Rudolf Tippelt
Bildung und Bindung – verbindende und ambivalente Aspekte. Einführung in den Thementeil
Ute Ziegenhain/Gabriele Gloger-Tippelt
Bindung und Handlungssteuerung als frühe emotionale und kognitive Voraussetzungen von Bildung
Es wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung die emotionale Bindung zwischen Kind und Eltern für eine gelungene Bildungsentwicklung von Personen hat. Während die Relevanz von sicherer Bindung für die Entwicklung sozialer Kompetenzen und psychische Gesundheit gut belegt ist, gibt es weniger empirische Forschung zu ihrer Rolle für die kognitive Entwicklung und den Bildungsverlauf. Auf der Basis neuerer entwicklungspsychologischer Befunde wird hier der Versuch unternommen, sowohl emotionale Bindung als auch exekutive Handlungssteuerungen als Komponenten für eine gelungene Bildungsentwicklung von Kindern herauszuarbeiten. Beide Bereiche werden in gleicher Weise durch feinfühliges und strukturierendes Elternverhalten gefördert und sollten in Zukunft bei Interventionen und Grundlagenforschung stärker berücksichtigt werden.
Schlagworte: Bindungsqualität, Elternverhalten, kognitive Entwicklung, exekutive Steuerungsfunktionen, Bildungsentwicklung
Daniela Mayer/Kathrin Beckh/Julia Berkic/Fabienne Becker-Stoll
Erzieherin-Kind-Beziehungen und kindliche Entwicklung: Der Einfluss von Geschlecht und Migrationshintergrund
Daten der Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK-Studie) wurden analysiert, um die Zusammenhänge zwischen der Qualität von Erzieherin-Kind-Beziehungen und kindlichen Entwicklungsmaßen in Abhängigkeit von Geschlecht und Migrationshintergrund zu untersuchen. Von 714 vierjährigen Kindern lagen Einschätzungen der Erzieherin-Kind-Beziehung und der Mutter-Kind-Beziehung sowie Einschätzungen sowohl der Mutter als auch der Erzieherin zu Kommunikationsfertigkeiten, sozial-emotionalen Kompetenzen und Problemverhalten sowie Testwerte im rezeptiven Wortschatz in Deutsch vor. Unter Kontrolle von familiären Hintergrundvariablen hatte die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung auf jedes der Entwicklungsmaße einen signifikanten Effekt: Kinder mit einer hohen Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität zeigten die höchsten Werte im rezeptiven Wortschatz in Deutsch, in Kommunikationsfertigkeiten und sozial-emotionalen Kompetenzen sowie die niedrigsten Werte im Problemverhalten. Im Bereich der sprachlichen Entwicklung profitierten besonders Kinder mit Migrationshintergrund, insbesondere Jungen, von einer hohen Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung. Eine hohe Beziehungsqualität kann auf die sozial-emotionale Entwicklung der Jungen kompensatorisch wirken.
Schlagworte: Erzieherin-Kind-Beziehung, sprachliche Entwicklung, sozial-emotionale Entwicklung, Migrationshintergrund, Geschlechtsunterschiede
Elena Harwardt-Heinecke/Lieselotte Ahnert
Bindungserfahrungen in Kindergarten und Schule in ihrer Wirkung auf die Schulbewährung – Zusammenfassende Ergebnisse aus der BSB-Studie
Der vorliegende Beitrag fasst empirische Ergebnisse einer Längsschnittstudie zusammen, die die Schulbewährung aus der Sicht der Bindungserfahrung des Schulanfängers betrachten. Während positive Beziehungserfahrungen aus dem Kindergarten sich auch nach Schuleintritt in einer effizienten Ausnutzung des vorhandenen Leistungspotentials zeigten, wurden in der Grundschule die negativen und konfliktbesetzten Merkmale der SchülerIn-LehrerIn-Beziehung wirksam. SchülerIn-LehrerIn-Konflikte hemmten danach die Anstrengungsbereitschaft und wirkten sich in dieser Weise negativ auf die schulischen Leistungen aus. Anhand von Cortisol-Analysen konnte außerdem eine zunehmende Beeinträchtigung in der Stressverarbeitung der SchülerInnen von Montag zu Freitag festgestellt werden.
Schlagworte: Nähe, Konflikt, Anstrengungsbereitschaft, schulische Leistungsentwicklung, Cortisol-Ausschüttung
Alfred Richartz/Almut Krapf/Karen Hoffmann
Die Qualität der Trainer-Kind-Beziehung aus der Perspektive der Bindungsforschung. Bindungen und bindungstypische Prozesse bei Kindern im Leistungssport
Der Beitrag untersucht die Konkordanz von Bindungsmustern gegenüber Eltern einerseits und Trainern andererseits bei Kindern im Leistungssport. Die Bindungsmuster werden durch ein Geschichtenergänzungsverfahren rekonstruiert. Die Übereinstimmung zwischen beiden Bindungsmustern ist im Vergleich zu thematisch verwandten Untersuchungen mit Vorschul- und Primarschulpädagogen ungewöhnlich stark. Es wird damit gezeigt, dass bindungstypische Regulationsprozesse auch in hoch instruktions- und aufgabenorientierten Settings eine wichtige Rolle spielen. Als Einflussgrößen werden in Verbindung mit weiteren Daten die wahrgenommene Fürsorglichkeit und Kompetenz der Lehrkräfte sowie Besonderheiten des Handlungsfeldes Leistungssport diskutiert.
Schlagworte: Bindungsforschung, Leistungssport, Affektregulation, Trainer-Kind-Beziehung, Beziehungsqualität
Lothar Krappmann
Bindung in Kinderbeziehungen?
Die Bindungsforschung hat nachgewiesen, dass für Entwicklungs- und Lernprozesse von großer Bedeutung ist, ob Kinder eine sichere Bindung an Eltern oder andere für sie sorgende Personen haben. In bedrohlichen oder herausfordernden Situationen, in die ein Kind in der Sozialwelt der Gleichaltrigen gerät, können Eltern und andere dem Kind zugetane Erwachsene dem älteren Kind allerdings nicht direkt beistehen. Dagegen kann die verlässliche Unterstützung eines gleichaltrigen Kindes hilfreich, manchmal entscheidend sein. Dieser Aufsatz untersucht, ob es auch unter Kindern Beziehungen einer Qualität gibt, die ein Äquivalent zur sicheren Bindung zu Erwachsenen darstellen. Ergebnisse der Peer-Forschung, die diese Frage aufgegriffen hat, werden in diesem Aufsatz referiert und kommentiert.
Schlagworte: Bindung, Peer-Beziehungen, Freundschaft, Eltern-Kind-Beziehung, mittlere Kindheit
Jörg M. Fegert/Tanja Besier
Entwicklungspsychopathologische Überlegungen zur mangelnden Integration von bindungstheoretischen, pädagogischen und familienrechtlichen Aspekten
Bindung, Bildung und Entwicklungspsychopathologie sind bislang weitgehend unintegrierte Konzepte mit parallel verlaufenden Diskursen, die im Rahmen der kindlichen Entwicklung anhaltend eine wichtige Rolle spielen. Hinzu kommen in bestimmten Fällen (wie Trennung und Scheidung sowie gefährdendem Elternverhalten) familienrechtliche Aspekte, die ebenfalls separat diskutiert und nicht systematisch integriert werden. Der Beitrag versucht, die unterschiedlichen Diskurse und die Spannungsfelder, die sich dadurch auftun, aus Sicht eines Kinder- und Jugendpsychiaters zu beleuchten, Bezüge herzustellen und Ansatzpunkte für eine gelingende Zusammenführung und Integration herauszuarbeiten.
Schlagworte: Entwicklungspsychopathologie, Bindung, Familienrecht, Bildung, kindliche Entwicklung
Rudolf Tippelt
Bildung und Bindung – eine ambivalente, unsicher-vermeidende oder sichere Beziehung?
Pädagogisches Handeln ist u. a. durch Nähe und Distanz geprägt. Was haben sich Bildungsforschung und Bindungsforschung in diesem Zusammenhang zu sagen ? Herausgearbeitet werden der verschiedene Zugang zum Lernenden in beiden Disziplinen, die divergierenden erkenntnisleitenden Interessen, aber auch die Möglichkeiten eines für beide Seiten fruchtbaren Dialogs. Die allgemein pädagogischen Überlegungen sind daran interessiert, die sozio-kognitive und die sozio-emotionale Entwicklung von Menschen zu thematisieren und die emotionale Förderung und soziale Interaktion in Bildungsprozessen als Ziel und Mittel von pädagogischem Handeln zu begründen. Hierbei können sichere Beziehungen zwischen diesen beiden sehr verschiedenen Disziplinen hilfreich sein.
Schlagworte: pädagogischer Bezug, sozio-emotionale Förderung, soziale Kompetenz, pädagogische Rollen, Bildung
Rainer Bölling
Das französische Zentralabitur – ein Modell für Deutschland?
Angesichts der seit Jahren in der Öffentlichkeit erhobenen Forderungen nach einem bundesweiten Zentralabitur stellt sich die Frage nach dem Modellcharakter des französischen Baccalauréat, das ein zentrales und anonymes Prüfungsverfahren par excellence darstellt. Auf einen Überblick über die Entwicklung des Bac seit 1808 und seine gegenwärtige Struktur folgt eine kritische Betrachtung des aktuellen Prüfungs- und Korrekturverfahrens. Sodann wird die Bedeutung dieser Prüfung für den Hochschulzugang untersucht. Die Ergebnisse der Untersuchung sowie die aktuell in Frankreich geführte Debatte über den Wert des Bac ergeben einen im Hinblick auf dessen möglichen Modellcharakter problematischen Befund.
Schlagworte: Abitur, Baccalauréat, Deutschland, Frankreich, Zentralabitur
Hartmut Ditton
Bildungsverläufe in der Sekundarstufe. Ergebnisse einer Längsschnittstudie zu Wechseln der Schulform und des Bildungsgangs
Mit Daten einer Längsschnittstudie werden Wechsel der Schulform und des Bildungsgangs in der Sekundarstufe untersucht. Analysiert wird insbesondere der Stellenwert schulischer Leistungen und der sozialen Herkunft. Da für die Analysen vorrangig Daten aus der Grundschulzeit verwendet werden, wird auch die Frage behandelt, wieweit die Grundschulphase prädiktiv für die weitere Bildungslaufbahn ist. Eine Erklärung der Auf- und Abstiege zwischen den verschiedenen Schulformen gelingt unterschiedlich gut. Insgesamt zeichnet sich jedoch ab, dass durch Laufbahnkorrekturen die soziale Selektivität des schulischen Systems nicht reduziert, sondern eher vergrößert wird.
Schlagworte: Schulformwechsel, Bildungsgangwechsel, Schullaufbahn, Bildungskarriere, soziale Ungleichheit
Svenja Mareike Kühn/Christina Drüke-Noe
Qualität und Vergleichbarkeit durch Bildungsstandards und zentrale Prüfungen ? Ein bundesweiter Vergleich von Prüfungsanforderungen im Fach Mathematik zum Erwerb des Mittleren Schulabschlusses
Zur Sicherung von Qualität und Vergleichbarkeit sollen alle Bundesländer zentrale Prüfungen zum Erwerb des Mittleren Schulabschlusses auf Basis der Bildungsstandards durchführen. Der Beitrag stellt die Befunde einer Längsschnittstudie vor, in der im Ländervergleich Prüfungsaufgaben (N = 3530) im Fach Mathematik mit Hilfe eines Kategoriensystems auf Basis der Bildungsstandards analysiert wurden. Die Untersuchung erfasst auf der Basis theoretischer Annahmen der Implementationsforschung, wie hoch die Übereinstimmung zwischen den bundesweit gültigen Bildungsstandards und der tatsächlichen Aufgabenpraxis in den Prüfungen der Länder zum Erwerb des Mittleren Schulabschlusses ist. Es zeigt sich, dass die Prüfungsaufgaben nur sehr unausgewogen die drei Dimensionen der Bildungsstandards (Leitideen, Kompetenzen, Anforderungsbereiche) abbilden. Darüber hinaus sind die Aufgaben durch eine erhebliche länderspezifische Heterogenität gekennzeichnet. Die Befunde weisen auf eine Diskrepanz zwischen bildungspolitischen Wirkungserwartungen und den Wirkungserfahrungen hin, da das Ziel vergleichbarer Prüfungsanforderungen über alle Länder hinweg offensichtlich bislang kaum erfüllt wird.
Schlagworte: Bildungsstandards, zentrale Abschlussprüfung, Implementation, Aufgabenanalyse, Mathematik
Jürgen Oelkers
Sebastian Müller-Rolli: Erziehung und Kommunikation – Von Rousseau bis heute
Heinz-Elmar Tenorth
Sabine Schmidt-Lauff (Hrsg.): Zeit und Bildung. Annäherungen an eine zeittheoretische Grundlegung
Pädagogische Neuerscheinungen