Zeitschrift für Pädagogik — Inhaltsverzeichnis

Jahrgang 52 – Heft 4 – Juli/August 2006

 

Essay

Johannes Bellmann
Bildungsforschung und Bildungspolitik im Zeitalter »Neuer Steuerung«

Thementeil:
Pädagogik und die Formierung nationaler Kulturen

Daniel Tröhler
Pädagogik und die Formierung nationaler Kulturen
Einführung in den Thementeil

Rita Casale
Die italienische Erziehung des bourgeois gentilhomme

Anhand der Geschichte einer bestimmten Gattung von italienischen und französischen Büchern, die im Zeitraum zwischen 1528 und 1675 sich großer Beliebtheit erfreute, wird untersucht, wie sich Gegenstand und Ziel der höfischen Erziehung im Ancien Régime in Richtung auf eine Erziehung der Leidenschaften verschoben. Einführend soll an der Figur des bourgeois gentilhomme von Molière die theoretische und historische Konstellation der Argumentation skizziert werden. Rekonstruiert wird ein Kapitel europäischer Moralerziehung, in dem sich Plagiate, Übersetzungen, Migrationbewegungen als bedeutsam sowohl für transnationalen Wissenstransfer als auch für die Herausbildung nationalen Bewusstseins erwiesen haben.

Fritz Osterwalder
Condillacs Rose
Erfahrung als pädagogisches Konzept zwischen radikalem Sensualismus und religiöser Innerlichkeit

Im ausgehenden 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erneuern sich im Kontext der empirischen Wissenschaften in England und Frankreich pädagogische Konzepte. Analog zum wissenschaftlichen Erkenntnisvorgang werden Lernen, Erziehung und Subjektivität als offene, multiple experimentelle Prozesse verstanden. Erziehung wird als ein technologisch bestimmtes Verfahren konzipiert, das angibt, wie die Lernvorgänge induziert werden können und sollen. In Frankreich steht diese Pädagogik in scharfer Konfrontation mit der Theologie und Pädagogik der Frömmigkeitsbewegung, die auf die göttlich gegebene Einheit des Subjekts setzen. Erst im ausgehenden 18. Jahrhundert beginnt in Deutschland in der Pädagogik des Philanthropismus eine breite Auseinandersetzung mit dem pädagogischen Empirismus. Dabei wird das technologische Konzept übernommen und zugespitzt auf die pädagogische Disposition über Subjektivität, die nicht als offen und multipel, sondern im Anschluss an die evangelische Tradition als eine gegebene Totalität, absolute Innerlichkeit, gefasst wird.

Daniel Tröhler
Lehrerbildung, Nation und pädagogische Historiographie
Die »Geschichten der Pädagogik« in Frankreich und Deutschland nach 1871

Der Beitrag rekonstruiert die Entstehung und Bedeutung des Genres »Geschichte der Pädagogik« anhand des Vergleichs zwischen Frankreich und Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Gegenüberstellung zeigt, wie insbesondere die Lehrbücher dieses Typus eigens für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung aufgebaut wurden, um angehende Lehrkräfte moralisch zu unterweisen, wobei diese Moral im Wesentlichen politisch, d.h. jeweils national konnotiert war. Das in Deutschland entwickelte nationale historiographische Muster – linearer Fortschritt der Menschheit (auch) dank der Pädagogik und Vollendung in der Nation – vermochte wohl die nationale Grenze nach Frankreich zu überschreiten, wobei das Personal durch eigene Exponenten der Bildungsgeschichte und die evangelische Fortschrittsidee
durch eine rationalistische bzw. säkular-calvinistische ersetzt wurden. Am Schluss wird die Frage erörtert, welche Berechtigung das Genre ‚Geschichte der Pädagogik‘ vor dem Hintergrund der zunehmenden Internationalisierung der Diskussion noch haben kann.

 

Allgemeiner Teil

Dominik Gyseler
Problemfall Neuropädagogik

Die Neuropädagogik setzt es sich zum Ziel, pädagogisch relevante Lern- und Verhaltensmerkmale auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse besser zu verstehen, damit Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen angemessener auf individuelle Lernvoraussetzungen ausgerichtet werden können. Ihre Bilanz ist allerdings äußerst umstritten. Das Ziel dieses Artikels besteht darin, auf den Punkt zu bringen, wo das Problem liegt. Dazu wird untersucht, ob die Neuropädagogik ein prinzipielles, ein konzeptuelles oder ein empirisches Problem hat. Auf der Basis dieser Problemanalyse wird abschließend dafür plädiert, eine inhaltliche Schwerpunktverlagerung von der Neuropädagogik zu den neurowissenschaftlichen Grundlagen der Pädagogik vorzunehmen.

Gunther Graßhoff/Davina Höblich/Bernhard Stelmaszyk/Heiner Ullrich
Klassenlehrer-Schüler-Beziehungen als biografische Passungsverhältnisse
Fallstudien zum Verhältnis von Lehrer-Schüler-Interaktionen und Selbstverständnis der Lehrerschaft an Waldorfschulen

Mit ihrer eigenständigen Praxis einer acht Jahre langen Klassenlehrerzeit und dem Anspruch auf eine autoritativ-asymmetrische Ausgestaltung der pädagogischen Beziehungen bieten Waldorfschulen heute eine interessante Möglichkeit, die These einer voranschreitenden Erosion des tradierten Generationenverhältnisses empirisch zu überprüfen. Auf der Basis von Unterrichtsprotokollen, Zeugnistexten und narrativen Interviews mit Lehrern und Schülern werden mit Hilfe mehrstufiger qualitativer Verfahren maximal kontrastierende Fälle von Lehrer-Schülerbeziehungen in unterschiedlichen Waldorfschulkulturen rekonstruiert. Unter besonderer Berücksichtigung der biographischen Passungsverhältnisse wird dabei die Frage nach der Eröffnung bzw. Schließung produktiver Entwicklungsräume für frühadoleszente Schüler in den von personaler Nähe und emotionaler Anteilnahme bestimmten Beziehungen gestellt.

Stefan Weyers
Pacta sunt servanda?
Das kindliche Verständnis von Verträgen am Beispiel des Tausches und der Leihe

Der Beitrag untersucht, wie Kinder Vereinbarungen über den Tausch und die Leihe von Objekten verstehen. Anhand von Bildergeschichten wurden 70 Kinder von 3-13 Jahren befragt. Die Resultate belegen, dass Kinder bereits mit vier Jahren die Verbindlichkeit von Abmachungen erkennen. Es zeigen sich aber auch große alterspezifische Unterschiede. Beim Tauschbegriff wurden vier Entwicklungsniveaus rekonstruiert: Eigentum lässt sich im Kindergartenalter nur begrenzt durch Verträge übertragen, alte Eigentumsrechte genießen Priorität. Kinder ab zehn Jahren sehen den Tausch dagegen als rationales Geschäft an. Ebenso erkennen sie die Nichtigkeit von Verträgen bei Drohung. Dagegen halten die meisten Vor- und Grundschulkinder erzwungene Abmachungen für verbindlich. Insgesamt variiert das Urteil der älteren Kinder stärker kontextspezifisch und nähert sich bestehenden Rechtsnormen an.

 

Besprechungen

Wolfgang Beywl
Harm Kuper: Evaluation im Bildungssystem
Eine Einführung

 

Dokumentation

Pädagogische Neuerscheinungen