Jahrgang 52 – Heft 2 – März/April 2006
Ewald Terhart/Eckhard Klieme
Kooperation im Lehrerberuf – Forschungsproblem und Gestaltungsaufgabe
Zur Einführung in den Thementeil
Martin Bonsen/Hans-Günter Rolff
Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern
Forschungen aus den USA geben gewichtige Hinweise dafür, dass sog. „professional learning communities“ besonders effektiv für schulische Personalentwicklung und das Lernen der Schüler zugleich sind. Sie verbinden und vereinigen wie kein anderer Ansatz das Lehrerlernen mit dem Schülerlernen bzw. Personalentwicklung mit Unterrichtsentwicklung. Professionelle Lerngemeinschaften sind seit längerem in den angelsächsischen Ländern und seit einigen Jahren auch in Deutschland (vgl. Rolff 2000) in aller Munde. Das Konzept der Professionellen Lerngemeinschaft weckt in der Schulentwicklung die Hoffnung, den Königsweg für Qualitätsverbesserung von Schulen und Unterricht weisen zu können. Schulforscher und Schulentwickler bezeichnen mit diesem Begriff engagierte Arbeitsgruppen in Schulen oder produktive Fach- oder Jahrgangskonferenzen, aber auch ganze Kollegien im Aufbruch und sogar umfassende Netzwerke mehrerer innovativer Schulen. Der Begriff droht zu diffundieren. Der Beitrag zielt darauf ab, den Begriff zu klären, den Stand der Forschung zu sichten und vor diesem Hintergrund das Konzept für Schultheorie und Schulentwicklung genauer zu bestimmen und den Stellenwert von Professionellen Lerngemeinschaften für die Schultheorie wie für die angewandte Schulentwicklung herauszuarbeiten. Vor diesem Hintergrund wird eine eigene empirische Studie vorgestellt, die ein Erhebungsinstrument pilotiert, das dazu dient, Professionellen Lerngemeinschaften in Schulen zu identifizieren.
Brigitte Steinert/Eckhard Klieme/Katharina Maag Merki/Peter Döbrich/Ueli Halbheer/André Kunz
Lehrerkooperation in der Schule: Konzeption, Erfassung, Ergebnisse
In der Diskussion über die Qualität und Qualitätsentwicklung in Schulen ist die praktische Relevanz der Lehrerkooperation im Kollegium kaum strittig. Im Kontrast dazu sind die theoretischen Konzeptualisierung und empirische Erfassung des Konstrukts keineswegs konsistent. In diesem Beitrag werden die in der Schuleffektivitäts- und Schulentwicklungsforschung diskutierten Merkmale der Lehrerkooperation zum Ausgangspunkt für eine kriterienorientierte Erfassung gemacht. Datenbasis ist eine Lehrerbefragung an 158 Sekundarschulen in Hessen und im Kanton Zürich. Die Ergebnisse zeigen, dass Niveaustufen der Lehrerkooperation unterschieden werden können, die den Aufgaben und Anforderungsmerkmalen der sozialen Organisation Schule entsprechen. Aus den Schulform- und Länderunterschieden in der Lehrerkooperation geht hervor, dass organisationsstrukturelle Bedingungen und Anforderungen der Schulen für Unterschiede in der Lehrerkooperation weniger bedeutsam sind als vielfach erwartet.
Cornelia Gräsel/Kathrin Fußangel/Christian Pröbstel
Lehrkräfte zur Kooperation anregen – eine Aufgabe für Sisyphos?
Dieser Aufsatz sucht nach Gründen für das geringe Maß an Kooperation zwischen Lehrkräften und nach Möglichkeiten, mehr Kooperation anzuregen. Auf der Basis einer organisationspsychologischen Definition von Kooperation werden drei verschiedene Formen der Zusammenarbeit von Lehrkräften unterschieden: (1) Austausch (zur wechselseitigen Information), (2) Arbeitsteilung (zur Effizienzsteigerung) und (3) Kokonstruktion (zur Steigerung der Schulqualität und professionellen Weiterentwicklung). Die zentrale These des Beitrags lautet, dass diese verschiedenen Formen nicht nur unterschiedliche Funktionen erfüllen, sondern unterschiedliche Bedingungen erfordern. Diese These wird anhand erster Studien entwickelt, die sich mit der Anregung zur Kooperation durch schulexterne Lehrerfortbildung befassen.
Geert Kelchtermans
Teacher collaboration and collegiality as workplace conditions
A review
„Lehrerkooperation“ und „Kollegialität“ sind nicht nur viel benutzte Begriffe. Sie bezeichnen entscheidende Faktoren der Schulentwicklung sowie des beruflichen Kompetenzaufbaus von Lehrern. Die folgende Übersicht über die relevante internationale Forschungsliteratur zeigt jedoch, dass dieser positive Beitrag nicht selbstverständlich ist. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Zusammenarbeit und Kollegialität unterschiedliche Formen annehmen und für unterschiedlichen Interessen eingesetzt werden können – auch für solche, die kritisch betrachtet werden müssen. Ebenso ist es wichtig, eine Balance zwischen Kollegialität und Autonomie zu erreichen. Allzu einfache Behauptungen über die Vorteile von Kooperation sind ebenso wenig begründet wie negative Urteile über die Autonomie des einzelnen Lehrers. Ein adäquates Verständnis von Lehrerkooperation ergibt sich erst unter Einbeziehung des organisatorischen Kontexts der Schule. Die hier anzutreffenden Bedingungen bestimmen und beeinflussen die spezifische Form, den Inhalt, die Bedeutung und den Einfluss von Kooperation. Insofern resultieren Zusammenarbeit und Kollegialität aus den spezifischen Bedingungen des Arbeitsplatzes Schule und wirken umgekehrt auf diesen zurück. Für ein adäquates Verständnis dieser Zusammenhänge wird sowohl ein kulturbezogener wie auch ein mikropolitischer Ansatz benötigt. In diesem Sinne sollten professionelle Lerngemeinschaften nicht so sehr als strukturelle Arrangements, sondern als kulturelle und mikropolitische Umwelten für solche Formen von Zusammenarbeit und Kollegialität angesehen werden, die nachhaltig zum Lernen der Schüler, zur beruflichen Entwicklung von Lehrern sowie schließlich zur Schulentwicklung beitragen.
Deutscher Bildungsserver
Linktipps zum Thema Kooperation von Lehrern
Johannes Bellmann/Yvonne Ehrenspeck
Historisch/systematisch – Anmerkungen zur Methodendiskussion in der pädagogischen Historiographie
Der Beitrag setzt sich mit aktuellen Ansätzen eines kontextanalytischen Selbstverständnisses in der pädagogischen Historiographie auseinander und wendet sich dann problemgeschichtlichen Ansätzen zu, die in der gegenwärtigen Methodendiskussion verstärkt in die Kritik geraten sind. Es soll gezeigt werden, dass sowohl Kontextanalyse als auch Problemgeschichte ein unzureichendes Sensorium für die Darstellungsmomente der eigenen historiographischen Arbeit ausgebildet haben. Ausgehend von dieser Defizitanalyse wird die Möglichkeit diskutiert, pädagogische Historiographie – gleich welcher Provenienz – als Darstellung und Darstellungsreflexion zu verstehen und damit zugleich die Antinomie zwischen historischen und systematischen Operationen der Forschung zu überwinden.
Johannes Giesinger
Paternalismus und Erziehung
Zur Rechtfertigung pädagogischer Eingriffe
Obwohl das Problem der Legitimität pädagogischer Eingriffe in der deutschsprachigen Pädagogik zeitweise heftig diskutiert wurde, hat man die angelsächsische Paternalismus-Debatte bislang kaum zur Kenntnis genommen. Dieser Beitrag schlägt vor, Erziehung als eine Form von Paternalismus zu verstehen und die argumentativen Modelle, die im Zuge der Paternalismus-Debatte entwickelt wurden, zur Rechtfertigung von Erziehung zu verwenden. Es werden drei Kriterien entwickelt, die zur Prüfung der Legitimität pädagogischer Eingriffe herangezogen werden können.
Margrit Stamm
Schulabsentismus
Anmerkungen zu Theorie und Empirie einer vermeintlichen Randerscheinung schulischer Bildung
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit der Deskription und Erklärung unerlaubten Fernbleibens Jugendlicher von der Schule ('Schulabsentismus‘). International sind dazu in den letzten Jahren einige wichtige konzeptuelle und empirische Arbeiten entstanden. Sie bedingen, das Schulschwänzen in einen neuen Kontext zu stellen und seine vielfältigen Erscheinungsformen aus der Etikettierung als ‚harmloser Regelverstoß‘ herauszulösen. Traditionelle Erklärungen, wonach Schulabsentismus in erster Linie mit einem ungünstigen sozialen Hintergrund und mit Leistungsschwäche resp. niedriger Intelligenz einhergehe, sind ebenso brüchig geworden wie die Überzeugung, es handle sich um ein individuell verantwortetes Problem, auf das die Institution Schule nur einen geringen Einfluss ausüben könne. In diesem Aufsatz wird diskutiert, inwiefern zwischen Schulabsentismus und Schulqualität Zusammenhänge insofern bestehen, als Schulen an der Herausbildung und Verfestigung respektive an der Minimierung schulabsenter Verhaltensformen beteiligt sind und dass auch hohe Intelligenz oder günstige individuelle Bedingungsvariablen damit einhergehen können. Solche Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Konzeption einer Schweizer Längsschnittstudie, deren Forschungsidee abschließend vorgestellt wird.
Heinz-Elmar Tenorth
Torsten Gass-Bolm: Das Gymnasium 1945–1980. Bildungsreform und gesellschaftlicher Wandel in Westdeutschland
Thomas Geisen
Franz Hamburger/Tarek Badawia/Merle Hummrich (Hrsg.):Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwanderungsgesellschaft
Rebekka Horlacher
Peter Ramsauer: „Zieh aus deines Vaters Hause“. Die Lebenswanderung des Pädagogen Johannes Ramsauer im Bannkreis Pestalozzis
Pädagogische Neuerscheinungen