Werner Helsper
Elite und Exzellenz – Transformationen im Feld von Bildung und Wissenschaft?
Einleitung in den Thementeil
Bernd Zymek
Prozesse der Internationalisierung und Hierarchisierung im Bildungssystem
Von der Beharrungskraft und Auflösung nationaler Strukturen und Mentalitäten
In dem Artikel werden die Auswirkungen von Internationalisierungsprozessen auf die – amtlichen und inoffiziellen – Hierarchien des deutschen Schulwesens analysiert und in dieser Perspektive zwei gegenläufige Prozesse seit dem 2. Weltkrieg identifiziert: Einerseits war es die Generallinie der Schulpolitik in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland (nicht aber in der DDR), die traditionellen Strukturen gegenüber ausländischen Einflussnahmen und internationalen Entwicklungstrends zu verteidigen. Andererseits ist zu beobachten, dass hinter der Fassade der amtlichen Strukturen neuartige Hierarchisierungprozesse stattgefunden haben, mit denen die Schulen vor Ort und die bildungsbewussten Milieus auf Prozesse der Internationalisierung reagiert haben. Es ist allerdings zu erwarten, dass der Umbau des deutschen Bildungssystems nach internationalen Standards in den nächsten Jahren zu neuen Prozessen der Hierarchisierung führen wird.
Norbert Ricken
Elite und Exzellenz – Machttheoretische Analysen zum neueren Wissenschaftsdiskurs
Auch wenn die Begriffe ‚Elite’ und ‚Exzellenz’ die gegenwärtigen Bildungsund Wissenschaftsdiskurse häufig als Doppel bestimmen, werden jedoch die sich vollziehenden Verschiebungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem überwiegend unter dem Stichwort der ‚Elite’ diskutiert. Analysen zu ‚Exzellenz’ sind eher selten und werden zudem oft mit ‚Elite’ verknüpft. Der Beitrag unternimmt daher eine machttheoretisch justierte Auseinandersetzung mit dem Begriff und dem Diskurs der Exzellenz in der neueren Wissenschafts- und Forschungspolitik. Im Ausgang von einer Skizze des gegenwärtig sich vollziehenden Strukturwandels im Wissenschaftssystem sowie einer Erläuterung der Semantik der ‚Exzellenz’ werden zunächst ausgewählte Linien des Diskurses der Exzellenz rekonstruiert; vor diesem Hintergrund lassen sich dann insbesondere zwei Machteffekte beschreiben: die Macht der ‚Exzellenz’ kann, so wird deutlich, nicht allein in institutionellen und strukturellen Folgen gesehen, sondern muss auch in ihren spezifischen Subjektivationseffekten und Wahrheitseffekten analysiert werden.
Kai Maaz/Gabriel Nagy/Kathrin Jonkmann/Jürgen Baumert
Eliteschulen in Deutschland
Eine Analyse zur Existenz von Exzellenz und Elite in der gymnasialen Bildungslandschaft aus einer institutionellen Perspektive
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage nach der Existenz und Identifikation von Elite- und Exzellenzgymnasien. Eliteschulen wurden über Merkmale des sozialen Hintergrunds, Exzellenzgymnasien über die Testleistungen der Schülerinnen und Schüler definiert. Die Analysestichprobe bildetenN=410 Gymnasien der nationalen Erweiterung der PISA 2000-Studie. Auswertungen mittels latenter Profilanalysen zeigten, dass sich sowohl bei der Verwendung aggregierter Indikatoren der sozialen Komposition als auch bei der Analyse von aggregierten Testleistungen vier Gymnasialgruppen identifizieren ließen, von denen jeweils eine als Elite- bzw. Exzellenzcluster bezeichnet werden konnte. Die auf Basis der sozialen und der Leistungskomposition identifizierten Gruppen wiesen einen klaren Überlappungsbereich auf, konnten aber nicht gleichgesetzt werden. Diese Befunde zeigen, dass die Identifikation von Elite- bzw. Exzellenzschulen wesentlich von der Auswahl der definierenden Merkmale abhängt. Des Weiteren legen die Analysen nahe, dass der Begriff des Elite- bzw. Exzellenzgymnasiums als graduelles Konstrukt zu begreifen ist, da in keinem Fall eine von der Gesamtverteilung klar separierte Gruppe vorlag.
Heiner Ullrich/Susanne Strunck
Zwischen Kontinuität und Innovation
Aktuelle Entwicklungen im deutschen Privatschulwesen
In den letzten Jahren ist nicht nur die Anzahl privater Schulen kontinuierlich gewachsen, auch das Spektrum ihrer Formate und Träger hat sich beträchtlich erweitert. So wird das traditionelle Angebot kirchlicher und reformpädagogischer Schulen durch Neugründungen etwa im Bereich der Internationalen Schulen ergänzt. Nach einem Überblick über die gegenwärtigen Entwicklungen im Privatschulwesen und die Programme der verschiedenen Trägergruppen wird dieser Prozess der Expansion und Differenzierung innerhalb des Privatschulsektors durch die Portraitierung zweier regionaler Schullandschaften, der Rhein-Main-Region und Mecklenburg-Vorpommerns, exemplarisch dargestellt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach den Gründen für die wachsende Attraktivität und den Erfolg dieser Schulen. Hierzu werden abschließend bildungssoziologische und schulpädagogische Erklärungsansätze skizziert.
Gero Lenhardt/Manfred Stock
Gebildete Stände oder gebildete Bürger?
Hochschulbildung und Elitevorstellungen in Deutschland und in den USA
Im deutschen und amerikanischen Hochschulwesen werden unterschiedliche Elitevorstellungen wirksam. In Deutschland will die Hochschulpolitik die Exklusivität des Universitätsstudiums wiederherstellen und die in Auflösung begriffene Unterscheidung zwischen Fachschulung und Universitätsstudium befestigen. In den USA gelten Bildungsunterschiede nicht als Naturnotwendigkeit, sondern als Resultat der Bildungsfreiheit. Sie sollen nicht hingenommen, sondern durch die Verallgemeinerung der Hochschulbildung überwunden werden. Dem liegt die Vorstellung des klassischen Liberalismus zugrunde, dass die Bildung eines jeden im Interesse aller liegt.
Richard Münch
Stratifikation der Hochschullandschaft
Zwischen Leistungswettbewerb und Machtlogik
Nach dem global zur Dominanz gelangten und vom Wissenschaftsrat aufgegriffenen Differenzierungsparadigma ist die horizontale und vertikale Differenzierung der Hochschullandschaft funktional notwendig, um die Leistungsfähigkeit von Forschung und Lehre an den deutschen Hochschulen zu steigern. Hinter jeder Rhetorik der funktional notwendigen Differenzierung nach Leistungsart und -niveau verbirgt sich jedoch auch eine Logik der Akkumulation von materieller und symbolischer Macht, die auf die Schließung des Wettbewerbs um die Definition des Notwendigen und die Besetzung von Positionen hinwirkt. Die Einrichtung von Elite-Universitäten in einem Exzellenzwettbewerb befördert diese Überformung des Leistungswettbewerbs durch institutionelle Schließung und damit auch die Engführung der Wissensevolution. Das wird in diesem Aufsatz in Bezug auf die Stratifikation deutscher Universitäten im Allgemeinen und deutscher universitärer Fachbereiche der Chemie im Besonderen dargelegt.
Deutscher Bildungsserver
Linktipps zum Thema „Elite und Exzellenz“
Allgemeiner Teil
Johannes Bellmann/Manfred Weiß
Risiken und Nebenwirkungen Neuer Steuerung im Schulsystem
Theoretische Konzeptualisierung und Erklärungsmodelle
Zahlreiche Bildungssysteme haben seit den 1990er Jahren einen steuerungsstrategischen Paradigmenwechsel hin zu Output- und Wettbewerbssteuerung vollzogen. Die Befunde zur Erfolgsbilanz der Neuen Steuerung sind bislang uneindeutig. Auffällig ist, dass seit einigen Jahren verstärkt über nicht-intendierte Effekte der neuen Steuerungsinstrumente berichtet wird. Im Anschluss an eine kurze Skizze des neuen Steuerungsmodells und der Befundlage über dessen intendierte Effekte gibt der Beitrag einen Überblick über das Spektrum empirisch dokumentierter Nebenwirkungen und diskutiert theoretische Erklärungsmodelle für deren Auftreten. Auf diese Weise versucht der Beitrag, eine Heuristik für Forschungsprojekte zu entwickeln, die erkunden, ob und in welchem Ausmaß die in anderen Ländern dokumentierten nicht-intendierten Reformfolgen auch in Deutschland beobachtet werden können. Der Grundhypothese des Beitrags zufolge gibt es Anlass, die vielfach behaupteten realen Effizienzgewinne zu problematisieren und die versteckten Kosten Neuer Steuerung stärker in den Blick zu nehmen.
Besprechungen
Sebastian Idel
Fritz Bohnsack: Schule – Verlust oder Stärkung der Person?
Jürgen Reyer
Sven Kluge: Vermisste Heimat? Zum emanzipativ-repressiven Doppelcharakter der Gemeinschaftsthematik innerhalb der modernen Pädagogik
Philipp Gonon
Ingeborg Schüßler: Nachhaltigkeit in der Weiterbildung. Theoretische und empirische Untersuchungen zum nachhaltigen Lernen
Sabine Schmidt-Lauff: Zeit für Bildung im Erwachsenenalter. Interdisziplinäre und empirische Zugänge
Andreas Fejes/Katherine Nicoll (Eds.): Foucault and Lifelong Learning. Governing the subject
Micha Brumlik
Wilma Aden-Grossmann: Berthold Simonsohn. Biographie des jüdischen Sozialpädagogen und Juristen
Dokumentation
Pädagogische Neuerscheinungen