Johannes Bellmann/Florian Waldow
Standards in historischer Perspektive – Zur vergessenen Vorgeschichte outputorientierter Steuerung im Bildungssystem.
Zur Einführung in den Thementeil
Johannes Bellmann
„The very speedy solution“ – Neue Erziehung und Steuerung im Zeichen von Social Efficiency
Unter dem Banner von „Social Efficiency“ verbanden sich Anfang des 20. Jahrhunderts Programmatiken einer neuen Erziehung mit Instrumentarien neuer Steuerung zu einer Reformbewegung mit weitreichenden Versprechungen im Hinblick auf mehr Effizienz und Chancengleichheit. Der Beitrag untersucht grundlegende Merkmale dieser Reformbewegung im pädagogischen Feld und benennt Parallelen zu Zielen, Instrumenten und Begründungsmustern outputorientierter Bildungsreformen der Gegenwart. Hierzu gehören ein funktional-pragmatisches Verständnis des Lernens, das Projekt der Verwissenschaftlichung der Pädagogik auf der Basis von Standards und vergleichender Leistungsmessung sowie die Orientierung an Effizienz als moralische Maxime.
Florian Waldow
Taylorismus im Klassenzimmer: John Franklin Bobbitts Vorschlage zur standards-based reform
John Franklin Bobbitt, einer der herausragendsten Vertreter des US-amerikanischen Social Efficiency Movement, präsentierte Anfang des 20. Jahrhunderts eine Konzeption von Bildungsstandards, die eng an Frederick Taylors Ideen des scientific management angelehnt war. Der Artikel stellt Bobbitts Konzeption vor und diskutiert Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Konzeption gegenüber der gegenwärtigen Welle der standards-based reform in Deutschland. Außerdem geht er der Frage nach, inwieweit in der gegenwärtigen Reformwelle Übernahmen aus dem Social Efficiency Movement eine Rolle gespielt haben
Walter Herzog
Ideologie der Machbarkeit. Wie die Psychologie einer effizienzorientierten Bildungspolitik Plausibilitat verschafft
Anhand des amerikanischen Bildungswesens wird aufgezeigt, wie eine Reformpolitik, die sich an ökonomischen Zielen und Konzepten orientiert, von Teilen der akademischen Psychologie ideologische Unterstützung erfährt. Sowohl im Behaviorismus wie im Kognitivismus ist ein wissenschaftliches Selbstverständnis auszumachen, das die Disziplin auf Kriterien der technologischen Formung und Umformung von Verhalten verpflichtet. Psychologisches Wissen gilt als Kontroll- und Herstellungswissen, was einer Bildungsreform, die auf Produktivitäts- und Effizienzsteigerung setzt, Plausibilität und Machbarkeit in Aussicht stellt. Die These wird an ausgewählten Beispielen aus der Geschichte der amerikanischen Psychologie belegt.
Linktipps zum Thema „Standards in historischer Perspektive – Zur vergessenen Vorgeschichte outputorientierter Steuerung im Bildungssystem“
Carolin Rotter
Lehrkräfte mit Migrationshintergrund: individuelle Umgangsweisen mit bildungspolitischen Erwartungen
Lehrkräfte mit Migrationshintergrund werden aktuell von (bildungs-) politischer Seite stark umworben. Dahinter steht die Hoffnung, dass diese Lehrkräfte als Kulturvermittler und Rollenvorbilder zu einer besseren Integration von Schülern1 mit Migrationserfahrung beitragen. Bisher liegen allerdings noch keine empirischen Befunde dazu vor, wie die Lehrkräfte mit Migrationshintergrund selbst mit den an sie herangetragenen Erwartungen umgehen und ob sich dabei verschiedene Verarbeitungsmuster identifizieren lassen. Erste empirische Befunde zu dieser Frage liefert die vorliegende explorative Studie, in deren Rahmen mit Hilfe qualitativer Interviews 14 Lehrkräfte mit Migrationshintergrund zu ihrem beruflichen Selbstkonzept befragt wurden. Es zeigt sich, dass die Mehrheit der befragten Lehrkräfte die an sie herangetragenen Erwartungen internalisiert und in ihr Selbstkonzept integriert hat; allerdings wird bei einigen wenigen Lehrkräften auch eine Diskrepanz zur Programmatik deutlich.
Wolfgang Meseth/Matthias Proske/Frank-Olaf Radtke
Kontrolliertes Laissez-faire. Auf dem Weg zu einer kontingenzgewärtigen Unterrichtstheorie
Dass Unterricht ein komplexes, durch doppelte Kontingenz gekennzeichnetes Geschehen sei, dessen Wirkungen sich kausal nicht bestimmen lassen, ist in der empirischen Bildungs- und Unterrichtsforschung mittlerweile unstrittig. Strittig bleibt, was aus dieser Einsicht für die empirische Erforschung, aber auch für eine Theorie des Unterrichts folgt. Im Anschluss an neuere Entwicklungen in den Sozialwissenschaften schlagen die Autoren vor, „Emergenzkonstellationen“ des Unterrichts in den Mittelpunkt empirischer Forschung zu stellen. Im Lichte der Erträge eines DFG-Projektes werden Überlegungen zu einer empirisch gehaltvollen Theorie des Unterrichts vorgetragen. Diese beansprucht, das operative Geschehen im Unterricht kontingenzgewärtig zu erfassen und zugleich der Pädagogizität unterrichtlicher Kommunikation Rechnung zu tragen.
Dagmar Hänsel
Quellen zur NS-Zeit in der Geschichte der Sonderpädagogik
Im Beitrag wird die Quellenarbeit der sonderpädagogischen Historiografie einer kritischen Analyse unterzogen. In den Blick genommen werden Quellen zur NS-Zeit in der Geschichte der Sonderpädagogik. An den Quellen werden Fokussierungen und Leerstellen in der Darstellung der NS-Zeit und an Beispielen das Verschweigen und Verfälschen von Quellen gezeigt. Insgesamt wird der Anspruch der sonderpädagogischen Historiografie zurückgewiesen, ihre Darstellung der NS-Zeit durch Quellenforschung empirisch zu fundieren.
Vera Moser
Gründungsmythen der Heilpädagogik
Die Einrichtung der ersten heilpädagogischen Professur an der Universität Zürich 1931 wird innerhalb der sonderpädagogischen Historiographie gerne als ‚Geburtsstunde der Heilpädagogik‘ beschrieben. Aus einer systemtheoretischen Perspektive wird die Relevanz von Anfangssetzungen von Systembildungen dargelegt, um auf dieser Grundlage die Anfangssetzung von Heilpädagogik als Wissenschaft zu rekonstruieren. Dies geschieht auf der Ebene der disziplinären Semantik sowie auf der Ebene einer sozialhistorischen Untersuchung der Institutionalisierung der Professur Hanselmanns im Kontext von Fürsorgeerziehung und Hilfsschulpädagogik. In einem umkämpften pädagogischen Feld erscheint Heilpädagogik als Kompromissbildung, die zu Distinktionszwecken die Klientelkonstruktion in das Zentrum des eigenen Selbstverständnisses rückt. Die gewählte Perspektive positioniert sich bewusst gegenüber denen in der sonderpädagogischen Historiographie nach wie vor üblichen ,großen Erzählungen‘, in welchen die Disziplin wahlweise als Verfalls- oder als Erfolgsgeschichte erscheint (z.B. Hänsel vs. Ellger-Rüttgardt, Möckel).
Marten Clausen
Wolfgang Einsiedler (Hrsg.): Unterrichtsentwicklung und Didaktische Entwicklungsforschung
Hans-Ulrich Grunder
Rita Hofstetter: Geneve: Creuset des sciences de l’education (fin du XIXe siecle – premiere moitie du XXe siecle)
Gerhard Zimmer
Michael Knoll: Dewey, Kilpatrick und „progressive“ Erziehung. Kritische Studien zur Projektpädagogik
Pädagogische Neuerscheinungen