Thementeil: Werte – Die Rückkehr zur Erziehung
Hartmut von Hentig
Das Ethos der Erziehung. Was ist in ihr elementar?
Die tatsächliche oder vermeintliche Zunahme ungeordneten Verhaltens von Kindern und Jugendlichen hat die Behauptung hervorgerufen, die „Erziehung“ sei gegenüber der „Bildung“ und der „Ausbildung“ vernachlässigt worden – zumal in deren großen Einrichtungen, den öffentlichen Schulen. Die Bemühungen um einen Ausgleich unter den drei Aufgaben münden immer öfter in archaisch anmutenden Empfehlungen von Zucht („Disziplin“), Führung („Autorität“) und Strenge („Grenzen setzen“), die als für den Erziehungsvorgang ursprünglich und grundlegend ausgegeben werden. Das veranlasst uns zu der Frage: Was ist elementar in der Erziehung? Unter Rückgriff auf die alten Griechen und über Wolfgang Klafkis Unterscheidung von „fundamental“, „elementar“ und „kategorial“ hinausgehend, bestimmt der Autor Elemente als notwendige, weder teilbare noch austauschbare Bestandteile eines Ganzen. Er beschreibt und begründet zehn so verstandene Elemente, aus denen sich die Grundhaltung, das Ethos der Erziehung zusammensetzt.
Gertrud Nunner-Winkler
Prozesse moralischen Lernens und Entlernens
Der Aufbau von Moral vollzieht sich nicht – wie in klassischen Modellen beschrieben – als einheitlicher Vorgang mit einem jeweils klar dominanten Lernmechanismus (Konditionierung, Internalisierung, Regelrekonstruktion), sondern ist das Ergebnis des Zusammenspiels unterschiedlicher Lernprozesse. Insbesondere durch implizite Lernmechanismen (u.a. Ablesen am moralischen Sprachspiel, an Interaktionserfahrungen) erwerben Kinder schon früh ein angemessenes kognitives Verständnis moralischer Sollgeltung. Der Erwerb formal operationaler Denkfähigkeiten in der Adoleszenz erlaubt zunehmend angemessenere moralische Urteilsbildung, befördert aber zugleich einen – zunächst radikal überzogenen – moralischen Relativismus. Moralische Motivation wird erst verzögert aufgebaut. Dabei bleibt eine innerfamilial entwickelte Bindung an Moral nicht lebenslänglich stabil. Andere Einflüsse (u.a. die Zusammensetzung der Freundesgruppe, die demokratische Beteiligung an den Angelegenheiten der Schule, die moralische Integration der Gemeinde, Geschlechtsrollenerwartungen, die Freiheit von Korruption im politischen Leben) entscheiden darüber, welches Gewicht Heranwachsende der Moral beimessen. Anders als die (historisch vorauslaufenden) Formen früher Internalisierung oder Habitualisierung nämlich ist die moderne Form moralischer Motivation durch Einsicht gestiftet und beruht auf freiwilliger Selbstbindung, die in der Adoleszenz aufgekündigt werden kann.
Matthias Gronemeyer
Wie kommt das Böse in den Menschen – und wie wieder heraus? Ein philosophischer Kommentar zu Serkan A. und Spyridon L.
Gegenwärtig hat die Neuropathologie Konjunktur, also der Versuch, delinquentes Verhalten auf Fehlfunktionen im Gehirn des Täters zurückzuführen. Damit wird der Environmentalismus der 1960er- und 1970er-Jahre abgelöst, der insbesondere das soziale Umfeld der Täter für deren Delinquenz verantwortlich machte. Beide Positionen stellen Angriffe auf das Konzept der Willensfreiheit dar, das Voraussetzung für unsere Moralität und damit auch die moralische Zurechenbarkeit von Handlungen ist. Der Artikel will die Kantische Position der Willensfreiheit gegen die genannten Angriffe verteidigen und mit Hilfe der Aristotelischen Ethik für eine aufgeklärte (Selbst-)Erziehung plädieren.
Margit Stein
Werteerziehungsansätze an weiterführenden Schulen in ihrem Zusammenhang mit strukturellen Schulbedingungen
Die Entwicklung von Wertorientierungen bei jungen Menschen sowie Ansätze zur schulischen Werteförderung standen bisher selten im Blickpunkt empirisch-pädagogischer Forschung. Bisher wurde zumeist erhoben, wie Schulen fachliche Kompetenzen aufbauen und Lernentwicklung in Lehr-Lern-Prozessen anstoßen, wie die Renaissance der Schulleistungs- und Unterrichtsforschung belegt. Im Rahmen der Wertestudie wurden Schulen (n = 576) zu schulischen strukturellen Bedingungen, Erziehungszielen, Werteprojekten und den damit verknüpften Erfahrungen befragt. Die strukturellen Bedingungen der Schule wie Schulart, Eigenschaften des Schülerklientels und Problemkonstellationen an der Schule stehen in signifikantem Zusammenhang zu den schulischen Erziehungszielen und den Möglichkeiten ethischer Erziehungsansätze.
Thomas Gensicke
Jugendlicher Zeitgeist und Wertewandel
In diesem Beitrag wird der längerfristige Wertewandel bei Jugendlichen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung untersucht. Auf der einen Seite steht der Befund eines vergleichsweise stabilen jugendlichen Wertesystems, das sich nicht grundsätzlich von dem der Bevölkerung unterscheidet. Dennoch werden unter dem Stichwort des „Konsumismus“ auch problematische Tendenzen aufgezeigt. Die veränderten Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen haben umso ungünstigere Folgen je bildungsferner und schichtniedriger ihre soziale Herkunft ist. Dieser Befund wird dadurch brisant, dass das deutsche Bildungssystem dem sozialen Aufstieg Jugendlicher aus den unteren Schichten (und unter diesen besonders Jugendlichen mit Migrationshintergrund) vergleichsweise große Hindernisse in den Weg legt.
Esther Dominique Klein/Svenja Mareike Kühn/Isabell van Ackeren/Rainer Block
Wie zentral sind zentrale Prüfungen? –Abschlussprüfungen am Ende der Sekundarstufe II im nationalen und internationalen Vergleich
Das Zentralabitur ist in fast allen Ländern der BRD als Instrument der Standardsicherung eingeführt, gleichwohl wurde es mit teils deutlichen organisatorischen Unterschieden implementiert. Die Verfahren werden dargestellt und kategoriengeleitet verglichen sowie in einen Vergleich von 15 OECD-Mitgliedstaaten mit Zentralprüfungen am Ende der Sekundarstufe II eingeordnet. Diese Referenzperspektive offenbart die Bedeutung des Standardisierungsgrades von Prüfungen gegenüber dem Konzept der „Zentralisierung“ im Hinblick auf differenzierende Analysen der Steuerungswirkungen dieses Reformelementes auf schulische und unterrichtliche Prozesse.
Rolf Strietholt/Ewald Terhart
Referendare beurteilen. Eine explorative Analyse von Beurteilungsinstrumenten in der Zweiten Phase der Lehrerbildung
Die Frage nach den Möglichkeiten einer zuverlässigen Beurteilung der beruflichen Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern wird innerhalb der wissenschaftlichen Fachdiskussion, aber auch in den Lehrerverbänden und in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Dabei wird häufig übersehen, dass die Beurteilung von (angehenden) Lehrkräften seit Jahrzehnten stattfindet: im Rahmen der Zweiten Ausbildungsphase, dem Referendariat oder Vorbereitungsdienst. Nach einer kurzen Übersicht über neuere Forschungsergebnisse zur Situation der Zweiten Phase wird über ein Forschungsprojekt berichtet, in dem die in der Zweiten Phase von Ausbildern (Fachleitern, Hauptseminarleitern) verwendeten Beurteilungsschemata und -manuale analysiert worden sind. Auf der Basis von 201 Beurteilungsschemata und 87 zusätzlicher Fragebögen zur Entstehung und zur Verwendung der Schemata wird eine Übersicht über die Praxis des Beurteilens im Referendariat gegeben. Die Ergebnisse machen u.a. deutlich, dass dem Großteil der Instrumente ein auf Unterrichten konzentriertes Bild der Lehrertätigkeit zugrunde liegt, die Breite der Standards für die Lehrerbildung also nicht abgebildet wird. In jedem zweiten Instrument bleibt unklar, wie der Beurteilungsakt im Einzelnen vollzogen wird. Die testdiagnostische Qualität der Instrumente ist in keinem Fall geprüft worden. Insgesamt wird deutlich, dass hinsichtlich der Qualität der Beurteilungsprozesse und -instrumente, die in der Zweiten Phase der Lehrerbildung eingesetzt werden, ein dringender Entwicklungsbedarf besteht.
Marcelo Caruso
Colin Brock/Lila Zia Levers (Hrsg.): Aspects of Education in the Middle East and North Africa
Heinz-Elmar Tenorth
Wolfgang Brezinka: Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des Faches an den Universitäten vom 18. bis zum 21. Jahrhundert
Wolfgang Jantzen
Dagmar Hänsel: Die NS-Zeit als Gewinn für Hilfsschullehrer.
Dagmar Hänsel: Karl Tornow als Wegbereiter der sonderpädagogischen Profession. Die Grundlegung des Bestehenden in der NS-Zeit
Hanno Schmitt
Sieglinde Luise Ellger-Rüttgardt: Geschichte der Sonderpädagogik. Eine Einführung
Melanie Fabel-Lamla
Fritz Reheis: Bildung contra Turboschule! Ein Plädoyer.
Wiebke Lohfeld (Hrsg.): Gute Schulen in schlechter Gesellschaft.
Hans-Peter Gerstner/Martin Wetz: Einführung in die Theorie der Schule.
Gregor Lang-Wojtasik: Schule in der Weltgesellschaft. Herausforderungen und Perspektiven einer Schultheorie jenseits der Moderne
Cristina Allemann-Ghionda
Pedro Rosselló: La teoría de las corrientes educativas y otros ensayos
Christel Adick: Vergleichende Erziehungswissenschaft
Doris Edelmann: Pädagogische Professionalität im transnationalen Raum
Pädagogische Neuerscheinungen