Zeitschrift für Pädagogik - Inhaltsverzeichnis
Jahrgang 49 – Heft 2 – März/April 2003

Essay

161

Hans-Werner Fuchs

Auf dem Weg zu einem neuen Weltcurriculum? Zum Grundbildungskonzept von PISA und der Aufgabenzuweisung an die Schule

Zusammenfassung: In der Debatte um PISA 2000 überwogen bisher der Vergleich erreichter Rangplätze und die Frage nach den aus den Ergebnissen zu ziehenden Konsequenzen, die vor allem mit dem Verweis auf die Notwendigkeit strukturell-organisatorischer Reformen im Vorschul- und Schulwesen beantwortet wurde. Entlang der Thesen, dass (a) der PISA-Testkonzeption ein funktionalistischer Ansatz von ‚Bildung als Kompetenz‘ zugrunde liegt, und, dass (b) die OECD mit PISA auf eine stärkere Orientierung institutionalisierter Bildung an gesellschaftlichen und ökonomischen Bedürfnissen zielt, werden in diesem Beitrag das der Untersuchung zugrunde liegende Bildungsverständnis und die Frage nach den mit PISA verfolgten Interessen der OECD diskutiert – Aspekte, die bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit fanden. Darüber hinaus werden mögliche langfristige Wirkungen von PISA auf Schule und Unterricht in den Blick genommen.


Thementeil: Leistungsvergleiche – Chancen und Folgen

180

Peter Martin Roeder

TIMSS und PISA – Chancen eines neuen Anfangs in Bildungspolitik, -planung, -verwaltung und Unterricht. Endlich ein Schock mit Folgen? 

Zusammenfassung:

Der Tenor des Beitrags ist durch die Einschätzung bestimmt, dass mit TIMSS und PISA ein qualitativer Sprung in der international vergleichenden Schulforschung gelungen ist. Auf dieser Basis werden im einleitenden Kapitel die Chancen erörtert, aus der in diesen Projekten empirisch begründeten Kritik des deutschen Bildungssystems konsensfähige Maßnahmen zu dessen Weiterentwicklung abzuleiten. Unter diesem Aspekt wird die Kritik am Föderalismus im Bildungssystem zusammen mit einigen einschlägigen Befunden zum Bundesländervergleich in PISA thematisiert; die Entwicklung der Bildungsforschung selbst wird als wichtige Rahmenbedingung im Prozess der Umsetzung von Forschungsergebnissen in praktische Veränderungen bewertet. Im zweiten Kapitel werden die in den öffentlichen Reaktionen auf die aktuellen Schulleistungsstudien geäußerten Reformvorschläge unter der Fragestellung diskutiert, welche Veränderungen angesichts einer Vielfalt in sich komplexer Anforderungen vorrangig sein sollten. Kapitel 3 befasst sich mit Forschungsergebnissen zur Bedeutung der Schularten im gegliederten System für die Lenkung von Schülerströmen – explizit nach den Kriterien Befähigung und Vorwissen, in Deutschland aber stärker als in den meisten anderen PISA-Teilnehmerstaaten verbunden mit Statusmerkmalen der Herkunftsfamilie, die maßgeblich an der Entwicklung von Befähigung und Wissen beteiligt ist. Im abschließenden Kapitel 4 werden Resultate von PISA zur in Deutschland besonders häufigen Verzögerung von Schullaufbahnen referiert und mit Ergebnissen anderer Projekte konfrontiert, die eine weniger rigorose Bewertung nahe legen. Die zweifellos zu kritisierende Häufigkeit von Verzögerungen z.B. durch Klassenwiederholungen erscheint vor diesem Hintergrund eher als Folge des Fehlens praktikabler Alternativen zur Förderung von Schülern mit gravierenden Leistungsschwächen.


198

Wilfried Bos/Eva-Maria Lankes/Manfred Prenzel/Knut Schwippert/Gerd Walther/Renate Valtin/Andreas Voss

Welche Fragen können aus einer gemeinsamen Interpretation der Befunde aus PISA und IGLU fundiert beantwortet werden?

Zusammenfassung: Mit der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU und ihrer nationalen Erweiterung IGLU-E liegen in Kürze neben den umfangreichen Leistungsdaten aus PISA für die Sekundarstufe I zum ersten Mal auch für den Primarbereich repräsentative Daten über die Leistungen in Lesen, in Mathematik und im naturwissenschaftlichen Bereich des Sachunterrichts vor. Die Daten aus den beiden Untersuchungen sind nicht nur wegen der ihnen zugrundeliegenden Kompetenzmodelle, sondern auch wegen der in weiten Teilen ähnlich erhobenen Hintergrundinformationen unter gewissen Perspektiven miteinander vergleichbar. Ein solcher Vergleich kann helfen, leistungsrelevante Zusammenhänge (z.B. Geschlecht, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Status, Unterstützung des Elternhauses) und Problemfelder (z.B. Defizite in bestimmten Kompetenzbereichen) zu identifizieren, deren Entwicklung sich bereits im Primarbereich abzeichnet, so dass Maßnahmen bereits an den Wurzeln des Problems ansetzen und zukünftige Längsschnittuntersuchungen gezielt geplant werden können.


      

213

Kurt A. Heller

Das Gymnasium zwischen Tradition und modernen Bildungsansprüchen

Zusammenfassung: Nach einem kurzen historischen Rückblick auf das Gymnasium als traditionelle europäische Sekundarschule zur Vorbereitung von higher education im Sinne eines Universitätsstudiums wird der aktuelle Bildungsauftrag dieser Schulform diskutiert. Welche Rolle kann dabei das Gymnasium als Lernort für besonders befähigte Schüler übernehmen? Diese Frage soll hier vor allem aus pädagogisch-psychologischer Sicht quasi "prospektiv" geklärt werden. Eine "retrospektive" Analyse erlauben (indirekt) die Befunde aktueller nationaler und internationaler Schulevaluationsstudien, wobei die Leistungsfähigkeit bzw. Effizienz der Schulform "Gymnasium" in den Fokus rückt. Schließlich werden bildungspolitische Konsequenzen und Forderungen an das Gymnasium zur Diskussion gestellt.

Allgemeiner Teil

235

Martin Rothland
Magister magistri lupus? ‚Mobbing‘ am Arbeitsplatz Schule

Zusammenfassung: Vor dem Hintergrund einer Skizze der allgemeinen Auseinandersetzung mit und der Forschung zu dem populären Phänomen ‚Mobbing am Arbeitsplatz‘ wird die schulbezogene Diskussion des Themas einer kritischen Analyse unterzogen. Nachfolgend wird mit Blick auf die strukturellen und interaktionellen Charakteristika des Lehrerberufs sowie des Arbeitsplatzes Schule diskutiert, inwieweit diesen ein erhöhtes Potenzial für das Auftreten von ‚Mobbing‘ zugeschrieben werden kann und wie die Wirkungen dieses Potenzials zu bewerten sind.
      
254 Andreas Krause
Lehrerbelastungsforschung – Erweiterung durch ein handlungspsychologisches Belastungskonzept
Zusammenfassung: Die Lehrerbelastungsforschung kann durch eine Vielzahl verschiedenartiger Konzepte, Definitionen und Methoden charakterisiert werden. Vorherrschend sind Ansätze in der Tradition transaktionaler Stresskonzepte sowie Ansätze, die verschiedene Aspekte der Persönlichkeit betonen. Entsprechend beruhen die Erhebungsmethoden fast ausschließlich auf Selbstberichten der Lehrkräfte. Es bleibt theoretisch ungeklärt, welche Aspekte der Tätigkeit als Belastungsfaktoren zu berücksichtigen sind. Arbeitswissenschaftliche Vertreter orientieren sich vor allem an dem Belastungs-Beanspruchungskonzept. In diesem Beitrag wird zusätzlich ein handlungspsychologisches Belastungskonzept vorgestellt, welches auf die Unterrichtstätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern übertragen wurde. Die empirischen Ergebnisse einer Studie bestätigten die Reliabilität und Validität des entwickelten Untersuchungskonzepts und somit die Möglichkeit, psychische Belastungen über Beobachter zu erheben. Das handlungspsychologische Belastungskonzept liefert einen konzeptionellen Beitrag, um ein Verständnis der Tätigkeit von Lehrkräften zu entwickeln und einen theoretisch begründeten Zugang zu Situationen zu erhalten, die sich psychisch belastend auswirken.

   
Diskussion
274 Alfred Langewand

Über die Schwierigkeit, Erziehung als Aufforderung zur Selbsttätigkeit zu begreifen
Zusammenfassung: Der Beitrag analysiert den Begriff der Erziehung als "Aufforderung zur freien Selbsttätigkeit". Im ersten Teil wird die interaktionstheoretische Fassung dieses Konzepts in der frühen Rechtsphilosophie J.G. Fichtes untersucht, in der sie die Begründung sowohl des Begriffs des gesellschaftlichen Rechts als auch des Begriffs der Erziehung leisten soll. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der handlungstheoretischen Lesart dieses Konzepts in der praxeologischen Allgemeinen Pädagogik D. Benners.
    
290 Dietrich Benner

Über die Unmöglichkeit, Erziehung allein vom Grundbegriff der "Aufforderung zur Selbsttätigkeit" her zu begreifen. Eine Erwiderung auf Alfred Langewand 
Zusammenfassung: Die folgende Erwiderung auf den Beitrag von Alfred Langewand zeigt in einem ersten Schritt, dass dessen kontextanalytische Argumentation auf Aspekte des Fichteschen Naturrechts konzentriert ist und weder den weiteren Kontext, in dem der Begriff der Aufforderung zur Selbsttätigkeit bei Fichte vorkommt, noch jene Zusammenhänge ausschöpft, in dem er in der Allgemeinen Pädagogik erörtert wird. In einem zweiten Schritt wird dann die von Langewand vorgenommene Unterscheidung zwischen Handlungstheorie und Interaktionstheorie problematisiert. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer, handlungstheoretische Fragen als Fragen pädagogischer Interaktion zu interpretieren und die Theorieprobleme erziehungswissenschaftlicher Forschung nicht einseitig erziehungstheoretisch zu begrenzen, sondern bildungs- und institutionentheoretische Fragen eine vergleichbare handlungs- und interaktionstheoretische Bedeutung zuzuerkennen.

Besprechungen
305 Klaudia Schultheis
  Winfried Böhm (Hrsg.): Pädagogik – wozu und für wen?
307 Micha Brumlik
Ernst Martin: Sozialpädagogische Berufsethik. Auf der Suche nach dem richtigen Handeln
308 Juliane Jacobi
Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft
Caroline Hopf/Eva Matthes: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Ihr Engagement für die Frauen- und Mädchenbildung. Kommentierte Texte
311 Theodor Schulze
Charlotte Heinritz: Auf ungebahnten Wegen. Frauenautobiographien um 1900
314 Marc Depaepe
Dietrich Benner/Herwart Kemper: Theorie und Geschichte der Reformpädagogik. Teil 1: Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanismus; Teil 2: Die Pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik
Dietrich Benner/Herwart Kemper (Hrsg.): Quellentexte zur Theorie und Geschichte der Reformpädagogik. Teil 1: Die pädagogische Bewegung von der Aufklärung bis zum Neuhumanismus; Teil 2: Die Pädagogische Bewegung von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik

Dokumentation
321
Pädagogische Neuerscheinungen