Silke Hertel/Jasmin Warwas/Eckhard Klieme
Individuelle Förderung und adaptive Lerngelegenheiten im Grundschulunterricht.
Einleitung in den Thementeil
Eckhard Klieme/Jasmin Warwas
Konzepte der Individuellen
„Individuelle Förderung“ wird hier als erzieherisches Handeln unter konsequenter Berücksichtigung personaler Lern- und Bildungsvoraussetzungen definiert. Der Begriff ist im vergangenen Jahrzehnt zu einem zentralen Topos des öffentlichen Bildungsdiskurses in Deutschland geworden, in der wissenschaftlichen Literatur jedoch vergleichsweise selten zu finden, weil er ein eigentlich selbstverständliches Merkmal pädagogischen Handelns beschreibt. Der Beitrag arbeitet den erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskurs zum Thema auf. Daran anknüpfend werden Varianten eines pädagogischen Verständnisses von individueller Förderung vorgestellt, die zumeist unter anderen Begriffen diskutiert werden, sowie empirische Befunde zur Wirksamkeit der Varianten angeführt. Abschließend werden die der individuellen Förderung zugrunde liegenden Wirkmechanismen beschrieben und Perspektiven für die pädagogische Praxis sowie die erziehungswissenschaftliche und psychologische Forschung zu individueller Förderung aufgezeigt.
Ilonca Hardy/Silke Hertel/Mareike Kunter/Eckhard Klieme/Jasmin Warwas/Gerhard Büttner/Arnim Lühken
Adaptive Lerngelegenheiten in der Grundschule: Merkmale, methodisch-didaktische Schwerpunktsetzungen und erforderliche Lehrerkompetenzen
In der Grundschulpädagogik nimmt der produktive Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen der Schüler1 einen hohen Stellenwert ein, wobei das Erreichen von überdurchschnittlicher Leistungsentwicklung bei gleichzeitiger Reduktion von Leistungsdivergenz als zentrales Ziel angesehen werden kann. Der Beitrag befasst sich systematisch mit den Merkmalen eines auf Adaptivität ausgerichteten Unterrichts, wobei sozial-konstruktivistische Lerntheorien zugrunde gelegt werden. Mit dem Projekt IGEL wird eine Interventionsstudie im Sachunterricht der Grundschule vorgestellt, die evidenzbasiertes Entscheidungswissen zur Gestaltung von Lerngelegenheiten generieren soll.
Judith Pollmeier/Ilonca Hardy/Susanne Koerber/Kornelia Möller
Lassen sich naturwissenschaftliche Lernstände im Grundschulalter mit schriftlichen Aufgaben valide erfassen?
Im naturwissenschaftlichen Unterricht ist die Diagnostik von Schülerkonzepten im Sinne eines formativen Assessments eine notwendige Voraussetzung, um die konzeptuelle Entwicklung angemessen fördern zu können. Während qualitative Interviews zur Erfassung konzeptueller naturwissenschaftlicher Lernstände bei Grundschülern weit verbreitet sind, ist die Frage, inwiefern auch die ökonomischeren, geschlossenen schriftlichen Antwortformate eine valide Diagnostik individueller Konzepte ermöglichen, bisher noch wenig untersucht. Der vorliegende Beitrag zeigt an jeweils zwei Klassen der dritten Jahrgangsstufe der Grundschule (Alter: M = 9.26 Jahre, SD = 0.42) für die beiden naturwissenschaftlichen Themenbereiche Schwimmen und Sinken (N = 41) und Verdunstung und Kondensation (N = 32), dass ein substantieller Zusammenhang zwischen mündlichen Interviews und schriftlichen Testergebnissen besteht und somit – unter bestimmten Voraussetzungen – von einer validen Erfassung kindlicher Lernstände auch mit schriftlichen Aufgaben ausgegangen werden kann.
Jasmin Warwas/Silke Hertel/Andju Sara Labuhn
Bedingungsfaktoren des Einsatzes von adaptiven Unterrichtsformen im Grundschulunterricht
Im gegenwärtigen erziehungswissenschaftlichen Diskurs gewinnen Fragen zum Umgang mit der Heterogenität der Schüler erneut an Aktualität. Bislang mangelt es noch an Studien, die den Bezug zwischen der Heterogenität der Schüler, insbesondere an Grundschulen, und dem Einsatz von adaptiven Unterrichtsformen empirisch untersuchen und deren Bedingungsfaktoren betrachten. In dieser empirischen Studie wurde zum einen die besondere Bedeutung der Variation des Aufgabenmaterials als adaptive Unterrichtsform an Grundschulen belegt, zum anderen zeigen sich durchwegs Interaktionen aus Merkmalen der Klasse (Heterogenität in den Schülerleistungen) und Merkmalen der Lehrkraft (konstruktivistische Überzeugungen hinsichtlich des Lehrens und Lernens) als bedeutsame Prädiktoren für den Einsatz adaptiver Unterrichtsformen.
Frank Lipowsky/Claudia Kastens/Miriam Lotz/Gabriele Faust
Aufgabenbezogene Differenzierung und Entwicklung des verbalen Selbstkonzepts im Anfangsunterricht
Die vorliegende Studie untersucht, wie sich aufgabenbezogene Differenzierung im Deutschunterricht auf die Entwicklung des verbalen Selbstkonzepts von Erst- und Zweitklässlern (Lesen und Schreiben) auswirkt. Die untersuchte Stichprobe setzt sich aus 735 Schülern des ersten Schuljahres zusammen, die 38 Klassen an staatlichen und privaten Grundschulen besuchen und die bis zum Ende des zweiten Schuljahres in ihrer Entwicklung untersucht wurden. Die Ergebnisse zeigen sowohl einen indirekten als auch einen direkten Effekt der aufgabenbezogenen Differenzierung: In Klassen, deren Lehrkräfte eigenen Angaben zufolge häufiger aufgabenbezogen differenzieren, fällt zum einen der Big-Fish-Little-Pond-Effekt schwächer aus. Zum anderen bilden Schüler in Klassen mit einer ausgeprägteren aufgabenbezogenen Differenzierung über die beiden ersten Schuljahre hinweg höhere Selbstkonzepte aus als in Klassen, deren Lehrkräfte über eine weniger intensive Differenzierung berichten. Diese beiden Effekte lassen sich jedoch nur für die Entwicklung des Selbstkonzepts im Schreiben nachweisen, nicht aber für die Entwicklung des Selbstkonzepts im Lesen.
Deutscher Bildungsserver
Linktipps zum Thema „Individuelle Förderung und adaptive Lerngelegenheiten im Grundschulunterricht“
Johannes Giesinger
Bildsamkeit und Bestimmung. Kritische Anmerkungen zur Allgemeinen Pädagogik Dietrich Benners
Dietrich Benner vertritt die Auffassung, die moderne Pädagogik setze sich mit den Begriffen der Perfektibilität und der Bildsamkeit vom teleologischen Denken früherer Epochen ab. Diese Darstellung wird durch die Tatsache konterkariert, dass Benner selbst in seiner Definition von Bildsamkeit mit der Idee einer finalen Bestimmung des Menschen operiert. Indem er dem Heranwachsenden ein Bestimmtsein zur Mitwirkung an der menschlichen Gesamtpraxis zuschreibt, reiht er sich zwar – wie in diesem Beitrag aufgezeigt wird – in eine Traditionslinie ein, die auf Rousseau, Kant und Fichte zurückgeführt werden kann, verfehlt aber zugleich die herkömmliche Bedeutung des Begriffs der Bildsamkeit. Der Schlussteil des Beitrags unternimmt es, die Idee der Bildsamkeit in einer Weise zu erläutern, welche das traditionelle Verständnis des Begriffs – in Abgrenzung gegen Benners Ausführungen – produktiv weiterentwickelt.
Arnd-Michael Nohl
Ressourcen von Bildung
Empirische Rekonstruktionen zum biographisch situierten Hintergrund transformativer Lernprozesse
In der qualitativen Bildungsforschung wurde die Unterscheidung zwischen kontinuierlichen Lern- und diskontinuierlichen Bildungsprozessen empirisch wie theoretisch überzeugend ausgearbeitet. Aus welchen Ressourcen Bildung verstanden als Subjektivierung durch die Transformation von Lebensorientierungen indes schöpft, wird in dem Beitrag erörtert. In Abgrenzung zu Ausstattungs- und Linearitätsmodellen zeigt der Autor anhand der dokumentarischen Interpretation mehrerer narrativbiographischer Interviews, wie sich in Lebensgeschichten divergente Erfahrungskomplexe anlässlich einer inspirierenden Situation verbinden und zur Ressource eines Bildungsprozesses werden.
Frederik Herman/Angelo van Gorp/Frank Simon/Marc Depaepe
Auf den Spuren von Diskurs, Traum und Wirklichkeit der architektonischen Formgebung in Decrolys Ermitage
Der Aufbau dieses Beitrags ist dreigliedrig. Zunächst versuchen wir, den Diskurs der Decrolyaner in Bezug auf die Schularchitektur zu erforschen. Auf der Grundlage von Originalquellen beleuchten wir die Art und Weise, in der das Denken über Schulbau bei Decroly und seinen Anhängern im materiellen Nachlass zum Ausdruck gekommen ist. Anschließend wird Decroly’s eigener Schulstandort beschrieben und die Frage aufgeworfen, wie die bebaute Umgebung mit in die pädagogische Praxis einbezogen wurde. Im letzten Abschnitt betrachten wir den utopischen Entwurf der Architekten Renaat Braem (der heute noch immer als einer der bedeutendsten Vertreter der modernen Architektur und des modernen Städtebaus in Belgien gilt) und Jack Sokol aus dem Jahre 1946. Es war ein größenwahnsinniges Projekt, das sowohl von den genannten Architekten als auch von den Decrolyanern als Bruch mit den bestehenden Schulgebäuden, den alten Tempeln der Pädagogik, in denen man sich auch zum alten Glauben an die Didaktik bekannte, beschrieben wurde. Es schließt sich an das Gedankengut eines internationalen Plädoyers an, das während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders in reformpädagogischen Kreisen diskutiert wurde. Dass die Decrolyaner letztendlich doch kein Projekt der erneuernden Architektur realisiert haben, hatte denn auch weniger mit ihrem bleibenden Argwohn gegen den einen oder anderen schularchitektonischen Determinismus zu tun, der dem Schulgebäude den Vorrang vor dessen flexiblem Gebrauch im Rahmen der aktiven Methode der neuen Schule einräumt, sondern schlichtweg mit finanziellen Engpässen.
Marten Clausen/Christina Funke
Matthias von Saldern: Systemische Schulentwicklung. Von der Grundlegung zur Innovation
Thomas Koinzer
Diane Ravitch: The Death and Life of the Great American School System.
How Testing and Choice are Undermining Education
Pädagogische Neuerscheinungen