Thementeil: Bildungspolitik zwischen Expertenwissen und Öffentlichkeit

Marcelo Caruso
Bildungspolitik zwischen Expertenwissen und Öffentlichkeit
Einführung in den Thementeil

Michele S. Moses
Education-Policy-by-Ballot-Initiative: Considerations Related to Democracy and Justice

What is the relationship between direct democratic ballot initiatives, democratic deliberation, and justice? When voters collectively make policy decisions, what responsibilities do experts have to contribute to informing public deliberation about the relevant issues? This article investigates how the direct democratic ballot initiative process, increasingly and controversially used in the United States to allow citizens to  make education policy decisions, may serve to enhance or constrain democracy and justice. Through the
lens of deliberative democratic theory, this article aims at providing greater understanding of the education-policy-by-ballot-initiative phenomenon and bringing to light the possibilities of tyranny of the majority when policies having to do with civil rights are left up to popular vote. It concludes with an argument for researchers to use their expertise in the service of public information and deliberation.

Lucien Criblez
Vox populi – Zur Herausforderung der Bildungspolitik durch die halbdirekte Demokratie

Volksabstimmungen schaffen größtmögliche Öffentlichkeit in der Bildungspolitik, weil die stimmberechtigte Bevölkerung über die Abstimmungsvorlagen informiert werden muss und weil im Vorfeld von Volksabstimmungen ein öffentlicher Diskurs über die Vorlagen stattfindet. Der Beitrag weist auf die Tradition der halbdirekten Demokratie in der Schweiz hin und zeigt im Sinne einer Heuristik an drei Fallbeispielen die bildungspolitischen Themen, die zur Abstimmung gelangten und die Resultate der Abstimmungen auf. Vor diesem Hintergrund werden im letzten Teil einige allgemeine Entwicklungstrends
herausgearbeitet und Forschungsdesiderata formuliert.

Florian Waldow
Juristen oder Testspezialisten? Zur Rolle von Experten bei der Herstellung von Notengerechtigkeit in Deutschland und Schweden

In dem Artikel wird die unterschiedliche legitimatorische Abstützung der Notengerechtigkeit in Deutschland und Schweden diskutiert, einschließlich der Rolle, die unterschiedliche Typen von Experten dabei spielen. Dies geschieht unter Rückgriff auf Konzepte aus der Gerechtigkeitsforschung. Wichtigstes Instrument zur Herstellung von Notengerechtigkeit ist in Schweden schon seit vielen Jahrzehnten das System der nationalen Tests; in Deutschland gründet die Notengerechtigkeit nach wie vor primär im professionellen Lehrerurteil. Dafür fehlen die umfangreichen juristischen Überprüfungsmöglichkeiten der Benotung, die in Deutschland existieren, in Schweden völlig.

Bernd Zymek/Sabine Wendt/Moritz Hegemann/Frank Ragutt
Regional Governance und kommunale Schulentwicklungspolitik im Prozess des Rück- und Umbaus regionaler Schulangebotsstrukturen

Der politikwissenschaftliche und ökonomische Diskurs über Governance und neue Steuerung dominiert seit einigen Jahren auch die schulpolitischen und erziehungswissenschaftlichen Debatten über Schulentwicklung. In dem Beitrag werden die Chancen und Grenzen dieses Politikmodells – sowohl als bildungspolitische Strategie wie auch als analytisches Instrumentarium – an einem konkreten empirischen Fall überprüft und diskutiert. Empirische Grundlage sind ausgewählte Daten und Teilergebnisse eines Forschungsprojekts zur wissenschaftlichen Begleitung von kommunalen Schulentwicklungsinitiativen in Westfalen. Im Prozess des Rück- und Umbaus regionaler Schulangebotsstrukturen, der heute durch den demographischen Wandel erzwungen wird, erweisen sich die interkommunale Standortkonkurrenz und die etablierten kommunalpolitischen Akteure als bestimmende Faktoren, wenn dabei politische Handlungsstrategien verfolgt werden, die als Local Governance bezeichnet werden können.

Markus Maurer
Der Free Education Mythos und die Legitimationsprobleme privater Akteure im Hochschulsektor Sri Lankas

Der Artikel diskutiert jüngere Auseinandersetzungen um die Rolle privater Akteure in der Hochschulpolitik in Sri Lanka. Der Inselstaat ist der einzige in Südasien, der Privatuniversitäten weiterhin nicht zulässt. Vor dem Hintergrund eines historisch-institutionalistischen Theorierahmens werden die Gründe für diese Sonderstellung dargestellt. Im Anschluss an die Unabhängigkeit des Landes (1948) wurden egalitäre Bildungsinstitutionen von hoher öffentlicher Legitimität geschaffen, die bis heute eine solche Reform trotz der Entstehung eines globalen Hochschulmarktes und der wiederholten Expertenempfehlungen erschweren. Veränderungen der Sozialstruktur und die vermehrte Nachfrage nach privaten Bildungsangeboten werden jedoch wohl zur Zulassung von Privatuniversitäten beitragen.

Deutscher Bildungsserver

Linktipps zum Thema „Bildungspolitik zwischen Expertenwissen und Öffentlichkeit“

 

Allgemeiner Teil

Jürgen Wiechmann
Die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein – der Kontext des Systemwandels in lokaler Entscheidung

Das Bundesland Schleswig-Holstein führt im Zeitraum von 2007 bis 2010 mit der Gemeinschaftsschule und mit der Regionalen Schule zwei alternative Schulformen im Bereich der Sekundarstufe 1 ein. Innerhalb dieses vierjährigen Zeitfensters wird dabei die Entscheidung für die Einrichtung der Gemeinschaftsschule als inklusiver Schulform in den lokalen Handlungsraum übertragen. Das gewählte Verfahren stellt eine Abkehr von der Tradition landesweit einheitlicher Entscheidungen des Systemwandels dar, indem es sich an dezentral ausgerichteten Ansätzen der Gestaltung von Innovationsprozessen orientiert. Damit stellt sich die Frage nach dem lokalen und regionalen Kontext, in dem eine frühzeitige Entscheidung für eine Schulform erfolgt, der insgesamt eine geringe Akzeptanz zugesprochen wird. Die Daten weisen anhand von 359 betroffenen Schulen auf ein komplexes Zusammenspiel lokaler und regionaler Faktoren hin, das vor allem von einem aktiven Gestaltungswillen, von der Entwicklung eines lokal akzeptierten Verständnisses des schulischen Bildungsauftrages sowie von dem Zugang zu den erforderlichen Entwicklungsressourcen für die Umsetzung des Schulentwicklungsprozesses geprägt ist.

Tobias Diemer/Harm Kuper
Formen innerschulischer Steuerung mittels zentraler Lernstandserhebungen

Zentrale Lernstandserhebungen sind Teil eines neuen, mit dem Schlagwort der „neuen Steuerung“ versehenen Steuerungsparadigmas. Anders als andere dem Paradigma zuordnende Instrumente wie internationale Schulleistungsvergleichsstudien oder nationale Bildungsberichterstattung tragen zentrale Lernstandserhebungen das neue Steuerungsparadigma direkt an Schulen und Lehrerinnen und Lehrer heran. Der Artikel geht auf der Grundlage einer qualitativen Interviewstudie der Frage nach, in welcher Weise im Zusammenhang der Rückmeldungen aus Lernstandserhebungen Steuerungsprozesse in Schulen stattfinden. Im Ergebnis zeigen sich dabei erhebliche Variationen von Steuerungslogiken, die sich nicht auf die paradigmatische Erwartung outputorientierter Steuerung reduzieren.

Beat Bertschy
Unbekannt, unverstanden, unterschätzt – Gregor Girards facettenreiche Schulpädagogik

Der Schweizer Franziskaner-Pater Gregor Girard (1765-1850) war ein wichtiger und vielseitiger Vordenker und Gestalter der Volksschule. Dennoch ist er kaum bekannt oder gilt lediglich als lokale Grösse, dem es an Originalität fehle. Die Girard-Rezeption hat dessen facettenreiche Schulkonzeption auf den wechselseitigen Unterricht verkürzt und bestenfalls seine Unterrichtskunst honoriert. Zudem stand Girard im Schatten des Pestalozzi-Kults. Dieses Bild muss korrigiert werden. Anhand der Rezeptionsgeschichte lässt sich illustrieren, dass es stark von Slogans, „neuen“ Begriffen, Anhängern und Mythen abhängt, ob ein Autor Einzug in die Geschichte der Pädagogik findet. Insofern wird die Kanondebatte aufgegriffen.


Besprechungen

Christine Schmid/Rainer Watermann
Wulf Hopf: Freiheit – Leistung – Ungleichheit. Bildung und soziale Herkunft in Deutschland

Michaela Schmid
Hildgard Macha/Monika Witzke (Hrsg.): „Familie – Kindheit – Jugend – Gender“. Handbuch der Erziehungswissenschaft, Band III

Klaus Zierer
Karl-Heinz Arnold/Sigrid Blömeke/Rudolf Messner/Jörg Schlömerkemper (Hrsg.): Allgemeine Didaktik und Lehr-Lernforschung – Kontroversen und Entwicklungsperspektiven einer Wissenschaft
vom Unterricht


Dokumentation

Erziehungswissenschaftliche Habilitationen und Promotionen 2010

Pädagogische Neuerscheinungen