Thementeil: Privatschulen

Kai S. Cortina/Achim Leschinsky/Thomas Koinzer
Einführung in den Thementeil

Thomas Koinzer/Achim Leschinsky
Privatschulen in Deutschland

Im deutschen Schulsystem ist eine Expansion privater Schulen im allgemein bildenden und beruflichen Bereich zu beobachten. Dabei verzeichnen unterschiedliche Formen privater allgemein bildender Schulen besondere öffentliche Aufmerksamkeit, die sich durch internationale Abschlüsse, bilingualen Unterricht und Ganztagsbetreuung auszeichnen und in deutschen Großstädten etablieren. Aber auch traditionelle Formen in konfessioneller Trägerschaft, Freie Schulen, Waldorf- oder (private) Montessori-Schulen erfahren Zuspruch bei Eltern und Kindern spezifischer gesellschaftlicher Milieus.

Der Beitrag beschreibt die quantitative Expansion privater Schulen und lokalisiert ein Bedingungsgefüge aus unterschiedlichen gesellschaftlichen, rechtlichen und ökonomische Ursachen hierfür. Zudem werden verallgemeinerbare Folgen für das gesamte deutsche Schulsystem formuliert und ein notwendiges Forschungsprogramm umrissen.

Elisabeth Flitner/Agnès van Zanten
Von der Konfessionsschule zum geschützten Sozialmilieu – Entwicklung und Funktionen des privaten Sektors im französischen Schulsystem

Beim Ausbau ihres öffentlichen Schulsystems im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert gelang es der anti-klerikalen französischen Republik zunächst nicht, das ältere katholische Schulwesen zu integrieren. Bis heute befinden sich 17% der Schulplätze in Privatschulen. Doch werden inzwischen fast alle privaten Schulen öffentlich finanziert und unterliegen denselben administrativen und pädagogischen Vorschriften wie die staatlichen Schulen, von denen sie sich vor allem in der sozialen Herkunft der Schülerschaften unterscheiden. Unser Beitrag beschreibt den Prozess der Angleichung des Privatschulwesen in Frankreich an das öffentliche Schulsystem seit den 1960er Jahren und geht der Frage nach, warum die Privatschulquote hier in den letzten Jahrzehnten nicht gewachsen ist, obwohl die Mehrheit der Franzosen Privatschulen als unentbehrlich betrachten.

Kai S. Cortina/Kristina Frey
Privatschulen in den USA: Geschichte und aktuelle Kontroversen

Das Privatschulwesen in den USA entwickelte sich auf Betreiben der katholischen Minderheit parallel zum strikt konfessionslosen öffentlichen Schulsystem.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts kommt es vermehrt zu Privatschulgründungen anderer, insbesondere fundamental-christlicher Religionsgemeinschaften. Gleichzeitig geht die Schülerzahl an katholischen Privatschulen kontinuierlich zurück, sodass der Gesamtanteil an Privatschülern stabil bei ca. 10% liegt. Der Zugang zur Privatschule ist durch die erheblichen Schulgeldzahlungen sozial selektiv und bietet für weite Kreise der Bevölkerung keine realistische Bildungsalternative zum staatlichen Schulwesen. Jüngere Entwicklungen lassen jedoch erkennen, dass sich die traditionell scharfe Trennung zwischen öffentlichem und privatem Schulsektor in den vergangenen 20 Jahren zu lockern beginnt.

Geoffrey Walford
Private Schools in England

Ungefähr sieben Prozent der Schulkinder in England besuchen private Schulen, aber die politische Bedeutung des privaten Sektors reicht weit darüber hinaus. Auch heutzutage sind die traditionellen Eliteinternate wie Eton College die bekanntesten englischen Privatschulen, obwohl sie nur einen sehr geringen Anteil des Privatschulsektors ausmachen, der durch seine Vielfalt charakterisiert ist. So ist die Zahl privater muslimischer Schulen seit den 1970er Jahren im Zuge der Zuwanderung stetig angestiegen. Auch privatwirtschaftlich arbeitende Schulen haben sich etablieren können.

Trotz der Diversifität und fehlender empirischer Evidenz ist der Glaube weit verbreitet, dass der Privatschulsektor akademisch effektiver ist. Diese Überzeugung beeinflusst auch die Schulpolitik der Regierung in Hinblick auf den privaten wie auch den staatlichen Sektor.

Julian Dierkes
Privatschulen und privatwirtschaftliche Zusatzschulen in Japan: Bildungspolitische Lückenbüßer und Marktlücke

Das schnelle wirtschaftliche Wachstum Japans in der Nachkriegszeit ist vielfach mit der Qualität des Bildungssystems in Verbindung gebracht worden.

Dieser Beitrag erläutert die Rolle von Privatschulen innerhalb des japanischen Bildungssystems und hebt dabei besonders die Stellung der privatwirtschaftlich organisierten Zusatzschulen (Juku) hervor, deren Erfolg einerseits mit den Selektionsmechanismen im öffentlichen Schulwesen im Zusammenhang steht, andererseits aber auf die zunehmende Verunsicherung japanischer Eltern und Schüler zurückgeht. Ihr Mangel an pädagogischer Innovation steht in Kontrast zu ihrer wirtschaftlichen Bedeutung.

Kai S. Cortina/Thomas Koinzer/ Achim Leschinsky
Nachwort: Eine international informierte Prognose zur Entwicklung privater Schulen in Deutschland

 

Deutscher Bildungsserver
Linktipps zum Thema: „Privatschulen“

 

Allgemeiner Teil

Colin Cramer/Klaus-Peter Horn/Friedrich Schweitzer
Zur Bedeutsamkeit von Ausbildungskomponenten des Lehramtsstudiums im Urteil von Erstsemestern

Auf der Basis einer Übersicht über die Lehrerbildungsforschung zur ersten Phase (Studium) und der dabei festzustellenden Desiderate werden der Ansatz der Studie „Entwicklung Lehramtsstudierender im Kontext institutioneller Rahmenbedingungen“ ELKiR) und erste Ergebnisse zur Einschätzung der Bedeutsamkeit verschiedener Ausbildungskomponenten durch Lehramtsstudierende im ersten Semester vorgestellt und diskutiert. Im Zentrum steht dabei das Ergebnis, dass bereits die Erstsemester vorrangig „von der Praxis her“, also von den schulpraktischen Studien und der zweiten Phase der Ausbildung aus, ihr Studium wahrnehmen. Insbesondere die fachwissenschaftlichen, aber auch fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Ausbildungsbestandteile werden hingegen als weniger bedeutsam eingeschätzt.

Dagmar Hänsel
„Erbe und Schicksal“. Rezeption eines Sonderschulbuchs

Das rassenhygienische Schulbuch „Erbe und Schicksal“ spielt in der Auseinandersetzung der Sonderpädagogik mit der NS-Zeit eine zentrale Rolle. An

ihm wird von der Sonderpädagogik exemplarisch die Frage diskutiert, wie sich Sonderpädagogen, vor allem Hilfsschullehrer, in der NS-Zeit angesichts der Bedrohung ihrer Schülerschaft durch Zwangssterilisation und „Euthanasie“ verhalten haben. Im vorgelegten Beitrag wird die Rezeptionsgeschichte von „Erbe und Schicksal“ nachgezeichnet und das Buch neu als Propagandabuch über die Sonderschule in den Blick genommen, das Teil der erfolgreichen Professionspolitik der Hilfsschullehrerschaft ist.

Matthias Proske
Das soziale Gedächtnis des Unterrichts: Eine Antwort auf das Wirkungsproblem der Erziehung?

Die Frage, wie Unterricht auf Seiten der Schüler Wirkungen erzeugt, stellt für die Unterrichtsforschung nach wie vor eine zentrale theoretische Herausforderung dar. In Auseinandersetzung mit Erklärungsansätzen, die Unterricht mit Blick auf seine Angebotsstruktur und deren individuelle Nutzung durch die Schüler beobachten, wird in diesem explorativ angelegten Beitrag in interdisziplinärer Perspektive das Potential des sozial- und kulturwissenschaftlichen Gedächtniskonzeptes für die Beantwortung der unterrichtlichen Wirkungsproblematik ausgelotet. Die zentrale Leistung des Unterrichtsgedächtnisses wird in der Etablierung von „Wissensfiktionen“ gesehen, die in einem längerfristigen Zeithorizont Erziehungserwartungen im Unterricht sozial verbindlich machen.

 

Besprechungen

Peter Faulstich
Käte Meyer-Drawe: Diskurse des Lernens.

Daniel Tröhler
Robert Spaemann: Rousseau – Mensch oder Bürger.

Josef Keuffer
Vera Kaltwasser: Achtsamkeit in der Schule.

Christian Beck
Ralf Bohnsack: Qualitative Bild- und Videointerpretation.

Claudia Peter
Swen Körner: Dicke Kinder – revisited.

Henning Schmidt-Semisch/Friedrich Schorb (Hrsg.): Kreuzzug gegen Fette.

 

Dokumentation

 Pädagogische Neuerscheinungen