Jahrgang 50 – Heft 5 – September/Oktober 2004
Thementeil: Bildungsstandards
Eckhard Klieme
Begründung, Implementation und Wirkungen von Bildungsstandards
Aktuelle Diskussionslinien und empirische Befunde Einführung in den Thementeil
Kristina Reiss
Bildungsstandards und die Rolle der Fachdidaktik am Beispiel der Mathematik
Die Definition einheitlicher Bildungsstandards in den Ländern der Bundesrepublik wurde vor nicht allzu langer Zeit von der Kultusministerkonferenz beschlossen. Bildungsstandards sind stets auf Schulfächer bezogen und müssen den wesentlichen Bildungsgehalt eines Faches widerspiegeln. So kommt denn auch den Fachdidaktiken bei ihrer Ausarbeitung, Operationalisierung und Implementation eine wichtige Rolle zu. Es ist keinesfalls selbstverständlich, welche Inhalte unverzichtbar sind, wie sie Eingang in den Unterricht finden und wie sie überprüft werden können. Die Mathematik ist nun eines der ersten Fächer, in dem die konkrete Arbeit bereits Ergebnisse zeigt. Der Beitrag führt daher am Beispiel dieses Unterrichtsfachs in die Diskussion ein.
Heinz-Elmar Tenorth
Bildungsstandards und Kerncurriculum
Systematischer Kontext, bildungstheoretische Probleme
In der aktuellen Debatte um Bildungsstandards stehen sich Proponenten und Opponenten frontal gegenüber – allerdings nicht selten auf der Basis einer allzu schlichten dualen Schematisierung der Problemlage. Diese Schematisierung wird aufgelöst, wenn man (1) die Diskussion um Bildungsstandards in den Kontext der kulturwissenschaftlichen Debatte um das kulturelle Gedächtnis und Prozesse der Kanonisierung stellt. Die komplexen Probleme der Kanonisierung werden sichtbar, wenn man sie (2) an den Beispielen des Religionsunterrichts und der Rechtschreibung diskutiert. Dadurch wird (3) deutlich, das die Debatte um Bildungsstandards keineswegs Bildungstheorie negiert, sondern deren Reflexion weiterführt.
Jürgen Rost
Psychometrische Modelle zur Überprüfung von Bildungsstandards anhand von Kompetenzmodellen
Es werden drei Ansätze unterschieden, Kompetenzstufen in einem psychometrischen Modell abzubilden. Im ersten Ansatz werden Kompetenzstufen als Abschnitte auf der zu messenden Leistungsdimension definiert. Diese Segmente können durch die Schwierigkeitsparameter der Items, durch die Verteilung der Personenmesswerte oder durch die Schwierigkeitsparameter der Antwortkategorien definiert sein. Der zweite Ansatz basiert auf einer Charakterisierung der Testaufgaben durch Aufgabenmerkmale bzw. auf der Konstruktion von Tests mittels eines Facettendesigns. Hier werden Schwierigkeits- und Fähigkeitsmodelle unterschieden. Der dritte Ansatz geht davon aus, dass Kompetenzniveaus durch unterschiedliche Lösungsprofile der Testaufgaben definiert sind. Diese Konzeption von Kompetenzstufen kann im Rahmen von Mischverteilungsmodellen abgebildet werden. Es wird argumentiert, dass sich die qualitativen Unterschiede der Schülerleistungen auf verschiedenen Kompetenzstufen am ehesten über Mischverteilungen modellieren lassen.
Olaf Köller/Jürgen Baumert/Kai S. Cortina/Ulrich Trautwein/Rainer Watermann
Öffnung von Bildungswegen in der Sekundarstufe II und die Wahrung von Standards
Analysen am Beispiel der Englischleistungen von Oberstufenschülern an integrierten Gesamtschulen, beruflichen und allgemein bildenden Gymnasien
Am Beispiel gymnasialer Oberstufen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wurde untersucht, welche Konsequenzen die Öffnung der Wege zur Hochschulreife für das in der Oberstufe erreichte Leistungsniveau in Englisch hat. Die Englischkenntnisse wurden mithilfe des Test of English as a Foreign Language (TOEFL) erfasst. Der TOEFL erlaubt, anhand von kritischen Werten, die amerikanische Universitäten als Aufnahmekriterium für ausländische Studenten festsetzen, Leistungserwartungen (Standards) am Ende der gymnasialen Oberstufe zu definieren. Die Analysen machen deutlich, dass große Anteile der Absolventen an allgemein bildenden Gymnasien die kritischen Werte im TOEFL erreichen. Die Anteile an den übrigen Schulformen sind deutlich geringer. Die Befunde implizieren, dass infolge der Einrichtung alternativer Wege zur Hochschulreife die Einhaltung von Leistungsstandards – hier in der Fremdsprache Englisch – ein ungelöstes Problem darstellt.
Linktipps zum Thema Bildungsstandards
Alfred Schäfer
Alterität: Überlegungen zu Grenzen des Pädagogischen Selbstverständnisses
Wenn man mit Rousseau das Paradox des ‚zivilisierten Wilden‘, der unaufhebbaren Andersheit des Menschen gegenüber der ihn definierenden sozialen Ordnung, zum Ausgangspunkt des neuzeitlichen pädagogischen Denkens nimmt, dann ergibt sich die Frage nach dem realen Ort der Pädagogik. Es scheint dann kaum möglich zu sein, die pädagogische Wirklichkeit jenseits paradoxaler Verstrickungen zu denken – auch wenn das immer wieder versucht wurde. Anhand der Theorie Kierkegaards wird zu zeigen versucht, dass sich – jenseits der Verortung des Menschen in sozialen Kontexten – durchaus sinnvoll dessen unfassbare Singularität wie auch die durch die gesetzliche Ordnung nicht selbst gedeckte Grundlage dieser Ordnung denken lassen – also eine die ‚Zivilisation‘ überschreitende ‚Wildheit‘, die durch diese Zivilisation nicht immer schon ihren Ort erfahren hat. Im Anschluss an diese Perspektive wird versucht, diesen atopischen Ort der Singularität, der auch jenseits (positiv gemeinter oder ausgrenzender) fremdkultureller Einordnungsversuche liegt, zu umreißen: Im unauflöslichen Spannungsverhältnis zwischen der unvermeidlichen Selbstbefangenheit jeder Sichtweise und der Unzugänglichkeit des Anderen kündigt sich eine Pädagogik jenseits (wie auch immer positiv gemeinter) Verfügungsansprüche an.
Maria Fölling-Albers/Andreas Hartinger/Dženana Mörtl-Hafizovic
Situiertes Lernen in der Lehrerbildung
Die theoretischen Überlegungen, die praktischen Umsetzungen sowie die bisher relativ wenigen empirischen Untersuchungen zum „situierten Lernen“ haben in der Erziehungswissenschaft seit Mitte der 1980er-Jahre große Beachtung gefunden, sie führten jedoch auch zu heftigen Diskussionen. In der Lehrerbildung wurde dieser Ansatz bisher kaum empirisch überprüft, obwohl diese aufgrund ihres starken Anwendungsbezugs und ihrer komplexen Struktur eine besonders geeignete Domäne für situierte Lehr-Lern-Konzepte sein könnte. Im Rahmen einer empirischen Untersuchung mit Studierenden des Lehramts Grundschule wurde überprüft, inwiefern eine Lernbedingung, in der sich die Studierenden in die Situation eines Lehrers/einer Lehrerin hineinversetzen mussten, geeignet ist, um Diagnose- und Förderkompetenzen – für das Lehrerhandeln als besonders bedeutsam angesehene Fähigkeiten – zu unterstützen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden der Experimentalgruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die in traditionell-textbasierten Situationen die gleichen Inhalte gelernt hatte, nicht nur bessere Diagnose- und Förderkompetenzen aufgebaut, sondern auch das gleiche erforderliche Faktenwissen erworben haben. Zudem geben die Daten Hinweise darauf, dass bestimmte lernbegleitende Prozesse in situierten Lernbedingungen eine bedeutsame Rolle spielen.
Peter Jörg Alexander/Matthias Pilz
Die Frage der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung in Japan und Deutschland im Vergleich
Die Frage der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung gewinnt nicht nur in Deutschland, sondern auch im internationalen Kontext an Bedeutung. Im nachfolgenden Beitrag werden die Notwendigkeiten für die Auseinandersetzung mit diesem Thema skizziert und anschließend ein komparatives Indikatorenmodell zur Analyse der Gleichwertigkeit in verschiedenen Ländern entwickelt sowie allgemeine Begründungsmuster für eine eventuell notwendige Gleichwertigkeit benannt. Danach wird das Modell für die beiden Industrieländer Deutschland und Japan, das in diesem Kontext bisher geringe Beachtung erfahren hat, zur Anwendung gebracht und werden landesspezifische sowie abschließend komparative Schlussfolgerungen gezogen.
Daniel Gredig/Elena Wilhelm
Erika Steinert/Gisela Thiele: Sozialarbeitsforschung für Studium und Praxis. Einführung in die qualitativen und quantitativen Methoden
Hanne Schaffer: Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit. Eine Einführung
Hans-Uwe Otto/Gertrud Oelerich/Heinz G. Micheel (Hrsg.): Empirische Forschung und Soziale Arbeit. Ein Lehr- und Arbeitsbuch
Cornelia Schweppe (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Sozialpädagogik
Cristina Allemann-Ghionda
Martina Weber: Heterogenität im Schulalltag. Konstruktion ethnischer und geschlechtlicher Unterschiede
Andreas Krapp
Monique Boekaerts/Paul R. Pintrich/Moshe Zeidner (Eds.): Handbook of Self-Regulation
Peter Martin Roeder
Kurt A. Heller (Hrsg.): Begabtenförderung im Gymnasium. Ergebnisse einer zehnjährigen Längsschnittstudie
Pädagogische Neuerscheinungen