Tanja Betz/Sabine Andresen
Child Well-being. Potenzial und Grenzen eines Konzepts. Einführung in den Thementeil
Florian Eßer
„Das Glück das nie wiederkehrt“ – Well-being in historisch-systematischer Perspektive
Die gegenwärtige Well-being-Forschung beansprucht für sich einen doppelten Perspektivwechsel auf Kindheit: „Well-being“ ersetze einerseits frühere Vorstellungen des „Well-becoming“ und entwickele andererseits „Welfare“-Ansätze kritisch weiter. Dieser Beitrag betrachtet jenen behaupteten Wandel aus einer historisch-systematischen Perspektive genauer. Dabei kann aufgezeigt werden, wie sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Diskussionen um Kinderschutz und -fürsorge am Wohlergehen von Kindern orientierten. Diese Orientierung war eng verknüpft mit der Vorstellung einer glücklichen Kindheit, wie sie auch für die aktuelle Well-being-Forschung leitend ist. Damals wie heute erscheint das Kind als Hybrid, das sowohl in seiner Gegenwärtigkeit und Selbstbezüglichkeit als auch als ein Entwicklungswesen, das Kompetenzen erst noch erwerben muss, adressiert werden konnte. Die historische Analyse stellt auch die behauptete Eindeutigkeit des Wandels von „Well-becoming“ und „Welfare“ zu „Well-being“ infrage. Wenn sich die Originalität der Well-being-Forschung jedoch nicht aus einer einfachen Abgrenzung gegenüber adultzentristischen Entwürfen von Kindheit ergibt, so ist sie herausgefordert, die eigene Programmatik in anderer Weise zu begründen. In diesem Sinne schließt der Beitrag mit einem Plädoyer für eine Well-being-Perspektive, die reflexiv bezüglich der eigenen Vorstellungen von Kindheit ist und diese relational auf die sozialen und kulturellen Kontexte beziehen kann, in denen sich Kinder konkret bewegen.
Schlagworte: Child Well-being, Kindheit, Kinderfürsorge, Glück, Geschichte
Susann Fegter
Räumliche Ordnungen guter Kindheit – Zum Potenzial praxeologischer Zugänge für die Child-Well-being-Forschung
Die Beschäftigung mit der räumlichen Dimension von Wohlergehen nimmt in der Child-Well-being-Forschung bislang eine untergeordnete Stellung ein. Der Beitrag geht diesem Zusammenhang nach und fragt dabei nach dem Potenzial praxeologisch informierter Analysen. Er leitet ein mit der Perspektive der Childhood Studies zum konstitutiven Zusammenhang von Kindheit und Raum. Es folgt eine Skizzierung des Feldes der Child-Well-being-Forschung mit Blick auf aktuelle Herausforderungen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand und die Erforschung seiner räumlichen Dimension. In einem weiteren Schritt wird ein praxeologischer Zugang als mögliche Antwort auf die Herausforderungen beschrieben und anhand von Datenmaterial aus einem ethnografischen Forschungsprojekt auf eine beobachtete Szene bezogen. Dies mündet in eine Schlussbetrachtung, die auf vier Ebenen zusammenfasst, wie Wohlergehen und Raum aufeinander bezogen und für die Child-Well-being-Forschung fruchtbar gemacht werden können.
Schlagworte: Child Well-being, Raum, Kindheit, Praxeologie, Hort
Sabine Andresen/Ulrich Schneekloth
Wohlbefinden und Gerechtigkeit – Konzeptionelle Perspektiven und empirische Befunde der Kindheitsforschung am Beispiel der World Vision Kinderstudie 2013
In diesem Beitrag werden Wohlbefinden und Gerechtigkeit als Konzepte der Kindheitsforschung diskutiert. Die Basis bildet die dritte World Vision Kinderstudie von 2013. Die World Vision Kinderstudie „Kinder in Deutschland 2013“ basiert auf einem multidimensionalen Konzept kindlichen Wohlbefindens. Vorgestellt werden hier die konzeptionellen und theoretischen Vorstellungen, das methodische Vorgehen und ausgewählte Ergebnisse. Das Besondere dieser Studie ist ihr Fokus auf Gerechtigkeit und Gerechtigkeitsempfinden von Kindern zwischen sechs und elf Jahren. Ziel ist es, das Potenzial des hier gewählten Zugangs für die Kindheitstheorie und empirische Kindheitsforschung auszuloten.
Schlagworte: Survey, Gerechtigkeit, Ungleichheit, Capability Approach, mittlere Kindheit
Gerry Redmond/Jennifer Skattebol
Filling in the Details – Significant events and economic disadvantage among young people in Australia
Economic disadvantage is a strong predictor of social exclusion, disengagement at school, early school dropout and low educational attainment. This paper shows that experience of significant events – for example, moving home and school following parents’ separation; a sudden fall in family income; or illness and death in the family – can greatly exacerbate economically disadvantaged young people’s sense of exclusion and disengagement. Survey data are used to show that such negative events (often characterised by young people as ‘shocks’) are most likely to occur among economically disadvantaged families with children. In-depth interviews with young people are also used to explore young people’s construction of these events, which they often describe in terms of a cascade, with several shocks following each other in rapid succession, draining away their, and their families’, economic, social and emotional resources, and leaving them at risk of further exclusion. The paper concludes that policy needs to buffer young people better from the effects of these events, and so reduce their disengagement and exclusion.
Keywords: Children’s Perspectives, Poverty, Exclusion, Significant Events, Mixed Methods
Asher Ben-Arieh
Social Policy and the Changing Concept of Child Well-Being: The role of international studies and children as active participants
Social policy refers to the overall actions and services a society takes to ensure the well-being of its citizens. As such, children are at the forefront of social policy, and investing in them is both crucial for their current well-being and an investment toward the future. However, the concept of child well-being is changing. Scholars have termed this shift as one of moving from child-saving to child development or from child welfare to child well-being. This changing context, which in many ways is still developing, is complicating the effort to develop appropriate indicators and outcome measures of children’s quality of life and status and consequently it is complicating the evaluation of social policy and its contribution. This paper presents the changing context of children’s well-being, the major shifts that have occurred in the field, and their implications for evaluating social policy. It then goes on to discuss the potential of international comparisons in evaluating social policies and in particular the new role for children’s subjective reports on their well-being as a tool for evaluating social policy. In that regard, the paper presents the International Survey of Children’s Well-Being and concludes with a call for new policies that will adhere to the new concept of children’s well-being and serve to create a better life for children.
Keywords: Children Rights, Social Policy, Child Participation, Children’s Well-Being, Children’s Quality of Life
Linktipps zum Thema „Child Well-being. Potenzial und Grenzen eines Konzepts
Jochen Kade/Sigrid Nolda
1984/2009 – Bildungsbiografische Gegenwarten im Wandel von Kontextkonstellationen
Bildungsbiografien sind – so die Annahme – eine Serie von in den Lebenslauf eingebetteten, je gegenwartsabhängigen differenten Bildungsgestalten. Der Beitrag fokussiert vor diesem Hintergrund die lebensweltlich-gesellschaftlichen Gegenwarten, aus denen heraus Bildungsbiografien jeweils erzählt werden. Im Mittelpunkt stehen zwei 25 Jahre auseinanderliegende Bildungsgestalten einer Person. Von ihnen ausgehend wird der diskontinuierlich-kontinuierliche Wandel von Bildungsbiografien rekonstruiert. Zu deren näherer Bestimmung werden Prozesse der Kontextuierung und Umkontextuierung von massenmedialen, erziehungswissenschaftlich-pädagogischen und zeit-kulturellen Kontexten im Zeitraum zwischen 1984 und 2009 analysiert. Diese Kontextkonstellationen machen Biografieforschung zu einer aufschlussreichen Ressource erziehungswissenschaftlicher Zeitdiagnose.
Schlagworte: Bildungsbiografie, Gegenwarten, Individualität, Kontextualisierung, Zeitdiagnose
Christian Niemeyer
Über Julius Langbehn (1851–1907), die völkische Bewegung und das wundersame Image des ‚Rembrandtdeutschen‘ in der pädagogischen Geschichtsschreibung
An kaum einen ‚Dreisatz‘ der disziplinären Wissensmatrix wird ein Newcomer auf dem Felde erziehungswissenschaftlichen Denkens so rasch gewöhnt wie an den, dass die um 1900 anhebende Ära der Reformpädagogik wie Jugendbewegung jener Kulturkritik nachfolgte, wie sie Ausgang des 19. Jahrhunderts insbesondere durch Friedrich Nietzsche und nachfolgend durch Paul de Lagarde und Julius Langbehn geübt wurde. Die Auflistung dieser drei Namen unter der schon von Jürgen Oelkers vor vielen Jahren problematisierten Chiffre eines vergleichsweise einvernehmlich (kulturkritisch) argumentierenden „Triumvirats“ (Oelkers) muss durchaus überraschen, zumal damit unterstellt wird, dass es sich um zwei monolithische Blöcke handle, nämlich um die Kulturkritik einerseits, gebunden an jene drei Namen, sowie um Reformpädagogik wie Jugendbewegung andererseits – eine Erzählweise, die fast nach Ursache und Wirkung klingt, und zwar ohne dass das eine oder andere hinreichend umschrieben und der unterstellte Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zureichend erforscht wäre. Besonders sticht dabei der Name Langbehn ins Auge – was Anlass sein soll, dessen erstaunlich positives Image in der pädagogischen Historiografie (auch noch der Gegenwart) und speziell in der Jugendbewegungshistoriografie kritisch zu hinterfragen.
Schlagworte: Jugendbewegung, Reformpädagogik, Kulturkritik, völkische Bewegung, Rezeptionsforschung
Erziehungswissenschaftliche Habilitationen und Promotionen 2013