Zeitschrift für Pädagogik - Inhaltsverzeichnis
Jahrgang 50 – Heft 3 – Mai/Juni 2004
Werner Helsper
Pädagogische Professionalität als Gegenstand des erziehungswissenschaftlichen Diskurses. Einführung in den Thementeil
Cathleen Grunert/Heinz-Hermann Krüger
Entgrenzung pädagogischer Berufsarbeit – Mythos oder Realität? Ergebnisse einer bundesweiten Diplom- und Magister-Pädagogen-Befragung
Dieser Beitrag knüpft an die aktuelle theoretische Debatte um die Entgrenzung des Pädagogischen und der pädagogischen Berufsarbeit in der Erziehungswissenschaft an. Im Gegensatz zu den bislang überwiegend auf einer grundlagentheoretischen Ebene geführten Diskussionen versuchen wir, uns diesem Thema empirisch anzunähern. Dabei stützen wir uns auf die Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von über 3.800 Absolventen erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge (Diplom, Magister) in ganz Deutschland. Nach einem knappen Überblick zum theoretischen Diskurs und zum Stand der Forschung werden unter Bezug auf ausgewählte Resultate des Diplom- und Magister-Surveys verschiedene Facetten des Entgrenzungsdiskurses empirisch analysiert und die Frage untersucht, welche Bedingungsfaktoren den Weg der Absolventen in nicht-pädagogische Arbeitsfelder beeinflussen. In einem abschließenden Ausblick werden einige Konsequenzen diskutiert, die sich aus unseren Ergebnissen für die Neuformatierung der grundbegrifflichen Matrix der Erziehungswissenschaft sowie für eine Reform erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge ergeben.
Jochen Kade/Wolfgang Seitter
Selbstbeobachtung: Professionalität lebenslangen Lernens
Der versucht empirisch zu erhellen, wie sich pädagogisches Wissen und pädagogische Professionalität - vor dem Hintergrund der Universalisierung des Pädagogischen - auch unabhängig und jenseits professioneller wie disziplinärer Bezugssysteme entfalten (können). Dazu werden Befunde eines DFG-Projektes über die Institutionalisierung pädagogischer Kommunikation und pädagogischen Wissens in einem Profit- und Non-Profit-Unternehmen vorgestellt. Neben den vielfältigen empirisch aufweisbaren Formen pädagogischen Wissens (Vermittlungswissen, aneignungsbezogenes Vermittlungswissen, Überprüfungswissen) zeigt sich eine Vielfalt individueller wie kollektiver Formen der Selbstbeobachtung. Durch sie werden nicht nur die Aneignungs-, sondern auch die Vermittlungsprozesse der Akteure einer kontinuierlichen Reflexion unterworfen. Die Generalisierung eines Selbstbeobachtungshabitus, eines Lernerhabitus und eines Vermittlungshabitus sind im Kontext des lebenslangen Lernens somit gleichzeitig ablaufende und sich wechselseitig verstärkende Prozesse.
Dieter Nittel
Die 'Veralltäglichung' pädagogischen Wissens im Horizont von Profession, Professionalisierung und Professionalität
Der Beitrag überprüft die These einiger Erziehungswissenschaftler, derzufolge sich das pädagogische Arbeitsbündnis in außerschulischen Feldern durch die Diversifikation von pädagogischem Wissen dahingehend verändere, dass der Adressat pädagogischer Bemühungen als Wissender in Erscheinung trete und somit die Experten-Laien-Beziehung unterminiert werde. Phänomene der Veralltäglichung, Profanierung und Popularisierung pädagogischen Wissens werden unter dem Fokus von Profession (gesellschaftliche Makroebene), Professionalisierung (Prozess- bzw. Mesobereich) und Professionalität (szenisch-situatives Handeln) analysiert. Eine tiefgreifende Veränderung des Arbeitsbündnisses ist in der Sozialpädagogik und der Weiterbildung momentan nicht zu erwarten, weil die bloße Verfügung von pädagogischem Wissen ohne die Aneignung der Komponente „pädagogisches Können“ die robuste Ordnung pädagogischer Interaktion offenbar nicht zu destabilisieren vermag.
Sabine Reh
Abschied von der Profession, von Professionalität oder vom Professionellen? Theorien und Forschungen zur Lehrerprofessionalität
In diesem Aufsatz wird ausgehend von der Darstellung einer systemtheoretisch informierten Prognose über das Ende der Form der Profession und erneuerter handlungstheoretisch bzw. strukturtheoretisch orientierter Zweifel an der Professionalisierbarkeit pädagogischen Handelns die Konvergenz aufgewiesen, die der Diskurs über Professionalisierung und empirisch-rekonstruktive Studien zur Lehrertätigkeit dennoch in der Formel „Professionalität durch Reflexivität“ findet. Dabei kann diese als Formel für eine erwünschte Verbesserung der Lehrerarbeit oder die Gewährleistung von Steigerungsfähigkeit überhaupt in unterschiedlicher Weise akzentuiert werden, nämlich als Konzeption eines essentialistischen „pädagogischen Selbst“, das sich in einer Art Bekenntnis-Kultur konstituiert oder als Entwicklung einer reflexiven organisatorischen Struktur von Schule.
Julia Krohne/Ulrich Meier/Klaus-Jürgen Tillmann
Sitzenbleiben, Geschlecht und Migration – Klassenwiederholungen im Spiegel der PISA-Daten
Der Beitrag präsentiert differenzierte Analysen der PISA-Daten zum Sitzenbleiben. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich die Sitzenbleiberquoten von Jungen und Mädchen, von Migranten und Nicht-Migranten in Grundschule und Sekundarstufe I unterscheiden – und wie dabei die Einflussfaktoren Geschlecht und Migration miteinander verknüpft sind. Die Ergebnisse verweisen auf zwei hervorstechende Problembereiche: auf das hohe Maß des Schulscheiterns von Migrantenkindern (Jungen wie Mädchen) in der Grundschule und auf den sprunghaften Anstieg des Sitzenbleibens bei deutschen Schülern (vor allem bei Jungen) im Zuge der Pubertät.
Johannes Giesinger
Der Anfang der Geschichte. Erziehung und die narrative Rationalität des Handelns
Der Beitrag entwickelt einen Begriff des Narrativen, verbindet diesen mit einer Theorie des menschlichen Handelns und bringt die daraus entstehende narrative Theorie des Handelns in erziehungsphilosophische Überlegungen ein. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen steht die Frage nach dem kindlichen Handeln und der Verantwortung des Kindes für das eigene Tun: Kinder werden als verantwortliche Personen dargestellt, als „Autoren ihres eigenen Lebens“, die aber zur Entwicklung ihrer „Geschichte“ darauf angewiesen sind, Handlungsgründe aus der Lebensform zu übernehmen, in die sie im Prozess der Erziehung eingeführt werden.
Andreas Möckel
„Die Sonderschule – ein blinder Fleck in der Schulsystemforschung“? Zum Artikel von Dagmar Hänsel in der Zeitschrift für Pädagogik
Dagmar Hänsel wird zugestimmt, wenn sie die Allgemeinen Pädagogen auffordert, in der Theorie der Schule der Sonderpädagogik (Heilpädagogik, Behindertenpädagogik) mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ihr wird widersprochen, wenn sie die Entstehung der Sonderpädagogik aus Verbandsinteressen, aus dem Streben nach Professionalität und aus dem Missbrauch der Armut erklärt. Demgegenüber wird die These vertreten, dass die Sonderpädagogik in der Zeit der Aufklärung begann und ihr Kern neue Unterrichtsmethoden der ersten Gehörlosen-, Blindeninstitute und Heilerziehungsanstalten waren, denen eine diagnostische Funktion zukam. Sofern Allgemeine Pädagogen Krisen in der Erziehung nicht einbezogen, entging ihnen die Bedeutung der Sonderpädagogik für die Erziehung.
Sieglind Ellger-Rüttgardt
Sonderpädagogik – ein blinder Fleck der Allgemeinen Pädagogik? Eine Replik auf den Aufsatz von Dagmar Hänsel
Der These Dagmar Hänsels, dass es eine durch historische Kontinuität ausgewiesene unaufhebbare Trias von Sonderschule, Sonderpädagogik und sonderpädagogischer Profession gibt, wird widersprochen. Vor dem Hintergrund der sonderpädagogischen Reformdebatte seit den 70er-Jahren wird argumentiert, dass sich Sonderpädagogik als wissenschaftliche Teildisziplin der Pädagogik versteht, dass die Rolle des Sonderschulsystems nicht losgelöst vom allgemeinen Schulwesen debattiert werden kann und dass eine sonderpädagogische Profession unabhängig vom jeweiligen Lernort unverzichtbar ist. Plädiert wird für eine grundlegende strukturelle Veränderung des Schulsystems, das Heterogenität seiner Schüler anerkennt und beachtet.
Heinz-Elmar Tenorth
Martin Heinrich: Alle, Alles, Allseitig. Studien über die Desensibilisierung gegenüber dem Widerspruch zwischen Sein und Sollen der Allgemeinbildung
Susanne Knoche/Lennart Koch/Ralf Köhnen (Hrsg.): Lust am Kanon. Denkbilder in Literatur und Unterricht
Karin Priem
Jürgen Osterloh: Identität der Erziehungswissenschaft und pädagogische Verantwortung. Ein Beitrag zur Strukturdiskussion gegenwärtiger Erziehungswissenschaft in Auseinandersetzung mit Wilhelm Flitner
Cristina Allemann-Ghionda
Els Oksaar: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verständigung
Habilitationen und Promotionen in Pädagogik 2003
Pädagogische Neuerscheinungen