissen zu unterstreichen.

Dagmar Killus
Förderung selbstgesteuerten Lernens im Kontext lehrer- und organisationsbezogener Merkmale

Das Thema „Selbstgesteuertes Lernen“ stößt gegenwärtig auf große Resonanz. Gestützt auf Daten einer Lehrerbefragung an Berliner Schulen wird der Frage nachgegangen, inwieweit die von einer Lehrkraft praktizierten Unterrichtsansätze mit ihren didaktisch-methodischen Orientierungen einerseits sowie mit organisationsbezogenen Merkmalen ihrer Schule andererseits zusammenhängen. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Unterrichtsansätze zur Förderung selbstgesteuerten Lernens stark durch übergreifende didaktisch-methodische Aspekte der Unterrichtsgestaltung geprägt sind. Eine geringere Bedeutung haben dagegen organisationsbezogene Merkmale. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf Konsequenzen für nachhaltige Unterrichtsentwicklung sowie weitere Professionalisierung von Lehrkräften diskutiert.

 

Besprechungen

Heinz-Elmar Tenorth
Michael-Sören Schuppan: Hauptstadtegoismus und preußische Schulverwaltung. Die Berliner Schulentwicklung im Spannungsfeld bildungspolitischer Kompetenzen 1919–1933

Edith Glaser
Katharina Bieler: Im preußischen Schuldienst. Arbeitsverhältnisse und Berufsbiographien von Lehrerinnen und Lehrern in Berlin-Schöneberg 1871–1933

Gertrud Nunner-Winkler
Stefan Weyer/Monika Sujbert/Lutz Eckensberger: Recht und Unrecht aus kindlicher Sicht

Martin Rothland
Andreas Frey: Kompetenzstrukturen von Studierenden in der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung. Eine nationale und internationale Standortbestimmung

Christian Beck
Christina Schachtner/Angelika Höber (Hrsg.): Learning Communities. Das Internet als neuer Lern- und Wissensraum

 

Dokumentation

Pädagogische Neuerscheinungen