Erziehungswissenschaftliche Bedeutung literarischer Texte

Hans-Christoph Koller

Bildung als Textgeschehen. Zum Erkenntnispotenzial literarischer Texte für die Erziehungswissenschaft

Ausgehend von einer Kritik Klaus Pranges an der Verwendung literarischer Texte im erziehungswissenschaftlichen Kontext geht der Beitrag der Frage nach, welche Bedeutung der Auseinandersetzung mit Romanen und Erzählungen für erziehungswissenschaftliche Theoriebildung zukommt. Nach einer Präzisierung der Fragestellung wird zunächst die jüngere Entwicklung der Versuche skizziert, literarische Texte als Quelle erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung zu nutzen. Dann werden die dort vorgetragenen Positionen zu der Frage erläutert, welches Erkenntnispotenzial literarische Texte für erziehungswissenschaftliche Reflexion bereitstellen. Abschließend wird in Auseinandersetzung mit Einwänden gegen einen solchen Einsatz literarischer Texte zu begründen versucht, warum literarische Texte doch mehr bieten können als einen bloßen „Bilderbogen von Erziehungsverständnissen“ (Prange).

Schlagworte: erziehungswissenschaftliche Theoriebildung, literarische Texte, transformatorische Bildungsprozesse, Wissenschaftstheorie, Forschungsmethodologie

 

Markus Rieger-Ladich

Erkenntnisquellen eigener Art? Literarische Texte als Stimulanzien erziehungswissenschaftlicher Reflexion

Können literarische Texte als Erkenntnisquellen für die pädagogische Reflexion gelten ? Oder muss das Streben nach Erkenntnis als Privileg von Philosophie und empirisch verfahrenden Wissenschaften betrachtet werden ? Was spricht für die Annahme, dass auch die Auseinandersetzung mit Literatur (und Kunst) unsere ko­gnitiven Fähigkeiten stimuliert und uns Zugang zu pädagogisch relevanten Erfahrungsgehalten verschafft ? Um diese Fragen diskutieren zu können, kläre ich, was literarische Texte ausmacht und ästhetische Erfahrungen kennzeichnet. Im Rückgriff auf Konzepte der analytischen Ästhetik unterscheide ich theoretische und praktische Wissensformen und erläutere dies an Beispielen. Literatur erweist sich dabei als ein Archiv aggregierter Erfahrungen, das nicht allein den pädagogischen Diskurs in vielfältiger Weise anregt, sondern – dies zeigen exemplarisch die Internatsromane – auch seine Selbstreflexion zu befördern vermag.

Schlagworte: Literatur, Ästhetik, Erkenntnis, ästhetische Erfahrung, Internat

Schule im öffentlichen Diskurs

Frederick de Moll/Markus Riefling/Stefan Zenkel

„Bin ich wohl etwas naiv gewesen.“ Zur Rezeption empirischer Bildungsforschung in der Öffentlichkeit – Das Beispiel ELEMENT

Der Beitrag fragt nach den Regeln und Mustern des öffentlichen Diskurses über Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung anhand einer exemplarischen Betrachtung der Resonanz auf die Berliner Schulstudie ELEMENT. Auf Basis der Wissenssoziologischen Diskursanalyse werden 37 Presseartikel aus dem ersten halben Jahr nach Bekanntgabe der Studienergebnisse untersucht. In der Presse spiegelt sich der facettenreiche öffentliche Diskurs über die ELEMENT-Studie wider. Die Ergebnisse der Diskursanalyse geben Aufschluss über die Verbreitung und Wandlung im Sinne spezifischer Modi der Trivialisierung von Forschungsergebnissen in der Öffentlichkeit. So zeigen sich u. a. zwei widerstreitende Deutungen der politisch-öffentlichen Rolle von Bildungsforschung: Die Idee der evidenzbasierten Politik steht der Aufgabenteilung von Wissenschaft und Politik gegenüber. Es kann zudem sichtbar gemacht werden, dass der ELEMENT-Diskurs vor allem an den Anliegen gehobener Milieus ausgerichtet ist. Die Erkenntnisse der Analyse liefern Impulse für eine zielgerichtete Einspeisung von Studienergebnissen in die öffentliche Debatte. Hierzu werden erste Schlussfolgerungen diskutiert.

Schlagworte: Bildungspolitik, Diskursanalyse, ELEMENT, Bildungsforschung, Öffentlichkeit

 

Jens Oliver Krüger

Vom Hörensagen. Die Bedeutung von Gerüchten im elterlichen Diskurs zur Grundschulwahl

Eltern, die nach einer passenden, guten oder besten Grundschule für ihr Kind suchen, stehen vor der Herausforderung, Informationen über Schullandschaften zu sammeln und Kriterien für die Identifikation guter Grundschulen zu definieren. Dabei spielen Gerüchte in der Kommunikation mit anderen Eltern eine wichtige Rolle. Der Beitrag untersucht die Produktivität von Gerüchten im Schulwahldiskurs. Die explizite Bezugnahme auf Gerüchte oder ein Hörensagen ermöglicht den Eltern ein spezifisches Sprechen über Schulwahl. Dieses Sprechen wird im vorliegenden Beitrag ausgehend von einer diskursanalytischen Untersuchung von Elterninterviews als Bearbeitung einer besonderen Problematik der Grundschulwahl in den Blick genommen.

Schlagworte: Schulwahl, Grundschule, Elternschaft, Gerücht, Diskursanalyse

Allgemeiner Teil

Ulrich Binder

Die Pädagogisierung des Rechts. Staatliche Erziehungsaspirationen durch die Gesetzgebung und deren Folgestrategien

Der Staat verwaltet nicht nur soziokulturelle, -politische, -ökonomische und -moralische Gefüge, er greift auch gestalterisch in diese ein. Dabei spielen päd­agogische Institutionen und Modi eine bedeutende Rolle, an den Voraussetzungen zu wirken, die seine Existenz gewährleisten sollen. Als vorderstes ist das Bildungssystem Medium für Einflussnahmen, wie auch semipädagogische Staatsagitationen die Handhabe bieten, auf Einstellungen, Haltungen und Überzeugungen von Bürgern einzuwirken. Daneben gibt es aber eine dritte Möglichkeit für edukatorisches Staatshandeln: die Einflussnahme mittels Gesetzgebung. Zu dieser liegen faktisch keine Forschungserkenntnisse vor. Der Beitrag stößt in diese Lücke, indem an der Schnittstelle von Rechts-, Politik- und Erziehungswissenschaft analysiert wird, welcher pädagogische Impetus in Gesetzen als staatliches Steuerungsinstrument angelegt ist.

Schlagworte: Staat, Politik, Recht, Gesetz, Pädagogisierung

 

Gunther Graßhoff

Bildung oder Agency – Fluchtpunkte sozialpädagogischer Forschung in der Jugendhilfe?

In der sozialpädagogischen Diskussion lässt sich ein stärker werdendes Interesse an einer dezidiert akteursbezogenen Forschung nachweisen. Im Feld der Kinder- und Jugendhilfe rücken damit die biografischen Veränderungsprozesse von jungen Menschen im Hilfesystem ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Kategorial werden diese transformatorischen Prozesse unterschiedlich bestimmt: Der Bildungs- und der Agencydiskurs bilden die zentralen Fluchtpunkte der Forschung. In diesem Beitrag werden zentrale Prämissen dieser unterschiedlichen Diskurse herausgearbeitet und im Stile einer reflexiven Analyse kritisch in den pädagogischen Diskurs eingebettet.

Schlagworte: Bildungsforschung, Agency, Jugendhilfeforschung, Jugendarbeit, informelle Bildung

 

Marcus Pietsch/Nike Janke/Ingola Mohr

Führt Schulinspektion zu besseren Schülerleistungen? Difference-in-Differences-Studien zu Effekten der Schulinspektion Hamburg auf Lernzuwächse und Leistungstrends

Schulinspektionen sollen zu verbesserten Schülerleistungen auf Einzelschul- und Systemebene führen. Während für Schulinspektionen in Deutschland bislang keine empirischen Befunde zur diesbezüglichen Wirksamkeit vorliegen, zeigen internationale Studien, dass es Schulinspektionen in der Regel nicht gelingt, Leistungssteigerungen herbeizuführen. Jedoch sind diese Befunde aufgrund von Stichprobenproblemen in den Studien meist wenig belastbar. Im vorliegenden Beitrag wird daher am Beispiel der Schulinspektion Hamburg erstmals für eine Schulinspektion in Deutschland mithilfe von Trenddaten des Hamburger Zentralabiturs sowie Längsschnittdaten der Studie Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern (KESS) überprüft, welche Effekte auf Schülerleistungen empirisch nachweisbar sind. Mögliche Stichprobenprobleme werden dabei in den Analysen explizit berücksichtigt, um empirisch belastbare Aussagen zur Wirksamkeit von Schulinspektion auf Schülerleistungen treffen zu können.

Schlagworte: Difference-in-Differences, Schülerleistungen, Schulinspektion, Selektionseffekte, Wirksamkeit

 

Marc Kleinknecht/Nina Poschinski

Eigene und fremde Videos in der Lehrerfortbildung. Eine Fallanalyse zu kognitiven und emotionalen Prozessen beim Beobachten zweier unterschiedlicher Videotypen

Mit dem Beobachten von Videos des eigenen Unterrichts und von Videos fremder Lehrpersonen sind je spezifische Wirksamkeitsannahmen verbunden. Die dargestellte Studie zielte darauf, die kognitiven und emotionalen Prozesse beim Beobachten dieser beiden Videotypen systematisch zu vergleichen. Zehn Mathematiklehrkräfte kommentierten anhand von Leitfragen Sequenzen eigener oder fremder Videos im Rahmen einer webbasierten Lernumgebung. Die im Anschluss an qualitative und quantitative Inhaltsanalysen durchgeführten Fallvergleiche verweisen auf eine höhere emotionale Beteiligung von Lehrkräften, die ein fremdes Video analysierten. Die Emotionen stehen in einem positiven Zusammenhang mit einer vertieften Analyse von als kritisch eingeschätzten Situationen. Bei Lehrkräften der Gruppe „eigenes Video“ verhindern vor allem selbstwertbezogene Emotionen die vertiefte Reflexion solcher Situationen.

Schlagworte: Unterrichtsvideos, Lehrerfortbildung, Unterrichtsbeobachtung, Lehreremotionen, Reflexion

Besprechungen

Franziska Felder

Cristina Allemann-Ghionda: Bildung für alle, Diversität und Inklusion: Internationale Perspektiven.

Sabine Seichter

Reinhard Marx/Klaus Zierer: Glaube und Bildung. Ein Dialog zwischen Theologie und Erziehungswissenschaft.

 

Dokumentation

Pädagogische Neuerscheinungen