Beiträge zur pädagogischen Theorie und Bildungsforschung

Dietmar Langer
Möglichkeiten und Grenzen der Willenserziehung
Über die Erziehung zur und durch Vernunft bzw. Freiheit

Wenn man nicht mehr vom Subjekt ausgehen kann, das wahre Anbzw. richtige Einsichten und somit ‚a priori gültige‘ Erkenntnisse mit Gewissheit erstellt, sondern nur von Tätigkeiten, in denen z.B. ökonomische, religiöse oder künstlerische Handlungssubjekte zum Vorschein kommen, dann ist Willenserziehung jene Kommunikation, die in allen Erziehungsbereichen (wie z.B. in der Umwelt-, Glaubens- oder Kunsterziehung) stattfinden kann. Als Erziehung zur und durch Vernunft bzw. Freiheit will sie rationale Überlegungs- und Entschlussfähigkeiten vermitteln, wobei sich – so die These – der Zu-Erziehende in jedem Erziehungsbereich einen freien und vernünftigen Willen aneignen kann. Grenzen dieser Vermittlung bestehen darin, dass die tatsächliche Aneignung im Sinne sozialisierender Willensbildung von außen nicht bewirkt, dagegen von gesellschaftlichen Zwängen und Aporien der Vernunft verhindert werden kann.

Ulrich Binder/Lukas Boser
Die Metrisierung der Pädagogik und die Pädagogisierung des Meters
Wie Pädagogik modernisiert wird

Die historischen Prozesse der Modernisierung inklusive des Faktors ‚Öffentlichkeit‘ finden traditionell wenig Berücksichtigung bei der Erörterung der Frage, was ‚moderne Pädagogik‘ ausmache. Im vorliegenden Beitrag werden diese aber als wesentliche Konstitutionsfaktoren angesehen. Dieser Behauptung wird anhand einer Rekonstruktion der Diskussionen rund um die so genannten neuen Wissenschaften einerseits, der Diskussionen rund um die Standardisierung des Messwesens ab dem 17. Jahrhundert andererseits, nachgegangen. Im Zentrum steht die Frage, wie seitens dieser beiden Diskurse die Pädagogik öffentlich und die Öffentlichkeit pädagogisiert, die Modernisierung pädagogisch vorangetrieben und die Pädagogik modernisiert wird.

Henning Schluß
Ironie als Bildungsziel?

Ausgehend von dem Plädoyer in einem Text Roland Reichenbachs, Ironie zum Bildungsziel der Politischen Bildung zu erheben, wird die Frage diskutiert, auf welches Verständnis von Ironie damit gezielt ist. Reichenbach diskutiert nicht, ob es auch andere Bildungsziele der politischen Bildung geben sollte. Da er jedoch keine weiteren benennt, widmet sich der vorliegende Beitrag hauptsächlich der These, dass Ironie zwar nicht alleiniges Bildungsziel der politischen Bildung sein kann, welches andere Bildungsziele wie Emanzipation und Affirmation ablösen könnte, wohl aber – zusammen mit diesen Zielen – Teil eines offenen Netzwerks von Bildungszielen sein könnte und sollte. Die Situationsbeschreibung Reichenbachs, die seiner These, dass die spätmoderne Situation Ironie als Ziel der politischen Bildung fordere, zugrunde liegt, gilt grundsätzlich für alle Bildungsbereiche. Insofern wird am Ende gefragt, ob diese Bildungszielbeschreibung sich auf andere Bildungsbereiche ausdehnen ließe.

Christian Niemeyer
Nietzsche – nur Narr? Die Sprache des Zarathustra – und die Pädagogik
Eine Zwischenbilanz nach 125 Jahren Rezeptionsgeschichte

Nietzsches Dichtung „Also sprach Zarathustra“ mit der zentralen Lehre vom Übermenschen ist von Beginn an auf Unverständnis und große Skepsis getroffen wegen der von Nietzsche hier gewählten Sprache und Erzählform. Dies mag erklären, dass im Verlauf von 125 Jahren deutschsprachiger Rezeptionsgeschichte die Herausstellung einzelner, erzieherisch relevanter Slogans dominierte, ebenso wie die Kritik an Ratschlägen wie „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt!“ Tatsächlich ist die vor allem von Nietzsches Schwester vorangetriebene Zubereitung dieses Werkes als angebliche Erbauungsliteratur im Tornister des (deutschen) Soldaten des Ersten Weltkriegs mit Skepsis zu sehen. Gegenüber diesen teils fehl greifenden und teils selektiven Lesarten versucht der Aufsatz einen neuen Zugang zum Werk zu eröffnen, ausgehend von Nietzsches Hinweis, dass er hier teilweise eine sehr persönliche Geschichte darbiete, die sich bei zureichendem Wissen um seine Biographie und seine übrigen Werke in Theoriesprache übersetzen lasse. Es wird zu zeigen versucht, warum und inwiefern Nietzsche im Verlauf des „Zarathustra“ einen Paradigmenwechsel vornimmt weg von einer erzieherischen hin zu einer psychologischen Problembearbeitung.

Nele Kampa/Mareike Kunter/Kai Maaz/Jürgen Baumert
Die soziale Herkunft von Mathematik-Lehrkräften in Deutschland
Der Zusammenhang mit Berufsausübung und berufsbezogenen Überzeugungen bei Sekundarstufenlehrkräften

Der vorliegende Artikel untersucht die sozioökonomische Herkunft von Mathematiklehrern in Deutschland und den Zusammenhang mit ihren Berufslaufbahnentscheidungen sowie berufsbezogenen Überzeugungen. Grundlage sind Fragebogendaten von 1126 Mathematiklehrkräften, die an einer für Deutschland repräsentativen Sekundarschul-Stichprobe unterrichten. Angelehnt an die Theorie Bourdieus wurde geprüft, ob die ökonomischen und kulturellen Verhältnisse in den Herkunftsfamilien der Lehrkräfte im Zusammenhang mit Entscheidungen zur Berufslaufbahn und ihren berufsbezogenen Überzeugungen stehen. Weiterhin wurde betrachtet, inwiefern Lehrkräfte in ihrem Unterrichtsalltag auf Schüler treffen, die aus ihnen fremden Herkunftsgruppen stammen. Die Ergebnisse zeigen, dass die sozioökonomische Herkunft der Lehrer in keinem systematischen Zusammenhang mit ihren Berufslaufbahnentscheidungen sowie ihren berufsbezogenen Überzeugungen stehen.

Silke Traub
Selbstgesteuert lernen im Projekt?
Anspruch an Projektunterricht und dessen Bewertung aus Sicht von Lehrenden und Lernenden

Die Forderung Lernarrangements zu schaffen, in denen selbstgesteuert gelernt werden kann verstärkt sich zunehmend. Die gängige deutschsprachige Projektliteratur benennt Merkmale selbstgesteuerten Lernens als zentrale Bestandteile eines Projektunterrichts. Lernende dagegen schätzen sich selbst im Projektunterricht eher wenig selbstgesteuert ein und diese Einschätzung wird von Lehrenden bestätigt. Es lässt sich also eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch an selbstgesteuerten Lernens im Projektunterricht und dessen Bewertung aus Sicht von Lehrenden und Lernenden nachweisen.

Ekkehard Nuissl von Rein/Karin Dollhausen
Kulturen der Programmplanung

Die Einrichtungen der öffentlichen Weiterbildung stehen heute sowohl in organisatorischer, wirtschaftlicher und pädagogischer Hinsicht vor neuen Anforderungen. Weitgehend unerforscht ist bislang, wie sich die Einrichtungen auf veränderte Bedingungen und Anforderungen einstellen und welche Konsequenzen dies für die Planung von Angeboten und Programmen haben kann. Der vorliegende Beitrag greift diese „Lücke“ auf. Ergänzend zu den bisherigen Forschungsansätzen wird ein systemtheoretisch-kulturanalytisch ausgerichtetes Forschungsdesign zur empirischen Analyse von Programmplanungen in Weiterbildungsorganisationen sowie dadurch ermöglichte Einsichten in verschiedene „Kulturen der Programmplanung“ vorgestellt.

 

Besprechungen

Juliane Jacobi
Ariane Baggermann/Rudolf Dekker: Child of Enlightment. Revolutionary. Europe reflected in a Boyhood Diary
Elisabeth Badinter: Der Infant von Parma oder die Ohnmacht der Erziehung
T. C. Boyle: Das Wilde Kind

Berit Ötsch
Frank Surall: Ethik des Kindes. Kinderrechte und ihre theologisch-ethische Rezeption

Ewald Terhart
John Hattie: Visible Learning.ASynthesis of over 800 Meta-Analyses relating to Achievement

 

Dokumentation

Pädagogische Neuerscheinungen